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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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"ersten Grad der Weihe" nennen. Damit ist noch keine formelle, keine posi¬
tive Verpflichtung verbunden, sie legen euch nur eine unsichtbare Schnur um
den Hals, welche sie nach Beliebenund Umständen leichter oder fester schnüren.
Gewöhnlich geht es so zu.

Die frommen Väter oder ihre weltlichen Gehülfen bieten euch Geld unter
günstigeren Bedingungen als andere Darleiher; doch immer nur so viel, als
sie glauben, daß ihr Werth für sie habt. Ihr zweifelt anfangs, doch nehmt
ihr, von den günstigen Bedingungen verlockt oder von Noth gedrängt, schlie߬
lich das Geld. Das ist der "erste Grad der Weihe" zum Unglück, vielleicht
auch zum Glück, wenn ihr eine jesuitische Ader besitzt.

Die Jesuiten leihen nämlich in solchen Fällen blos auf kurze Frist, mit der
Hoffnung sür den Schuldner auf mögliche Erneuerung; doch kommt der Ver¬
falltag, und ihr könnt nicht zahlen, und leiht auch den Anträgen, welche
man euch stellt, kein willfähriges Ohr: so seid ihr in neunundneunzig von
hundert Fällen verloren. Vergebens fleht ihr um Nachsicht, um Gnade; ver¬
gebens stellt ihr die besten Bedingungen: die Gesellschaft Jesu muß und will
nun ihr Geld haben und geht, gewöhnlich mittels eines Strohmanns, aber
stets mit der äußersten Strenge gegen euch vor. Gerichtliche Verfolgung,
Pfändung. Trennung von Haus und Familie und, wo möglich, der Schuld¬
thurm sind euer Loos.

Nur eines kann euch retten: die Affiliation! -- Ja. übergebt euch den
frommen Vätern, werdet Jesuiten im Frack, und alle Verfolgungen hören
mit einem Male auf. Zwar behalten sie den Schuldbrief, um für den Fall
des Bedarfs eine Waffe gegen euch zu haben; doch wenn ihr treu und willig
seid, ist nichts mehr zu fürchten. Freilich müßt ihr Interessen zahlen; hieraus
verzichtet kein Jesuit; allein er wird euch anderwärts so viel gewinnen lassen,
daß ihr es leicht thun könnt.

Seid ihr einmal affiliirt. dann kann es nicht fehlen; ihr erhaltet eurer
socialen Stellung, eurer Bildung angemessene Aemter, werdet zu einträglichen
Unternehmungen beigezogen; der Jesuitenorden versieht euch mit Frauen,
mit Gönnern, Freunden und Freundinnen, mit Gatten für eure Töchter, mit
Gattinnen für eure Söhne und, wenn es euch lieb und nöthig ist, sogar mit
einem liebenswürdigen Schutzengel. Dabei braucht ihr, wie gesagt, weder
besonders religiös noch auffallend tugendhaft zu sein; ja, es giebt manchmal
Umstände, wo das Gegentheil besser, erwünschter ist. Für die verschie¬
denen Dienste, deren die Gesellschaft Jesu bedarf, braucht sie auch Leute ver¬
schiedener Denkungsart. Deshalb und kraft der ausgiebigen Mittel und
vielfachen Wege zu Ehren, Vermögen und Einfluß, rekrutirt sie sich leicht
und schnell: Ehrgeiz, Hab-und Genußsucht führen ihr Gehülfen in Menge zu.


„ersten Grad der Weihe" nennen. Damit ist noch keine formelle, keine posi¬
tive Verpflichtung verbunden, sie legen euch nur eine unsichtbare Schnur um
den Hals, welche sie nach Beliebenund Umständen leichter oder fester schnüren.
Gewöhnlich geht es so zu.

Die frommen Väter oder ihre weltlichen Gehülfen bieten euch Geld unter
günstigeren Bedingungen als andere Darleiher; doch immer nur so viel, als
sie glauben, daß ihr Werth für sie habt. Ihr zweifelt anfangs, doch nehmt
ihr, von den günstigen Bedingungen verlockt oder von Noth gedrängt, schlie߬
lich das Geld. Das ist der „erste Grad der Weihe" zum Unglück, vielleicht
auch zum Glück, wenn ihr eine jesuitische Ader besitzt.

Die Jesuiten leihen nämlich in solchen Fällen blos auf kurze Frist, mit der
Hoffnung sür den Schuldner auf mögliche Erneuerung; doch kommt der Ver¬
falltag, und ihr könnt nicht zahlen, und leiht auch den Anträgen, welche
man euch stellt, kein willfähriges Ohr: so seid ihr in neunundneunzig von
hundert Fällen verloren. Vergebens fleht ihr um Nachsicht, um Gnade; ver¬
gebens stellt ihr die besten Bedingungen: die Gesellschaft Jesu muß und will
nun ihr Geld haben und geht, gewöhnlich mittels eines Strohmanns, aber
stets mit der äußersten Strenge gegen euch vor. Gerichtliche Verfolgung,
Pfändung. Trennung von Haus und Familie und, wo möglich, der Schuld¬
thurm sind euer Loos.

Nur eines kann euch retten: die Affiliation! — Ja. übergebt euch den
frommen Vätern, werdet Jesuiten im Frack, und alle Verfolgungen hören
mit einem Male auf. Zwar behalten sie den Schuldbrief, um für den Fall
des Bedarfs eine Waffe gegen euch zu haben; doch wenn ihr treu und willig
seid, ist nichts mehr zu fürchten. Freilich müßt ihr Interessen zahlen; hieraus
verzichtet kein Jesuit; allein er wird euch anderwärts so viel gewinnen lassen,
daß ihr es leicht thun könnt.

Seid ihr einmal affiliirt. dann kann es nicht fehlen; ihr erhaltet eurer
socialen Stellung, eurer Bildung angemessene Aemter, werdet zu einträglichen
Unternehmungen beigezogen; der Jesuitenorden versieht euch mit Frauen,
mit Gönnern, Freunden und Freundinnen, mit Gatten für eure Töchter, mit
Gattinnen für eure Söhne und, wenn es euch lieb und nöthig ist, sogar mit
einem liebenswürdigen Schutzengel. Dabei braucht ihr, wie gesagt, weder
besonders religiös noch auffallend tugendhaft zu sein; ja, es giebt manchmal
Umstände, wo das Gegentheil besser, erwünschter ist. Für die verschie¬
denen Dienste, deren die Gesellschaft Jesu bedarf, braucht sie auch Leute ver¬
schiedener Denkungsart. Deshalb und kraft der ausgiebigen Mittel und
vielfachen Wege zu Ehren, Vermögen und Einfluß, rekrutirt sie sich leicht
und schnell: Ehrgeiz, Hab-und Genußsucht führen ihr Gehülfen in Menge zu.


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[0151] „ersten Grad der Weihe" nennen. Damit ist noch keine formelle, keine posi¬ tive Verpflichtung verbunden, sie legen euch nur eine unsichtbare Schnur um den Hals, welche sie nach Beliebenund Umständen leichter oder fester schnüren. Gewöhnlich geht es so zu. Die frommen Väter oder ihre weltlichen Gehülfen bieten euch Geld unter günstigeren Bedingungen als andere Darleiher; doch immer nur so viel, als sie glauben, daß ihr Werth für sie habt. Ihr zweifelt anfangs, doch nehmt ihr, von den günstigen Bedingungen verlockt oder von Noth gedrängt, schlie߬ lich das Geld. Das ist der „erste Grad der Weihe" zum Unglück, vielleicht auch zum Glück, wenn ihr eine jesuitische Ader besitzt. Die Jesuiten leihen nämlich in solchen Fällen blos auf kurze Frist, mit der Hoffnung sür den Schuldner auf mögliche Erneuerung; doch kommt der Ver¬ falltag, und ihr könnt nicht zahlen, und leiht auch den Anträgen, welche man euch stellt, kein willfähriges Ohr: so seid ihr in neunundneunzig von hundert Fällen verloren. Vergebens fleht ihr um Nachsicht, um Gnade; ver¬ gebens stellt ihr die besten Bedingungen: die Gesellschaft Jesu muß und will nun ihr Geld haben und geht, gewöhnlich mittels eines Strohmanns, aber stets mit der äußersten Strenge gegen euch vor. Gerichtliche Verfolgung, Pfändung. Trennung von Haus und Familie und, wo möglich, der Schuld¬ thurm sind euer Loos. Nur eines kann euch retten: die Affiliation! — Ja. übergebt euch den frommen Vätern, werdet Jesuiten im Frack, und alle Verfolgungen hören mit einem Male auf. Zwar behalten sie den Schuldbrief, um für den Fall des Bedarfs eine Waffe gegen euch zu haben; doch wenn ihr treu und willig seid, ist nichts mehr zu fürchten. Freilich müßt ihr Interessen zahlen; hieraus verzichtet kein Jesuit; allein er wird euch anderwärts so viel gewinnen lassen, daß ihr es leicht thun könnt. Seid ihr einmal affiliirt. dann kann es nicht fehlen; ihr erhaltet eurer socialen Stellung, eurer Bildung angemessene Aemter, werdet zu einträglichen Unternehmungen beigezogen; der Jesuitenorden versieht euch mit Frauen, mit Gönnern, Freunden und Freundinnen, mit Gatten für eure Töchter, mit Gattinnen für eure Söhne und, wenn es euch lieb und nöthig ist, sogar mit einem liebenswürdigen Schutzengel. Dabei braucht ihr, wie gesagt, weder besonders religiös noch auffallend tugendhaft zu sein; ja, es giebt manchmal Umstände, wo das Gegentheil besser, erwünschter ist. Für die verschie¬ denen Dienste, deren die Gesellschaft Jesu bedarf, braucht sie auch Leute ver¬ schiedener Denkungsart. Deshalb und kraft der ausgiebigen Mittel und vielfachen Wege zu Ehren, Vermögen und Einfluß, rekrutirt sie sich leicht und schnell: Ehrgeiz, Hab-und Genußsucht führen ihr Gehülfen in Menge zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/151>, abgerufen am 11.06.2024.