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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Dieser eiserne rücksichtslose Charakter war das Haupt der antifranzösischen
Partei in Bern. Unterdessen befand sich Madame Perregaux im Bade
Rußwyl bei Luzern, wo sie der Gegenstand zartester Aufmerksamkeit von Seite
des Luzerner Patriciats war. Der französische Gesandte hatte sie gleich anfangs
aufgefordert, sich bald nach Bern zu begeben; er bedürfe nothwendig ihrer
Mittheilungen. Nach dem am 11. September 1689 von Vevey aus erfolgten
Einbruch der Waldenser in Savoyen, von dem er überrascht worden, ließ er
ihr durch seinen Secretär sein Bedauern ausdrücken, daß er in Betreff dieses
wichtigen Vorgangs ihre Mittheilungen habe entbehren müssen. Sie siedelte
daher, noch krank, sofort nach Bern über, nahm ihre Wohnung bei einer
Wittwe in einem abgelegenen Winkel der Stadt, um ja nicht die öffentliche
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und suchte durch Geschenke und Dienst¬
leistungen einflußreiche Personen in ihr Interesse zu ziehen. So hatte sie sich
für Frau Balthasar von Luzern, Gattin des Obersten Balthasar, welche mit
ihren eignen Söhnen einen Prozeß führte, beim französischen Gesandten ver¬
wendet und empfing krank in ihrem Bette liegend den Besuch dieser Dame.
Diese legte ihr die Antwort Amelots auf den Tisch neben das Bett. Da
trat verhängnißvoller Weise ein Verwandter in ihr Zimmer, wird des Briefes
und seines Siegels ansichtig und rief mit bedeutungsvollen Blick aus:
"Ich erkenne an dieser Sonne, welche drei Herzen erleuchtet, daß dieser Brief
von Seiner Excellenz, dem Gesandten Frankreichs, kommt."

Voll patriotischen Zornes im Herzen entfernte er sich, und machte An¬
zeige bei den beiden "Heimlichern" Johann Franz Ryhiner und Johann H.
Ernst, gewesener Landvogt von Fraubrunnen. Der "geheime Rath" war
nämlich gleichsam das Staatsministerium des alten Bern. Eine der wichtigsten
Kammern des täglichen Raths, bestand er aus dem jeweiligen nicht regierenden
Schultheißen, dem Deutschsäckelmeister (Schatzmeister), den vier Vennern und
den beiden "Heimlichern", das heißt den Repräsentanten des großen Raths
der Zweihundert, welche als Vertreter dieser obersten souveränen Behörde im
täglichen Rathe saßen. Daher die Anklage gerade bei Gliedern dieser Behörde.
Geheimes Einverständniß mit Frankreich galt, wie schon bemerkt, in jenem
Augenblick der feindseligsten Stimmung des ganzen Landes gegen den ver¬
folgungssüchtigen König Ludwig als schwerer Landesverrat!). Die beiden Heim¬
licher beriethen sich mit den übrigen Gegnern der französischen Partei und
ließen im Einverständniß mit diesen den von der Madame Perregaux an
den Gesandten in Solothurn abgeordneten Courier auffangen. Man fand
drei bis vier prachtvolle Täfelchen mit'silbernem Blatt und goldenem Rand
-- trois MAAwöcillLS tMettcs a xl^ne ä'argönt bora^W ä'or -- welche
Antworten der ersten Magistrate Beruf auf gewisse Anfragen des Gesandten
enthielten. Allein ohne Schlüssel konnte man nicht wissen, von wem die An-


Dieser eiserne rücksichtslose Charakter war das Haupt der antifranzösischen
Partei in Bern. Unterdessen befand sich Madame Perregaux im Bade
Rußwyl bei Luzern, wo sie der Gegenstand zartester Aufmerksamkeit von Seite
des Luzerner Patriciats war. Der französische Gesandte hatte sie gleich anfangs
aufgefordert, sich bald nach Bern zu begeben; er bedürfe nothwendig ihrer
Mittheilungen. Nach dem am 11. September 1689 von Vevey aus erfolgten
Einbruch der Waldenser in Savoyen, von dem er überrascht worden, ließ er
ihr durch seinen Secretär sein Bedauern ausdrücken, daß er in Betreff dieses
wichtigen Vorgangs ihre Mittheilungen habe entbehren müssen. Sie siedelte
daher, noch krank, sofort nach Bern über, nahm ihre Wohnung bei einer
Wittwe in einem abgelegenen Winkel der Stadt, um ja nicht die öffentliche
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und suchte durch Geschenke und Dienst¬
leistungen einflußreiche Personen in ihr Interesse zu ziehen. So hatte sie sich
für Frau Balthasar von Luzern, Gattin des Obersten Balthasar, welche mit
ihren eignen Söhnen einen Prozeß führte, beim französischen Gesandten ver¬
wendet und empfing krank in ihrem Bette liegend den Besuch dieser Dame.
Diese legte ihr die Antwort Amelots auf den Tisch neben das Bett. Da
trat verhängnißvoller Weise ein Verwandter in ihr Zimmer, wird des Briefes
und seines Siegels ansichtig und rief mit bedeutungsvollen Blick aus:
„Ich erkenne an dieser Sonne, welche drei Herzen erleuchtet, daß dieser Brief
von Seiner Excellenz, dem Gesandten Frankreichs, kommt."

Voll patriotischen Zornes im Herzen entfernte er sich, und machte An¬
zeige bei den beiden „Heimlichern" Johann Franz Ryhiner und Johann H.
Ernst, gewesener Landvogt von Fraubrunnen. Der „geheime Rath" war
nämlich gleichsam das Staatsministerium des alten Bern. Eine der wichtigsten
Kammern des täglichen Raths, bestand er aus dem jeweiligen nicht regierenden
Schultheißen, dem Deutschsäckelmeister (Schatzmeister), den vier Vennern und
den beiden „Heimlichern", das heißt den Repräsentanten des großen Raths
der Zweihundert, welche als Vertreter dieser obersten souveränen Behörde im
täglichen Rathe saßen. Daher die Anklage gerade bei Gliedern dieser Behörde.
Geheimes Einverständniß mit Frankreich galt, wie schon bemerkt, in jenem
Augenblick der feindseligsten Stimmung des ganzen Landes gegen den ver¬
folgungssüchtigen König Ludwig als schwerer Landesverrat!). Die beiden Heim¬
licher beriethen sich mit den übrigen Gegnern der französischen Partei und
ließen im Einverständniß mit diesen den von der Madame Perregaux an
den Gesandten in Solothurn abgeordneten Courier auffangen. Man fand
drei bis vier prachtvolle Täfelchen mit'silbernem Blatt und goldenem Rand
— trois MAAwöcillLS tMettcs a xl^ne ä'argönt bora^W ä'or — welche
Antworten der ersten Magistrate Beruf auf gewisse Anfragen des Gesandten
enthielten. Allein ohne Schlüssel konnte man nicht wissen, von wem die An-


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[0139] Dieser eiserne rücksichtslose Charakter war das Haupt der antifranzösischen Partei in Bern. Unterdessen befand sich Madame Perregaux im Bade Rußwyl bei Luzern, wo sie der Gegenstand zartester Aufmerksamkeit von Seite des Luzerner Patriciats war. Der französische Gesandte hatte sie gleich anfangs aufgefordert, sich bald nach Bern zu begeben; er bedürfe nothwendig ihrer Mittheilungen. Nach dem am 11. September 1689 von Vevey aus erfolgten Einbruch der Waldenser in Savoyen, von dem er überrascht worden, ließ er ihr durch seinen Secretär sein Bedauern ausdrücken, daß er in Betreff dieses wichtigen Vorgangs ihre Mittheilungen habe entbehren müssen. Sie siedelte daher, noch krank, sofort nach Bern über, nahm ihre Wohnung bei einer Wittwe in einem abgelegenen Winkel der Stadt, um ja nicht die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und suchte durch Geschenke und Dienst¬ leistungen einflußreiche Personen in ihr Interesse zu ziehen. So hatte sie sich für Frau Balthasar von Luzern, Gattin des Obersten Balthasar, welche mit ihren eignen Söhnen einen Prozeß führte, beim französischen Gesandten ver¬ wendet und empfing krank in ihrem Bette liegend den Besuch dieser Dame. Diese legte ihr die Antwort Amelots auf den Tisch neben das Bett. Da trat verhängnißvoller Weise ein Verwandter in ihr Zimmer, wird des Briefes und seines Siegels ansichtig und rief mit bedeutungsvollen Blick aus: „Ich erkenne an dieser Sonne, welche drei Herzen erleuchtet, daß dieser Brief von Seiner Excellenz, dem Gesandten Frankreichs, kommt." Voll patriotischen Zornes im Herzen entfernte er sich, und machte An¬ zeige bei den beiden „Heimlichern" Johann Franz Ryhiner und Johann H. Ernst, gewesener Landvogt von Fraubrunnen. Der „geheime Rath" war nämlich gleichsam das Staatsministerium des alten Bern. Eine der wichtigsten Kammern des täglichen Raths, bestand er aus dem jeweiligen nicht regierenden Schultheißen, dem Deutschsäckelmeister (Schatzmeister), den vier Vennern und den beiden „Heimlichern", das heißt den Repräsentanten des großen Raths der Zweihundert, welche als Vertreter dieser obersten souveränen Behörde im täglichen Rathe saßen. Daher die Anklage gerade bei Gliedern dieser Behörde. Geheimes Einverständniß mit Frankreich galt, wie schon bemerkt, in jenem Augenblick der feindseligsten Stimmung des ganzen Landes gegen den ver¬ folgungssüchtigen König Ludwig als schwerer Landesverrat!). Die beiden Heim¬ licher beriethen sich mit den übrigen Gegnern der französischen Partei und ließen im Einverständniß mit diesen den von der Madame Perregaux an den Gesandten in Solothurn abgeordneten Courier auffangen. Man fand drei bis vier prachtvolle Täfelchen mit'silbernem Blatt und goldenem Rand — trois MAAwöcillLS tMettcs a xl^ne ä'argönt bora^W ä'or — welche Antworten der ersten Magistrate Beruf auf gewisse Anfragen des Gesandten enthielten. Allein ohne Schlüssel konnte man nicht wissen, von wem die An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/139>, abgerufen am 22.05.2024.