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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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samen Zahnschmerzen wenig Plaisir gehabt; der Herr Pastor aber recouragirte
mich bis Bardewick zu Patientiren, weil daselbst ein braver Feldscherer war,
der auch, wie wir daselbst ankamen und wegen des harten Donner- und
Regenwetters unter eine Scheune fahren und warten mußten, mir da den Zahn,
der meistentheils angegangen und faul war, mit fünf bis sechs Mal Ansetzen
glücklich herauszog. Er mußte bekennen, daß er lange Keinen gehabt, der so
brav ausgehalten.

Bardewick ist vor diesem eine große Stadt gewesen, anjetzo aber ein
offener Flecken, hat noch eine große Kirche, der Dom genannt, worin viele
Antiquitäten zu sehen. Des Abends arrivirten wir glücklich in Lüneburg und
waren in ein gutes Wirthshaus logiret.

Lüneburg ist eine ziemlich große und wohlbefestigte Stadt. Die Kirchen
zu Se. Johannis, Se. Michaelis und anderen mehr sind resvectabel. Aus
letzterer wurde anno 1698 den 4 Martino eine köstliche mit Gold überzogene
und mit vielen Edelsteinen besetzte Tafel nebst anderen Kostbarkeiten gestohlen.
An der einen Seite der Stadt lieget der Kalkberg und oben darauf ein alt
verfallen Schloß und auf der andern Seiteznicht weit von der Stadt das berühmte
Jungfernkloster Lühne. Die meiste Commerce bestehet in Salz, welches da¬
selbst schon 700 Jahre bestehet. Man saget, daß ein Schwein zu dessen Fund
Anlaß gegeben. Es bestehet in 62 Salzhütten und in jeder sind drei Kerls,
welche Tag und Nacht arbeiten. Mitten in ist die Salzquelle. Es ist nur
ein Tag im Jahre, daß nicht darin gearbeitet wird, sonst allezeit. Es sitzet
fast den ganzen Tag ein Aufseher bei der Quelle, der jährlich 600 Thaler
Besoldung erhält. Es wird schrecklich viel Holz daselbst consumiret und jede
Hütte kostet jährlich ungefähr 2600 Thaler zu unterhalten.

Wir fuhren des Nachmittags den 26. July wieder von dannen über die
Vardwicksche Landwehr und blieben die Nacht über in einem Bauernhaus.
Des andern Tages waren wir um 9 Uhr zum Hoop, mußten aber an die
2 Stunden warten, bevor die Fähre wegen contrairem Windes herüberkommen
konnte. Wir fuhren mit einem halben Segel in einer Viertelstunde über nach dem
Pollenspieker und von da durch den alten Gamin nach Bergedorf, wo der
Amtmann über die Vierländer wohnt. Dieses ist ein hübsches Städtchen.
Von da kamen wir nach Bellwerder, speiseten da in einem guten Wirthshaus,
machten uns zu guter Letzt noch rechtschaffen lustig und fuhren Abends nach
Hause.




samen Zahnschmerzen wenig Plaisir gehabt; der Herr Pastor aber recouragirte
mich bis Bardewick zu Patientiren, weil daselbst ein braver Feldscherer war,
der auch, wie wir daselbst ankamen und wegen des harten Donner- und
Regenwetters unter eine Scheune fahren und warten mußten, mir da den Zahn,
der meistentheils angegangen und faul war, mit fünf bis sechs Mal Ansetzen
glücklich herauszog. Er mußte bekennen, daß er lange Keinen gehabt, der so
brav ausgehalten.

Bardewick ist vor diesem eine große Stadt gewesen, anjetzo aber ein
offener Flecken, hat noch eine große Kirche, der Dom genannt, worin viele
Antiquitäten zu sehen. Des Abends arrivirten wir glücklich in Lüneburg und
waren in ein gutes Wirthshaus logiret.

Lüneburg ist eine ziemlich große und wohlbefestigte Stadt. Die Kirchen
zu Se. Johannis, Se. Michaelis und anderen mehr sind resvectabel. Aus
letzterer wurde anno 1698 den 4 Martino eine köstliche mit Gold überzogene
und mit vielen Edelsteinen besetzte Tafel nebst anderen Kostbarkeiten gestohlen.
An der einen Seite der Stadt lieget der Kalkberg und oben darauf ein alt
verfallen Schloß und auf der andern Seiteznicht weit von der Stadt das berühmte
Jungfernkloster Lühne. Die meiste Commerce bestehet in Salz, welches da¬
selbst schon 700 Jahre bestehet. Man saget, daß ein Schwein zu dessen Fund
Anlaß gegeben. Es bestehet in 62 Salzhütten und in jeder sind drei Kerls,
welche Tag und Nacht arbeiten. Mitten in ist die Salzquelle. Es ist nur
ein Tag im Jahre, daß nicht darin gearbeitet wird, sonst allezeit. Es sitzet
fast den ganzen Tag ein Aufseher bei der Quelle, der jährlich 600 Thaler
Besoldung erhält. Es wird schrecklich viel Holz daselbst consumiret und jede
Hütte kostet jährlich ungefähr 2600 Thaler zu unterhalten.

Wir fuhren des Nachmittags den 26. July wieder von dannen über die
Vardwicksche Landwehr und blieben die Nacht über in einem Bauernhaus.
Des andern Tages waren wir um 9 Uhr zum Hoop, mußten aber an die
2 Stunden warten, bevor die Fähre wegen contrairem Windes herüberkommen
konnte. Wir fuhren mit einem halben Segel in einer Viertelstunde über nach dem
Pollenspieker und von da durch den alten Gamin nach Bergedorf, wo der
Amtmann über die Vierländer wohnt. Dieses ist ein hübsches Städtchen.
Von da kamen wir nach Bellwerder, speiseten da in einem guten Wirthshaus,
machten uns zu guter Letzt noch rechtschaffen lustig und fuhren Abends nach
Hause.




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[0267] samen Zahnschmerzen wenig Plaisir gehabt; der Herr Pastor aber recouragirte mich bis Bardewick zu Patientiren, weil daselbst ein braver Feldscherer war, der auch, wie wir daselbst ankamen und wegen des harten Donner- und Regenwetters unter eine Scheune fahren und warten mußten, mir da den Zahn, der meistentheils angegangen und faul war, mit fünf bis sechs Mal Ansetzen glücklich herauszog. Er mußte bekennen, daß er lange Keinen gehabt, der so brav ausgehalten. Bardewick ist vor diesem eine große Stadt gewesen, anjetzo aber ein offener Flecken, hat noch eine große Kirche, der Dom genannt, worin viele Antiquitäten zu sehen. Des Abends arrivirten wir glücklich in Lüneburg und waren in ein gutes Wirthshaus logiret. Lüneburg ist eine ziemlich große und wohlbefestigte Stadt. Die Kirchen zu Se. Johannis, Se. Michaelis und anderen mehr sind resvectabel. Aus letzterer wurde anno 1698 den 4 Martino eine köstliche mit Gold überzogene und mit vielen Edelsteinen besetzte Tafel nebst anderen Kostbarkeiten gestohlen. An der einen Seite der Stadt lieget der Kalkberg und oben darauf ein alt verfallen Schloß und auf der andern Seiteznicht weit von der Stadt das berühmte Jungfernkloster Lühne. Die meiste Commerce bestehet in Salz, welches da¬ selbst schon 700 Jahre bestehet. Man saget, daß ein Schwein zu dessen Fund Anlaß gegeben. Es bestehet in 62 Salzhütten und in jeder sind drei Kerls, welche Tag und Nacht arbeiten. Mitten in ist die Salzquelle. Es ist nur ein Tag im Jahre, daß nicht darin gearbeitet wird, sonst allezeit. Es sitzet fast den ganzen Tag ein Aufseher bei der Quelle, der jährlich 600 Thaler Besoldung erhält. Es wird schrecklich viel Holz daselbst consumiret und jede Hütte kostet jährlich ungefähr 2600 Thaler zu unterhalten. Wir fuhren des Nachmittags den 26. July wieder von dannen über die Vardwicksche Landwehr und blieben die Nacht über in einem Bauernhaus. Des andern Tages waren wir um 9 Uhr zum Hoop, mußten aber an die 2 Stunden warten, bevor die Fähre wegen contrairem Windes herüberkommen konnte. Wir fuhren mit einem halben Segel in einer Viertelstunde über nach dem Pollenspieker und von da durch den alten Gamin nach Bergedorf, wo der Amtmann über die Vierländer wohnt. Dieses ist ein hübsches Städtchen. Von da kamen wir nach Bellwerder, speiseten da in einem guten Wirthshaus, machten uns zu guter Letzt noch rechtschaffen lustig und fuhren Abends nach Hause.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/267>, abgerufen am 21.05.2024.