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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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des Volksschulgesetzes, die, man sage was man wolle, eine Kränkung der
Majorität der Volksvertretung in sich schließt, der Preis gewesen sei, um wel¬
chen Herr von Zehner und seine Partei sich habe begütigen lassen; allein der
Instinct des Volkes faßt die Sache so auf und sieht in der Gleichzeitigkeit bei-
der Vorgänge einen nothwendigen inneren Zusammenhang. Und wenn die
Partei des Herrn von Zehner in dieser Annullirung des Votums der II.
Kammer nicht gleichfalls eine von der Negierung ihr gewährte Satisfaction
erblicken und sich damit brüsten sollte, so müßte sie mehr Selbstverleugnung
oder mehr Klugheit besitzen, als ich ihr zutraue. Wie dem aber auch sei, die
Wirkung im Volke ist die. welche ich geschildert, und diese Wirkung ist keine
gute.

Möge man dem Volke noch so viel vorreden von der Vortrefflichkeit
des Schulgesetzes und der noch größeren Vortrefflichkeit der anderen, mit dem¬
selben zusammenhängenden Gesetze und ich will diese auch nicht bestreiten, (wie
ja auch Ihr Blatt sie anerkannt, ja mit großer Wärme gerühmt hat) das Volk
wird niemals des peinlichen Gefühls sich entschlagen, daß es alle diese Vor¬
trefflichkeiten doch nur erhalten habe um den Preis einer Erniedrigung und
Demüthigung seiner Vertreter vor den Vertretern einer kleinen privilegir-
ten Minorität im Lande, vor den "Herren auf den hohen Burgen," und
dieses Gefühl wird ihm auch das wirklich Gute an jenen Gesetzen verbittern,
dasjenige aber, was ohnehin schon einen aristokratischen und hochkirchlichen
Beigeschmack hatte, nur noch unschmackhafter und widerwärtiger machen.
Die Hoffnungen auf eine "neue Aera," die Manche an diese Reformgesetze
knüpften, wird sich in ihr Gegentheil, die Furcht vor einer neuen Reaction,
verwandeln. Wir sehen das bereits in einzelnen Aeußerungen hiesiger liberaler
Blätter; das Vertrauen, welches dem Ministerium wenigstens in einigen seiner
Mitglieder, insbesondere dem Minister des Innern, sich zuzuwenden begann,
weil man endlich einmal eine entschiedene Richtung zum Fortschritt in jenem
Beginnen wahrzunehmen glaubte, wird sich getäuscht wieder abwenden, nach¬
dem sich gezeigt hat, daß auch diese Minister entweder nicht den festen Willen
oder nicht die Macht haben, jener Richtung zum Siege zu verhelfen, daß sie
nicht führen, sondern geführt werden, daß hinter Herrn von Gerber Herr
von Erdmannsdorf, hinter Herrn von Nostiz Herr von Zehner als die eigent¬
liche vis moverls zum Vorschein kommt. Besser dann, so sagt man im Volke,
man hätte es gleich direct mit diesen Herren zu thun, als mit einem Mi¬
nisterium, das liberal scheint, es vielleicht auch bis auf einen gewissen Grad
ist. aber nicht den Muth der vollen Consequenz seiner Ansichten und des
standhaften Beharrens bei denselben besitzt, nicht den Muth, mit den eigenen
Entschlüssen zu stehen oder zu fallen. Einem Ministerium Zehner-Erdmanns¬
dorf gegenüber wüßte die liberale Partei klar und zweifelsohne, was sie zu


des Volksschulgesetzes, die, man sage was man wolle, eine Kränkung der
Majorität der Volksvertretung in sich schließt, der Preis gewesen sei, um wel¬
chen Herr von Zehner und seine Partei sich habe begütigen lassen; allein der
Instinct des Volkes faßt die Sache so auf und sieht in der Gleichzeitigkeit bei-
der Vorgänge einen nothwendigen inneren Zusammenhang. Und wenn die
Partei des Herrn von Zehner in dieser Annullirung des Votums der II.
Kammer nicht gleichfalls eine von der Negierung ihr gewährte Satisfaction
erblicken und sich damit brüsten sollte, so müßte sie mehr Selbstverleugnung
oder mehr Klugheit besitzen, als ich ihr zutraue. Wie dem aber auch sei, die
Wirkung im Volke ist die. welche ich geschildert, und diese Wirkung ist keine
gute.

Möge man dem Volke noch so viel vorreden von der Vortrefflichkeit
des Schulgesetzes und der noch größeren Vortrefflichkeit der anderen, mit dem¬
selben zusammenhängenden Gesetze und ich will diese auch nicht bestreiten, (wie
ja auch Ihr Blatt sie anerkannt, ja mit großer Wärme gerühmt hat) das Volk
wird niemals des peinlichen Gefühls sich entschlagen, daß es alle diese Vor¬
trefflichkeiten doch nur erhalten habe um den Preis einer Erniedrigung und
Demüthigung seiner Vertreter vor den Vertretern einer kleinen privilegir-
ten Minorität im Lande, vor den „Herren auf den hohen Burgen," und
dieses Gefühl wird ihm auch das wirklich Gute an jenen Gesetzen verbittern,
dasjenige aber, was ohnehin schon einen aristokratischen und hochkirchlichen
Beigeschmack hatte, nur noch unschmackhafter und widerwärtiger machen.
Die Hoffnungen auf eine „neue Aera," die Manche an diese Reformgesetze
knüpften, wird sich in ihr Gegentheil, die Furcht vor einer neuen Reaction,
verwandeln. Wir sehen das bereits in einzelnen Aeußerungen hiesiger liberaler
Blätter; das Vertrauen, welches dem Ministerium wenigstens in einigen seiner
Mitglieder, insbesondere dem Minister des Innern, sich zuzuwenden begann,
weil man endlich einmal eine entschiedene Richtung zum Fortschritt in jenem
Beginnen wahrzunehmen glaubte, wird sich getäuscht wieder abwenden, nach¬
dem sich gezeigt hat, daß auch diese Minister entweder nicht den festen Willen
oder nicht die Macht haben, jener Richtung zum Siege zu verhelfen, daß sie
nicht führen, sondern geführt werden, daß hinter Herrn von Gerber Herr
von Erdmannsdorf, hinter Herrn von Nostiz Herr von Zehner als die eigent¬
liche vis moverls zum Vorschein kommt. Besser dann, so sagt man im Volke,
man hätte es gleich direct mit diesen Herren zu thun, als mit einem Mi¬
nisterium, das liberal scheint, es vielleicht auch bis auf einen gewissen Grad
ist. aber nicht den Muth der vollen Consequenz seiner Ansichten und des
standhaften Beharrens bei denselben besitzt, nicht den Muth, mit den eigenen
Entschlüssen zu stehen oder zu fallen. Einem Ministerium Zehner-Erdmanns¬
dorf gegenüber wüßte die liberale Partei klar und zweifelsohne, was sie zu


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[0124] des Volksschulgesetzes, die, man sage was man wolle, eine Kränkung der Majorität der Volksvertretung in sich schließt, der Preis gewesen sei, um wel¬ chen Herr von Zehner und seine Partei sich habe begütigen lassen; allein der Instinct des Volkes faßt die Sache so auf und sieht in der Gleichzeitigkeit bei- der Vorgänge einen nothwendigen inneren Zusammenhang. Und wenn die Partei des Herrn von Zehner in dieser Annullirung des Votums der II. Kammer nicht gleichfalls eine von der Negierung ihr gewährte Satisfaction erblicken und sich damit brüsten sollte, so müßte sie mehr Selbstverleugnung oder mehr Klugheit besitzen, als ich ihr zutraue. Wie dem aber auch sei, die Wirkung im Volke ist die. welche ich geschildert, und diese Wirkung ist keine gute. Möge man dem Volke noch so viel vorreden von der Vortrefflichkeit des Schulgesetzes und der noch größeren Vortrefflichkeit der anderen, mit dem¬ selben zusammenhängenden Gesetze und ich will diese auch nicht bestreiten, (wie ja auch Ihr Blatt sie anerkannt, ja mit großer Wärme gerühmt hat) das Volk wird niemals des peinlichen Gefühls sich entschlagen, daß es alle diese Vor¬ trefflichkeiten doch nur erhalten habe um den Preis einer Erniedrigung und Demüthigung seiner Vertreter vor den Vertretern einer kleinen privilegir- ten Minorität im Lande, vor den „Herren auf den hohen Burgen," und dieses Gefühl wird ihm auch das wirklich Gute an jenen Gesetzen verbittern, dasjenige aber, was ohnehin schon einen aristokratischen und hochkirchlichen Beigeschmack hatte, nur noch unschmackhafter und widerwärtiger machen. Die Hoffnungen auf eine „neue Aera," die Manche an diese Reformgesetze knüpften, wird sich in ihr Gegentheil, die Furcht vor einer neuen Reaction, verwandeln. Wir sehen das bereits in einzelnen Aeußerungen hiesiger liberaler Blätter; das Vertrauen, welches dem Ministerium wenigstens in einigen seiner Mitglieder, insbesondere dem Minister des Innern, sich zuzuwenden begann, weil man endlich einmal eine entschiedene Richtung zum Fortschritt in jenem Beginnen wahrzunehmen glaubte, wird sich getäuscht wieder abwenden, nach¬ dem sich gezeigt hat, daß auch diese Minister entweder nicht den festen Willen oder nicht die Macht haben, jener Richtung zum Siege zu verhelfen, daß sie nicht führen, sondern geführt werden, daß hinter Herrn von Gerber Herr von Erdmannsdorf, hinter Herrn von Nostiz Herr von Zehner als die eigent¬ liche vis moverls zum Vorschein kommt. Besser dann, so sagt man im Volke, man hätte es gleich direct mit diesen Herren zu thun, als mit einem Mi¬ nisterium, das liberal scheint, es vielleicht auch bis auf einen gewissen Grad ist. aber nicht den Muth der vollen Consequenz seiner Ansichten und des standhaften Beharrens bei denselben besitzt, nicht den Muth, mit den eigenen Entschlüssen zu stehen oder zu fallen. Einem Ministerium Zehner-Erdmanns¬ dorf gegenüber wüßte die liberale Partei klar und zweifelsohne, was sie zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/124>, abgerufen am 19.05.2024.