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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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So stopft uns das Gedankenloch
Die Basis der Geschichte doch,

greifen sie nach Lautgeklingel oder Bilderpracht, als caxtatio bönevolentiag
für die Verse, die da kommen werden, und die so arm sind an Gedanken,
wie die Kirchenmaus an Kirchengütern. Herr Spindler verschmäht diese Heu¬
chelei. Er kultivirt schon in seinem ersten, durch eine Seitenzahl nicht ent¬
weihten Sonett, die- saftige Pflanze des höheren Blödsinns. "An Edouard
Claparede" haucht er folgende Strophe:


"Denn wahren will ich, den mit güt'ger Hand
Du führtest in des Wissens Tempels Runde,
Den Geistesfunken, der aus Deinem Munde
In meiner Brust ein tiefes Echo fand."

Ein "Geistesfunken", "der aus einem Munde in Andrer Brust ein
tiefes Echo findet", ist wirklich ein recht seltsames Wesen. Karlchen Mieß-
nik vermag sich vielleicht eine Vorstellung davon zu machen.

Was hat uns überhaupt die brutale Thatsache zugezogen, daß unsre
Literatur um dieses Werk vermehrt wurde? Lassen wir den Autor selbst
auf diese wohlaufzuwerfende Frage antworten: "Weiß der Teufel, wie's
kam", sagt er, "genug -- in einer Nacht war's und auf der Eisenbahn
-- es ist auch schon ein paar Jahre her -- da fiel mir ein: "Du könntest
doch eigentlich einmal all Deine Scichelchen sammeln und drucken lassen.
Vielleicht ist doch Einzelnes darunter, was noch wirken könnte und das de߬
halb verdiente, vor gänzlicher Vergessenheit bewahrt zu werden." ... Er
wendet in diesem Monolog sich selbst ein: "Was! in dieser Zeit der politi¬
schen Wandlungen, in der so Viele, die Mäwner schienen, sich als hirn-
und herzlose Schwätzer erweisen, sorglich bemüht, die eigene Vergangenheit
zu vertuschen -- da willst Du schonungslos den eigenen Entwicklungsgang
vor Jedermannes Augen klar legen? mit all seinen früheren Irrthümern, und
ohne nachträglich, von Deinem heutigen Standpunkt aus, beschönigende Cor-
rekturen daran vorzunehmen? Was! In dieser Zeit byzantinischer Speichel¬
leckerei und allgemeiner Charakterlosigkeit willst Du gegen den Strom schwim¬
men ?" . . "Und wenn ich zweifelhaft gewesen wäre und einer Anregung bedurft
hätte, um mein Vorhaben auszuführen, dieser Gedanke, weit entfernt, mich
abzuschrecken, hätte den Ausschlag gegeben."

Also in dem bescheidenen Bewußtsein seiner unwandelbaren Mannes¬
tugend, welche allein gegen den Strom der allgemeinen Charakterlosig¬
keit schwimmt, und indem Herr William Spindler sich selbst das Zeugniß
ausstellt, daß er das Gegentheil derjenigen sei, "die Männer schienen und
sich als Hirn- und herzlose Schwätzer erweisen", gibt Herr Spindler "all seine
Sächelchen" heraus. Das Werk eines so reinen Charakters darf natürlich


Grenzboten 1873. II. 39
So stopft uns das Gedankenloch
Die Basis der Geschichte doch,

greifen sie nach Lautgeklingel oder Bilderpracht, als caxtatio bönevolentiag
für die Verse, die da kommen werden, und die so arm sind an Gedanken,
wie die Kirchenmaus an Kirchengütern. Herr Spindler verschmäht diese Heu¬
chelei. Er kultivirt schon in seinem ersten, durch eine Seitenzahl nicht ent¬
weihten Sonett, die- saftige Pflanze des höheren Blödsinns. „An Edouard
Claparede" haucht er folgende Strophe:


„Denn wahren will ich, den mit güt'ger Hand
Du führtest in des Wissens Tempels Runde,
Den Geistesfunken, der aus Deinem Munde
In meiner Brust ein tiefes Echo fand."

Ein „Geistesfunken", „der aus einem Munde in Andrer Brust ein
tiefes Echo findet", ist wirklich ein recht seltsames Wesen. Karlchen Mieß-
nik vermag sich vielleicht eine Vorstellung davon zu machen.

Was hat uns überhaupt die brutale Thatsache zugezogen, daß unsre
Literatur um dieses Werk vermehrt wurde? Lassen wir den Autor selbst
auf diese wohlaufzuwerfende Frage antworten: „Weiß der Teufel, wie's
kam", sagt er, „genug — in einer Nacht war's und auf der Eisenbahn
— es ist auch schon ein paar Jahre her — da fiel mir ein: „Du könntest
doch eigentlich einmal all Deine Scichelchen sammeln und drucken lassen.
Vielleicht ist doch Einzelnes darunter, was noch wirken könnte und das de߬
halb verdiente, vor gänzlicher Vergessenheit bewahrt zu werden." ... Er
wendet in diesem Monolog sich selbst ein: „Was! in dieser Zeit der politi¬
schen Wandlungen, in der so Viele, die Mäwner schienen, sich als hirn-
und herzlose Schwätzer erweisen, sorglich bemüht, die eigene Vergangenheit
zu vertuschen — da willst Du schonungslos den eigenen Entwicklungsgang
vor Jedermannes Augen klar legen? mit all seinen früheren Irrthümern, und
ohne nachträglich, von Deinem heutigen Standpunkt aus, beschönigende Cor-
rekturen daran vorzunehmen? Was! In dieser Zeit byzantinischer Speichel¬
leckerei und allgemeiner Charakterlosigkeit willst Du gegen den Strom schwim¬
men ?" . . „Und wenn ich zweifelhaft gewesen wäre und einer Anregung bedurft
hätte, um mein Vorhaben auszuführen, dieser Gedanke, weit entfernt, mich
abzuschrecken, hätte den Ausschlag gegeben."

Also in dem bescheidenen Bewußtsein seiner unwandelbaren Mannes¬
tugend, welche allein gegen den Strom der allgemeinen Charakterlosig¬
keit schwimmt, und indem Herr William Spindler sich selbst das Zeugniß
ausstellt, daß er das Gegentheil derjenigen sei, „die Männer schienen und
sich als Hirn- und herzlose Schwätzer erweisen", gibt Herr Spindler „all seine
Sächelchen" heraus. Das Werk eines so reinen Charakters darf natürlich


Grenzboten 1873. II. 39
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[0313] So stopft uns das Gedankenloch Die Basis der Geschichte doch, greifen sie nach Lautgeklingel oder Bilderpracht, als caxtatio bönevolentiag für die Verse, die da kommen werden, und die so arm sind an Gedanken, wie die Kirchenmaus an Kirchengütern. Herr Spindler verschmäht diese Heu¬ chelei. Er kultivirt schon in seinem ersten, durch eine Seitenzahl nicht ent¬ weihten Sonett, die- saftige Pflanze des höheren Blödsinns. „An Edouard Claparede" haucht er folgende Strophe: „Denn wahren will ich, den mit güt'ger Hand Du führtest in des Wissens Tempels Runde, Den Geistesfunken, der aus Deinem Munde In meiner Brust ein tiefes Echo fand." Ein „Geistesfunken", „der aus einem Munde in Andrer Brust ein tiefes Echo findet", ist wirklich ein recht seltsames Wesen. Karlchen Mieß- nik vermag sich vielleicht eine Vorstellung davon zu machen. Was hat uns überhaupt die brutale Thatsache zugezogen, daß unsre Literatur um dieses Werk vermehrt wurde? Lassen wir den Autor selbst auf diese wohlaufzuwerfende Frage antworten: „Weiß der Teufel, wie's kam", sagt er, „genug — in einer Nacht war's und auf der Eisenbahn — es ist auch schon ein paar Jahre her — da fiel mir ein: „Du könntest doch eigentlich einmal all Deine Scichelchen sammeln und drucken lassen. Vielleicht ist doch Einzelnes darunter, was noch wirken könnte und das de߬ halb verdiente, vor gänzlicher Vergessenheit bewahrt zu werden." ... Er wendet in diesem Monolog sich selbst ein: „Was! in dieser Zeit der politi¬ schen Wandlungen, in der so Viele, die Mäwner schienen, sich als hirn- und herzlose Schwätzer erweisen, sorglich bemüht, die eigene Vergangenheit zu vertuschen — da willst Du schonungslos den eigenen Entwicklungsgang vor Jedermannes Augen klar legen? mit all seinen früheren Irrthümern, und ohne nachträglich, von Deinem heutigen Standpunkt aus, beschönigende Cor- rekturen daran vorzunehmen? Was! In dieser Zeit byzantinischer Speichel¬ leckerei und allgemeiner Charakterlosigkeit willst Du gegen den Strom schwim¬ men ?" . . „Und wenn ich zweifelhaft gewesen wäre und einer Anregung bedurft hätte, um mein Vorhaben auszuführen, dieser Gedanke, weit entfernt, mich abzuschrecken, hätte den Ausschlag gegeben." Also in dem bescheidenen Bewußtsein seiner unwandelbaren Mannes¬ tugend, welche allein gegen den Strom der allgemeinen Charakterlosig¬ keit schwimmt, und indem Herr William Spindler sich selbst das Zeugniß ausstellt, daß er das Gegentheil derjenigen sei, „die Männer schienen und sich als Hirn- und herzlose Schwätzer erweisen", gibt Herr Spindler „all seine Sächelchen" heraus. Das Werk eines so reinen Charakters darf natürlich Grenzboten 1873. II. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/313>, abgerufen am 19.05.2024.