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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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Die französische Presse über den Briefwechsel zwischen
Kaiser und Mpst. -

Daß heute in Frankreich so leicht Niemand einen Feind Deutschlands ver-
urtheilen wird, und wäre dieser Feind noch so ungeschickt, noch so tadelnswert!),
das ist am Ende begreiflich. Aber wenn der Feind Deutschlands zugleich in
einem gewissen Grade der Feind aller Welt ist, dann mag man sich doch einiger¬
maßen wundern über eine Verblendung, die gegen ihr eigenes Fleisch wüthet
in dem leeren Wahn, auf diese Weise dem gehaßtesten Feind schaden zu können.
Frankreich hofft in dem Papst einen Bundesgenossen gegen Deutschland zu
besitzen, die französische Verblendung schmeichelt sich, der Papst werde mit den
Schaaren seiner Gläubigen, welche Angehörige des Reiches sind, dieses Reich
lähmen können. Aber wenn er das könnte, hätte er es schon 1870 gethan.
Ueber dieser trügerischen Einbildung vergißt Frankreich, was es für eine mo¬
derne Nation bedeutet, sich dem Papstthum in die Arme zu werfen; was es
bedeutet, an der Spitze der Reaktion zu marschiren, nachdem man sich lange
Jahre eingebildet, an der Spitze der Civilisation zu stehen. Frankreich ver¬
leugnet auf diese Weise den nicht unrühmlichsten Theil seiner Vergangenheit.
Als die deutschen Kaiser dem Papstthum unterlagen, war es ein französischer
König, der die unerträglichen Ansprüche desselben in der Person seines an¬
maßendsten Vertreters, Bonifacius VIII., demüthigte. Lange wurde nun das
Papstthum von Frankreich aus beherrscht. Als dasselbe nach der Refor¬
mation sich mit Hülfe des Jesuitismus in neuer Energie aufgerichtet hatte,
war es Ludwig XIV., der im Jahre 1681 auf jener bekannten Synode die
Selbständigkeit des französischen Staates und der französischen Kirche inner¬
halb der römischen proklamiren ließ. Im 18. Jahrhundert stand Frankreich
an der Spitze des geistigen Kampfes gegen die, wie es schien, verfallende und
wieder einmal vielfach entartete römische Kirche. Das gebildete Europa hallte
wieder von dem französischen Schlachtruf: "Leraseii l'iutame." Die Revo¬
lution übersetzte diesen Schlachtruf aus ihre Weise in die grausame Praxis
und hernach unternahm Napoleon I. den brutalen, aber großartigen Versuch,
das Papstthum zum Werkzeug seiner Politik zu machen. Heute nimmt das
stolze Frankreich mit Freuden die Rolle des Werkzeuges der päpstlichen Po¬
litik an. Dahin sind sie gekommen. IlaliLMt sibi! Und doch möchte man
immer wieder fragen, ob denn unter ihnen keiner da ist, um seinen
Landsleuten zu sagen, daß dieser Bundesgenosse den Franzosen die mo¬
derne Welt entfremdet und gegen Frankreich die stärksten Instinkte
erweckt, von denen diese Welt gelenkt wird. Giebt es keinen Fran¬
zosen, der seinen Landsleuten sagt, welches der Preis ist um den sie


Die französische Presse über den Briefwechsel zwischen
Kaiser und Mpst. -

Daß heute in Frankreich so leicht Niemand einen Feind Deutschlands ver-
urtheilen wird, und wäre dieser Feind noch so ungeschickt, noch so tadelnswert!),
das ist am Ende begreiflich. Aber wenn der Feind Deutschlands zugleich in
einem gewissen Grade der Feind aller Welt ist, dann mag man sich doch einiger¬
maßen wundern über eine Verblendung, die gegen ihr eigenes Fleisch wüthet
in dem leeren Wahn, auf diese Weise dem gehaßtesten Feind schaden zu können.
Frankreich hofft in dem Papst einen Bundesgenossen gegen Deutschland zu
besitzen, die französische Verblendung schmeichelt sich, der Papst werde mit den
Schaaren seiner Gläubigen, welche Angehörige des Reiches sind, dieses Reich
lähmen können. Aber wenn er das könnte, hätte er es schon 1870 gethan.
Ueber dieser trügerischen Einbildung vergißt Frankreich, was es für eine mo¬
derne Nation bedeutet, sich dem Papstthum in die Arme zu werfen; was es
bedeutet, an der Spitze der Reaktion zu marschiren, nachdem man sich lange
Jahre eingebildet, an der Spitze der Civilisation zu stehen. Frankreich ver¬
leugnet auf diese Weise den nicht unrühmlichsten Theil seiner Vergangenheit.
Als die deutschen Kaiser dem Papstthum unterlagen, war es ein französischer
König, der die unerträglichen Ansprüche desselben in der Person seines an¬
maßendsten Vertreters, Bonifacius VIII., demüthigte. Lange wurde nun das
Papstthum von Frankreich aus beherrscht. Als dasselbe nach der Refor¬
mation sich mit Hülfe des Jesuitismus in neuer Energie aufgerichtet hatte,
war es Ludwig XIV., der im Jahre 1681 auf jener bekannten Synode die
Selbständigkeit des französischen Staates und der französischen Kirche inner¬
halb der römischen proklamiren ließ. Im 18. Jahrhundert stand Frankreich
an der Spitze des geistigen Kampfes gegen die, wie es schien, verfallende und
wieder einmal vielfach entartete römische Kirche. Das gebildete Europa hallte
wieder von dem französischen Schlachtruf: «Leraseii l'iutame." Die Revo¬
lution übersetzte diesen Schlachtruf aus ihre Weise in die grausame Praxis
und hernach unternahm Napoleon I. den brutalen, aber großartigen Versuch,
das Papstthum zum Werkzeug seiner Politik zu machen. Heute nimmt das
stolze Frankreich mit Freuden die Rolle des Werkzeuges der päpstlichen Po¬
litik an. Dahin sind sie gekommen. IlaliLMt sibi! Und doch möchte man
immer wieder fragen, ob denn unter ihnen keiner da ist, um seinen
Landsleuten zu sagen, daß dieser Bundesgenosse den Franzosen die mo¬
derne Welt entfremdet und gegen Frankreich die stärksten Instinkte
erweckt, von denen diese Welt gelenkt wird. Giebt es keinen Fran¬
zosen, der seinen Landsleuten sagt, welches der Preis ist um den sie


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[0160] Die französische Presse über den Briefwechsel zwischen Kaiser und Mpst. - Daß heute in Frankreich so leicht Niemand einen Feind Deutschlands ver- urtheilen wird, und wäre dieser Feind noch so ungeschickt, noch so tadelnswert!), das ist am Ende begreiflich. Aber wenn der Feind Deutschlands zugleich in einem gewissen Grade der Feind aller Welt ist, dann mag man sich doch einiger¬ maßen wundern über eine Verblendung, die gegen ihr eigenes Fleisch wüthet in dem leeren Wahn, auf diese Weise dem gehaßtesten Feind schaden zu können. Frankreich hofft in dem Papst einen Bundesgenossen gegen Deutschland zu besitzen, die französische Verblendung schmeichelt sich, der Papst werde mit den Schaaren seiner Gläubigen, welche Angehörige des Reiches sind, dieses Reich lähmen können. Aber wenn er das könnte, hätte er es schon 1870 gethan. Ueber dieser trügerischen Einbildung vergißt Frankreich, was es für eine mo¬ derne Nation bedeutet, sich dem Papstthum in die Arme zu werfen; was es bedeutet, an der Spitze der Reaktion zu marschiren, nachdem man sich lange Jahre eingebildet, an der Spitze der Civilisation zu stehen. Frankreich ver¬ leugnet auf diese Weise den nicht unrühmlichsten Theil seiner Vergangenheit. Als die deutschen Kaiser dem Papstthum unterlagen, war es ein französischer König, der die unerträglichen Ansprüche desselben in der Person seines an¬ maßendsten Vertreters, Bonifacius VIII., demüthigte. Lange wurde nun das Papstthum von Frankreich aus beherrscht. Als dasselbe nach der Refor¬ mation sich mit Hülfe des Jesuitismus in neuer Energie aufgerichtet hatte, war es Ludwig XIV., der im Jahre 1681 auf jener bekannten Synode die Selbständigkeit des französischen Staates und der französischen Kirche inner¬ halb der römischen proklamiren ließ. Im 18. Jahrhundert stand Frankreich an der Spitze des geistigen Kampfes gegen die, wie es schien, verfallende und wieder einmal vielfach entartete römische Kirche. Das gebildete Europa hallte wieder von dem französischen Schlachtruf: «Leraseii l'iutame." Die Revo¬ lution übersetzte diesen Schlachtruf aus ihre Weise in die grausame Praxis und hernach unternahm Napoleon I. den brutalen, aber großartigen Versuch, das Papstthum zum Werkzeug seiner Politik zu machen. Heute nimmt das stolze Frankreich mit Freuden die Rolle des Werkzeuges der päpstlichen Po¬ litik an. Dahin sind sie gekommen. IlaliLMt sibi! Und doch möchte man immer wieder fragen, ob denn unter ihnen keiner da ist, um seinen Landsleuten zu sagen, daß dieser Bundesgenosse den Franzosen die mo¬ derne Welt entfremdet und gegen Frankreich die stärksten Instinkte erweckt, von denen diese Welt gelenkt wird. Giebt es keinen Fran¬ zosen, der seinen Landsleuten sagt, welches der Preis ist um den sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/160>, abgerufen am 11.06.2024.