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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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funden noch auch Neigung gezeigt, sich solche militärische Institutionen zu
geben, welche die Theilnahme Aller am Kriegsdienst, wie sie sich
factisch in den verhängnisvollen Momenten von 1793, 1809, 1813 und
1814 ergab, auch gesetzlich zu regeln. Stets war es nur die Gewalt des
Herrschers, sei dieser nun ein vielköpfiger Convent oder ein kaiserlicher
Despot, der die Franzosen vorübergehend zur allgemeinen Wehrpflicht zwang.
-- Man hat behauptet, Napoleon habe den Schlund der Revolution geschlossen.
Das ist falsch. Er führte sie vielmehr, zumal in militärischer Beziehung,
gerade dahin zurück, von wo sie ausgegangen ist. Das Jahr 1814 bietet das
gleiche Schauspiel frevelhaften Verräthers und Verlassens der bestehenden Re¬
gierung wie das Jahr 1793, und es bringt Massenaushebungen, ja sogar
eine 1co6s en masse, wie eben jenes Jahr 93 -- die levee freilich in anderem
Sinne als damals. Denn 1793 war ihre "Idee" eine weltpolitische, so un¬
genügend sich auch die Ausführung erwies, so wenig auch die Faiseurs durch¬
drungen waren von jener Idee; 1814 aber trug sie den Charakter ganz localer
Bewegungen auf dem von der Invasion heimgesuchten Gebiete, im Einzelnen
dagegen war sie kräftiger. -- Was Napoleon stürzte, das war, abgesehen von
der entschlossenen Willenskraft der Preußen und der Feindschaft des empörten
Europa, der Haß, den er in Frankreich gesät. Und dieser Haß concen-
trirte sich um die Kriegsleistungen, um die Wehrpflicht. Wie
Frankreich in dieser Beziehung empfand, das sprach mit lauter Stimme Cha¬
teaubriand aus in der glühenden Flugschrift: "Von Buonaparte und den
Bourbonen", die am 4. April 1814 erschien. Da heißt es: "Die Geschlechter
Frankreichs waren in Schläge abgetheilt wie die Bäume eines Waldes: jedes
Jahr wurden 80,000 junge Leute umgeschlagen. Doch das war nur der re¬
gelmäßige Schlag: oft wurde die Conscription verdoppelt oder durch außer¬
ordentliche Aushebungen verstärkt; oft fraß sie zum Voraus die künftigen
Opfer wie ein Verschwender von seinen künftigen Einnahmen borgt: man
nahm endlich, ohne zu zählen! -- Das traurigste an dieser Conscription war
aber, daß sie Europa der Barbarei entgegenführte. Ein Jüngling, der im
achtzehnten Jahre sterben muß, widmet sich keinen Studien mehr; auch die
anderen Völker, aus Nothwehr zu den gleichen Mitteln gezwungen, mußten
die Civilisation verlassen. Sogar das Familienband löste sich auf: in den
Volksklassen verwandten die Eltern keine Sorge auf Kinder, die sie ja doch
verlieren mußten."

Wer diese Apostrophe aufmerksam liest, der erkennt darin nicht nur die
Verurteilung des napoleonischen Verfahrens, sondern auch einen entschiedenen
Protest gegen die allgemeine Wehrpflicht.




Gmizlwten IN. 1872.48

funden noch auch Neigung gezeigt, sich solche militärische Institutionen zu
geben, welche die Theilnahme Aller am Kriegsdienst, wie sie sich
factisch in den verhängnisvollen Momenten von 1793, 1809, 1813 und
1814 ergab, auch gesetzlich zu regeln. Stets war es nur die Gewalt des
Herrschers, sei dieser nun ein vielköpfiger Convent oder ein kaiserlicher
Despot, der die Franzosen vorübergehend zur allgemeinen Wehrpflicht zwang.
— Man hat behauptet, Napoleon habe den Schlund der Revolution geschlossen.
Das ist falsch. Er führte sie vielmehr, zumal in militärischer Beziehung,
gerade dahin zurück, von wo sie ausgegangen ist. Das Jahr 1814 bietet das
gleiche Schauspiel frevelhaften Verräthers und Verlassens der bestehenden Re¬
gierung wie das Jahr 1793, und es bringt Massenaushebungen, ja sogar
eine 1co6s en masse, wie eben jenes Jahr 93 — die levee freilich in anderem
Sinne als damals. Denn 1793 war ihre „Idee" eine weltpolitische, so un¬
genügend sich auch die Ausführung erwies, so wenig auch die Faiseurs durch¬
drungen waren von jener Idee; 1814 aber trug sie den Charakter ganz localer
Bewegungen auf dem von der Invasion heimgesuchten Gebiete, im Einzelnen
dagegen war sie kräftiger. — Was Napoleon stürzte, das war, abgesehen von
der entschlossenen Willenskraft der Preußen und der Feindschaft des empörten
Europa, der Haß, den er in Frankreich gesät. Und dieser Haß concen-
trirte sich um die Kriegsleistungen, um die Wehrpflicht. Wie
Frankreich in dieser Beziehung empfand, das sprach mit lauter Stimme Cha¬
teaubriand aus in der glühenden Flugschrift: „Von Buonaparte und den
Bourbonen", die am 4. April 1814 erschien. Da heißt es: „Die Geschlechter
Frankreichs waren in Schläge abgetheilt wie die Bäume eines Waldes: jedes
Jahr wurden 80,000 junge Leute umgeschlagen. Doch das war nur der re¬
gelmäßige Schlag: oft wurde die Conscription verdoppelt oder durch außer¬
ordentliche Aushebungen verstärkt; oft fraß sie zum Voraus die künftigen
Opfer wie ein Verschwender von seinen künftigen Einnahmen borgt: man
nahm endlich, ohne zu zählen! — Das traurigste an dieser Conscription war
aber, daß sie Europa der Barbarei entgegenführte. Ein Jüngling, der im
achtzehnten Jahre sterben muß, widmet sich keinen Studien mehr; auch die
anderen Völker, aus Nothwehr zu den gleichen Mitteln gezwungen, mußten
die Civilisation verlassen. Sogar das Familienband löste sich auf: in den
Volksklassen verwandten die Eltern keine Sorge auf Kinder, die sie ja doch
verlieren mußten."

Wer diese Apostrophe aufmerksam liest, der erkennt darin nicht nur die
Verurteilung des napoleonischen Verfahrens, sondern auch einen entschiedenen
Protest gegen die allgemeine Wehrpflicht.




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[0377] funden noch auch Neigung gezeigt, sich solche militärische Institutionen zu geben, welche die Theilnahme Aller am Kriegsdienst, wie sie sich factisch in den verhängnisvollen Momenten von 1793, 1809, 1813 und 1814 ergab, auch gesetzlich zu regeln. Stets war es nur die Gewalt des Herrschers, sei dieser nun ein vielköpfiger Convent oder ein kaiserlicher Despot, der die Franzosen vorübergehend zur allgemeinen Wehrpflicht zwang. — Man hat behauptet, Napoleon habe den Schlund der Revolution geschlossen. Das ist falsch. Er führte sie vielmehr, zumal in militärischer Beziehung, gerade dahin zurück, von wo sie ausgegangen ist. Das Jahr 1814 bietet das gleiche Schauspiel frevelhaften Verräthers und Verlassens der bestehenden Re¬ gierung wie das Jahr 1793, und es bringt Massenaushebungen, ja sogar eine 1co6s en masse, wie eben jenes Jahr 93 — die levee freilich in anderem Sinne als damals. Denn 1793 war ihre „Idee" eine weltpolitische, so un¬ genügend sich auch die Ausführung erwies, so wenig auch die Faiseurs durch¬ drungen waren von jener Idee; 1814 aber trug sie den Charakter ganz localer Bewegungen auf dem von der Invasion heimgesuchten Gebiete, im Einzelnen dagegen war sie kräftiger. — Was Napoleon stürzte, das war, abgesehen von der entschlossenen Willenskraft der Preußen und der Feindschaft des empörten Europa, der Haß, den er in Frankreich gesät. Und dieser Haß concen- trirte sich um die Kriegsleistungen, um die Wehrpflicht. Wie Frankreich in dieser Beziehung empfand, das sprach mit lauter Stimme Cha¬ teaubriand aus in der glühenden Flugschrift: „Von Buonaparte und den Bourbonen", die am 4. April 1814 erschien. Da heißt es: „Die Geschlechter Frankreichs waren in Schläge abgetheilt wie die Bäume eines Waldes: jedes Jahr wurden 80,000 junge Leute umgeschlagen. Doch das war nur der re¬ gelmäßige Schlag: oft wurde die Conscription verdoppelt oder durch außer¬ ordentliche Aushebungen verstärkt; oft fraß sie zum Voraus die künftigen Opfer wie ein Verschwender von seinen künftigen Einnahmen borgt: man nahm endlich, ohne zu zählen! — Das traurigste an dieser Conscription war aber, daß sie Europa der Barbarei entgegenführte. Ein Jüngling, der im achtzehnten Jahre sterben muß, widmet sich keinen Studien mehr; auch die anderen Völker, aus Nothwehr zu den gleichen Mitteln gezwungen, mußten die Civilisation verlassen. Sogar das Familienband löste sich auf: in den Volksklassen verwandten die Eltern keine Sorge auf Kinder, die sie ja doch verlieren mußten." Wer diese Apostrophe aufmerksam liest, der erkennt darin nicht nur die Verurteilung des napoleonischen Verfahrens, sondern auch einen entschiedenen Protest gegen die allgemeine Wehrpflicht. Gmizlwten IN. 1872.48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/377>, abgerufen am 21.05.2024.