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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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machen, bei jeder großen oder kleinen Gelegenheit die ewigen und heiligen
Grundsätze der Menschenrechte zu proclamiren; es sei gut, daß in jeder politi¬
schen Versammlung Männer vorhanden seien, die diese Last auf sich nehmen, und
es freue den Redner immer, wenn mit der großen Uebung, welche die Be-
kennung dieser Grundsätze giebt, der Abgeordnete Duncker dieselben von Zeit
zu Zeit wieder ins Gedächtniß bringe; für den Redner aber sei der vorliegende
Fall vollständig geeignet, die ewigen Freiheits- und Menschenrechte wieder ein¬
mal auf ein Jahr zu verrathen.

Am 11. Juni gelangte das Gesetz über die Neichsbeamten zur dritten
Lesung. Bei derselben erfüllte sich die vor acht Tagen hier mit nicht allzu¬
großer Zuversicht ins Auge gefaßte Möglichkeit, daß der Reichstag den Stein
des Anstoßes für den Bundesrath, welcher in dem K 10 lag, durch angemessene
Modifikation der früheren Beschlüsse über die Gestalt dieses Paragraphen aus
dem Wege räumte. Es handelte sich um das mehrerwähnte Amendement
Bernuth, durch welches dem § 10 die folgende Fassung gegeben worden:
"Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, das ihm übertragene Amt ent¬
sprechend der Verfassung, den Gesetzen und den von den Vorgesetzten
innerhalb ihrer amtlichen Zuständigkeit getroffenen Anordnungen
wahrzunehmen." Durch ein Amendement der Abgeordneten von Dörnberg
und von Zedlitz sind die unterstrichenen Worte beseitigt worden. Nun ist
Alles klar und einwandfrei. Die Beamten wissen, daß sie der Verfassung und
den Gesetzen gemäß zu handeln haben; Verfassung und Gesetze aber legen in
bestimmten Fällen Gehorsam gegen die Vorgesetzten auf, denen damit die
Verantwortung zufällt. Entsprechend der Veränderung des § 10 ist auch der
§ 13 verändert worden durch Streichung des bei den früheren Lesungen durch
den Abgeordneten von Bernuth hinzugefügten Alinea. Das gestrichene Alinea
lautete, nachdem die Verantwortlichkeit der Reichsbeamten für die Gesetzmäßig¬
keit ihrer Amtshandlungen ausgesprochen worden, folgendermaßen: "Hat der
Beamte nach den Anordnungen eines Vorgesetzten gehandelt, welche innerhalb
des Kreises der amtlichen Zuständigkeit des Vorgesetzten und in gesetzlicher
Form erlassen waren, so trifft die Verantwortlichkeit den Anordnenden allein."

Leider hat dieser in der dritten Lesung erreichten Verbesserung des Gesetzes
gegenüber bei derselben Lesung der Abgeordnete Laster den Erfolg gehabt, an
einer anderen Stelle eine erhebliche Verschlechterung anzubringen. Der § 25
hatte nach den Beschlüssen der zweiten Lesung für sämmtliche Oberbeamte der
Reichsregierung dem Kaiser das Recht der Versetzung in den Ruhestand mit
Wartegeld verliehen. Dies muß so sein, wenn die Reichsregierung ein Orga¬
nismus aus Einem Guß, belebt von Einer Seele sein soll. Und wenn sie
das nicht ist, dann würde das Reich aufhören zu leben, bevor es mit feiner
inneren Gestaltung fertig geworden. Allein Herr Laster hat unglücklicherweise


machen, bei jeder großen oder kleinen Gelegenheit die ewigen und heiligen
Grundsätze der Menschenrechte zu proclamiren; es sei gut, daß in jeder politi¬
schen Versammlung Männer vorhanden seien, die diese Last auf sich nehmen, und
es freue den Redner immer, wenn mit der großen Uebung, welche die Be-
kennung dieser Grundsätze giebt, der Abgeordnete Duncker dieselben von Zeit
zu Zeit wieder ins Gedächtniß bringe; für den Redner aber sei der vorliegende
Fall vollständig geeignet, die ewigen Freiheits- und Menschenrechte wieder ein¬
mal auf ein Jahr zu verrathen.

Am 11. Juni gelangte das Gesetz über die Neichsbeamten zur dritten
Lesung. Bei derselben erfüllte sich die vor acht Tagen hier mit nicht allzu¬
großer Zuversicht ins Auge gefaßte Möglichkeit, daß der Reichstag den Stein
des Anstoßes für den Bundesrath, welcher in dem K 10 lag, durch angemessene
Modifikation der früheren Beschlüsse über die Gestalt dieses Paragraphen aus
dem Wege räumte. Es handelte sich um das mehrerwähnte Amendement
Bernuth, durch welches dem § 10 die folgende Fassung gegeben worden:
„Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, das ihm übertragene Amt ent¬
sprechend der Verfassung, den Gesetzen und den von den Vorgesetzten
innerhalb ihrer amtlichen Zuständigkeit getroffenen Anordnungen
wahrzunehmen." Durch ein Amendement der Abgeordneten von Dörnberg
und von Zedlitz sind die unterstrichenen Worte beseitigt worden. Nun ist
Alles klar und einwandfrei. Die Beamten wissen, daß sie der Verfassung und
den Gesetzen gemäß zu handeln haben; Verfassung und Gesetze aber legen in
bestimmten Fällen Gehorsam gegen die Vorgesetzten auf, denen damit die
Verantwortung zufällt. Entsprechend der Veränderung des § 10 ist auch der
§ 13 verändert worden durch Streichung des bei den früheren Lesungen durch
den Abgeordneten von Bernuth hinzugefügten Alinea. Das gestrichene Alinea
lautete, nachdem die Verantwortlichkeit der Reichsbeamten für die Gesetzmäßig¬
keit ihrer Amtshandlungen ausgesprochen worden, folgendermaßen: „Hat der
Beamte nach den Anordnungen eines Vorgesetzten gehandelt, welche innerhalb
des Kreises der amtlichen Zuständigkeit des Vorgesetzten und in gesetzlicher
Form erlassen waren, so trifft die Verantwortlichkeit den Anordnenden allein."

Leider hat dieser in der dritten Lesung erreichten Verbesserung des Gesetzes
gegenüber bei derselben Lesung der Abgeordnete Laster den Erfolg gehabt, an
einer anderen Stelle eine erhebliche Verschlechterung anzubringen. Der § 25
hatte nach den Beschlüssen der zweiten Lesung für sämmtliche Oberbeamte der
Reichsregierung dem Kaiser das Recht der Versetzung in den Ruhestand mit
Wartegeld verliehen. Dies muß so sein, wenn die Reichsregierung ein Orga¬
nismus aus Einem Guß, belebt von Einer Seele sein soll. Und wenn sie
das nicht ist, dann würde das Reich aufhören zu leben, bevor es mit feiner
inneren Gestaltung fertig geworden. Allein Herr Laster hat unglücklicherweise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/512>, abgerufen am 24.05.2024.