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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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Politik zu bezeichnen ist. Dieser von Stephan in das Völkerrecht neu einge-
slchrte Fundamentalsatz des internationalen Verkehrs wurde zuerst in dem
jüngsten deutsch-französischen Postvertrage proklamirt, wo er als ein Sieg
des deutschen Geistes über die noch dem veralteten Mercantilsystem huldigende
Finanzpolitik Frankreichs leuchtet; seitdem ist er, wenn auch zum Theil vor¬
erst nur in der Theorie, allgemein zur Geltung gebracht, und wird nicht ver¬
fehlen, den internationalen Postverkehr von Grund aus umzugestalten, da
kein Kulturstaat sich der Macht der neuen Ideen zu entziehen vermag. Die
Wirkung derselben zeigt sich darin, daß ein Bollwerk nach dem anderen, das
als Verkehrsschranke die Nationen so lange getrennt hat, zusammenstürzt;
ihr letztes Ziel wird die Errichtung einer großen Verkehrgemeinschaft aller
Kulturländer, eine Welt-Postunion, sein, deren Grundlagen Stephan be¬
reits festgestellt hat.

Auch seine neueste Reform, wir meinen die Umgestaltung der Packet-
taxe im Gebiete der deutschen Neichspost, ist von hervorragender Bedeutung.
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn man versuchen wollte, die Wichtig¬
keit der Päckereibeförderung durch die Post weitläufig zu erörtern;
ihr Werth für das wirthschaftliche und sociale Leben springt klar in die
Augen, und die deutsche Post hat das große Verdienst, diesen Zweig des
Verkehrs weit vollkommener ausgebildet zu haben, als es von den Postinsti-
tuten anderer Länder geschehen ist. In vielen auswärtigen Staaten existiren
nur ganz unzureichende Privat-Unternehmungen für diesen Zweck. Bei uns
erfreut jedes noch so entlegene Dorf sich des Genusses einer wohlorganisirten
Packetpost.

Die Benutzung einer solchen dem allgemeinen Bedürfnisse dienenden An¬
stalt hängt, abgesehen von der Pünktlichkeit und Sicherheit ihrer Leistungen,
von einem rationell festgestellten Tarife ab. Man sehe sich die bunt¬
scheckigen Tarife unserer Eisen bahngesellschaften an, man mühe sich
vergeblich ab, die vielgestaltete Skala und die verklausulirten Taxbedingungen
der letzteren zu verstehen, man erinnere sich aller Bemühungen, in dieses Chaos
Einheit zu bringen, und die berechtigten Anforderungen des Verkehrs erfüllt
zu sehen: dann wird man zu würdigen verstehen, was es heißt den Packet,
tarif reformiren, ihn rationell gestalten. Allerdings ist die Reichspost in ihrer
geschlossenen Einheit hierbei in günstigerer Lage; aber denken wir doch daran
weshalb unsere deutsche Eisenbahn-Misere, diese eovckusiv äiviniws constituta,
so lange conservirt und einbalsamirt gehegt wird, und halten wir die That-
fache dagegen: daß im Postwesen Deutschlands vor gar nicht langer Zeit die
Sonderinteressen der Partikularinstitute ebenso freies Spiel hatten, als in un¬
seren jetzigen Eisenbahn-Königreichen. Man schaffe gleiche Einheitim
Eisenbahnwesen, und Deutschland wird aufhören, die Arena für Aus-


Politik zu bezeichnen ist. Dieser von Stephan in das Völkerrecht neu einge-
slchrte Fundamentalsatz des internationalen Verkehrs wurde zuerst in dem
jüngsten deutsch-französischen Postvertrage proklamirt, wo er als ein Sieg
des deutschen Geistes über die noch dem veralteten Mercantilsystem huldigende
Finanzpolitik Frankreichs leuchtet; seitdem ist er, wenn auch zum Theil vor¬
erst nur in der Theorie, allgemein zur Geltung gebracht, und wird nicht ver¬
fehlen, den internationalen Postverkehr von Grund aus umzugestalten, da
kein Kulturstaat sich der Macht der neuen Ideen zu entziehen vermag. Die
Wirkung derselben zeigt sich darin, daß ein Bollwerk nach dem anderen, das
als Verkehrsschranke die Nationen so lange getrennt hat, zusammenstürzt;
ihr letztes Ziel wird die Errichtung einer großen Verkehrgemeinschaft aller
Kulturländer, eine Welt-Postunion, sein, deren Grundlagen Stephan be¬
reits festgestellt hat.

Auch seine neueste Reform, wir meinen die Umgestaltung der Packet-
taxe im Gebiete der deutschen Neichspost, ist von hervorragender Bedeutung.
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn man versuchen wollte, die Wichtig¬
keit der Päckereibeförderung durch die Post weitläufig zu erörtern;
ihr Werth für das wirthschaftliche und sociale Leben springt klar in die
Augen, und die deutsche Post hat das große Verdienst, diesen Zweig des
Verkehrs weit vollkommener ausgebildet zu haben, als es von den Postinsti-
tuten anderer Länder geschehen ist. In vielen auswärtigen Staaten existiren
nur ganz unzureichende Privat-Unternehmungen für diesen Zweck. Bei uns
erfreut jedes noch so entlegene Dorf sich des Genusses einer wohlorganisirten
Packetpost.

Die Benutzung einer solchen dem allgemeinen Bedürfnisse dienenden An¬
stalt hängt, abgesehen von der Pünktlichkeit und Sicherheit ihrer Leistungen,
von einem rationell festgestellten Tarife ab. Man sehe sich die bunt¬
scheckigen Tarife unserer Eisen bahngesellschaften an, man mühe sich
vergeblich ab, die vielgestaltete Skala und die verklausulirten Taxbedingungen
der letzteren zu verstehen, man erinnere sich aller Bemühungen, in dieses Chaos
Einheit zu bringen, und die berechtigten Anforderungen des Verkehrs erfüllt
zu sehen: dann wird man zu würdigen verstehen, was es heißt den Packet,
tarif reformiren, ihn rationell gestalten. Allerdings ist die Reichspost in ihrer
geschlossenen Einheit hierbei in günstigerer Lage; aber denken wir doch daran
weshalb unsere deutsche Eisenbahn-Misere, diese eovckusiv äiviniws constituta,
so lange conservirt und einbalsamirt gehegt wird, und halten wir die That-
fache dagegen: daß im Postwesen Deutschlands vor gar nicht langer Zeit die
Sonderinteressen der Partikularinstitute ebenso freies Spiel hatten, als in un¬
seren jetzigen Eisenbahn-Königreichen. Man schaffe gleiche Einheitim
Eisenbahnwesen, und Deutschland wird aufhören, die Arena für Aus-


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[0427] Politik zu bezeichnen ist. Dieser von Stephan in das Völkerrecht neu einge- slchrte Fundamentalsatz des internationalen Verkehrs wurde zuerst in dem jüngsten deutsch-französischen Postvertrage proklamirt, wo er als ein Sieg des deutschen Geistes über die noch dem veralteten Mercantilsystem huldigende Finanzpolitik Frankreichs leuchtet; seitdem ist er, wenn auch zum Theil vor¬ erst nur in der Theorie, allgemein zur Geltung gebracht, und wird nicht ver¬ fehlen, den internationalen Postverkehr von Grund aus umzugestalten, da kein Kulturstaat sich der Macht der neuen Ideen zu entziehen vermag. Die Wirkung derselben zeigt sich darin, daß ein Bollwerk nach dem anderen, das als Verkehrsschranke die Nationen so lange getrennt hat, zusammenstürzt; ihr letztes Ziel wird die Errichtung einer großen Verkehrgemeinschaft aller Kulturländer, eine Welt-Postunion, sein, deren Grundlagen Stephan be¬ reits festgestellt hat. Auch seine neueste Reform, wir meinen die Umgestaltung der Packet- taxe im Gebiete der deutschen Neichspost, ist von hervorragender Bedeutung. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn man versuchen wollte, die Wichtig¬ keit der Päckereibeförderung durch die Post weitläufig zu erörtern; ihr Werth für das wirthschaftliche und sociale Leben springt klar in die Augen, und die deutsche Post hat das große Verdienst, diesen Zweig des Verkehrs weit vollkommener ausgebildet zu haben, als es von den Postinsti- tuten anderer Länder geschehen ist. In vielen auswärtigen Staaten existiren nur ganz unzureichende Privat-Unternehmungen für diesen Zweck. Bei uns erfreut jedes noch so entlegene Dorf sich des Genusses einer wohlorganisirten Packetpost. Die Benutzung einer solchen dem allgemeinen Bedürfnisse dienenden An¬ stalt hängt, abgesehen von der Pünktlichkeit und Sicherheit ihrer Leistungen, von einem rationell festgestellten Tarife ab. Man sehe sich die bunt¬ scheckigen Tarife unserer Eisen bahngesellschaften an, man mühe sich vergeblich ab, die vielgestaltete Skala und die verklausulirten Taxbedingungen der letzteren zu verstehen, man erinnere sich aller Bemühungen, in dieses Chaos Einheit zu bringen, und die berechtigten Anforderungen des Verkehrs erfüllt zu sehen: dann wird man zu würdigen verstehen, was es heißt den Packet, tarif reformiren, ihn rationell gestalten. Allerdings ist die Reichspost in ihrer geschlossenen Einheit hierbei in günstigerer Lage; aber denken wir doch daran weshalb unsere deutsche Eisenbahn-Misere, diese eovckusiv äiviniws constituta, so lange conservirt und einbalsamirt gehegt wird, und halten wir die That- fache dagegen: daß im Postwesen Deutschlands vor gar nicht langer Zeit die Sonderinteressen der Partikularinstitute ebenso freies Spiel hatten, als in un¬ seren jetzigen Eisenbahn-Königreichen. Man schaffe gleiche Einheitim Eisenbahnwesen, und Deutschland wird aufhören, die Arena für Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/427>, abgerufen am 19.05.2024.