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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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beiden Gerichten uns vorgesetzt werden wird. Fusion sagen die Einen, Con-
fusion die Andern, die Skeptiker sagen, beides werden wir haben, und noch
Andere sagen, weder das Eine noch das Andere. Diese aber sind Optimisten
und ihnen kann man sagen, was jener Koch den Fischen sagt, die auf seine
Frage, in welcher Sauce sie gegessen sein wollten, zur Antwort gaben, daß
sie gar nicht gegessen werden wollten: "Ihr bleibt nicht bei der Frage."
Ich gehöre zu denen, die an die Alternative glauben, aber an welche? Dar¬
über werde ich Ihnen erst später genauere Auskunft geben können, wenn Sie
sie nicht mehr brauchen. Nach dem Tone der Journale zu urtheilen, muß
die Fusion im Augenblick obenauf sein, denn die orleanistischen Organe ju¬
beln, die ultralegitimistischen brummen, und die republikanischen haben Con-
vulsionen. Und was ist der Knotenpunkt aller dieser Aergste und Nöthen?
Eine Fahne! Will sich Graf Chambord in die Tricolore einwickeln lassen,
oder will er in der Jungfrau von Orleans weißes Banner eingewickelt blei¬
ben ? Und hiervon hängt es ab, welchen Weg die Geschicke, ja die Geschichte
Frankreichs vielleicht für lange Zeit einschlagen soll! Wenn man dem Historiker
Scribe glauben darf, so hat einst ein Glas Wasser in England einen Minister¬
und Systemwechsel herbeigeführt, aber jetzt entscheidet die Farbe eines Lappens
über die Geschicke des schönsten Landes der Welt, und, glauben Sie, es han¬
delt sich hier wirklich nur um die materielle Fahne urrd nicht um das, was
sie bedeutet. Das, was man unter der Tricolore oder unter der weißen
Fahne verstehen kann, darüber ist man ja längst einig, das ist Alles von den
Einen auf-, von den Andern zugegeben, aber die sichtbare, greifbare Fahne,
die Jeder, auch der dümmste Mensch sieht, das ist die wahre Schwierigkeit.
Doch, wie gesagt, ehe Sie diese Zeilen empfangen werden, wird die Lösung
dieser Frage Ihnen bekannt sein, und die Entscheidung der übrigen müssen
wir den nächsten Wochen überlassen.

Der bonapartistische "Gaulois" sagt heute: unter den Bedingungen, die
Graf Chambord in Salzburg gestellt habe, sei eine der ersten die Nieder¬
reißung der Juli-Säule. Das ist natürlich nur ein schlechter Witz, der ein
hübsches Pendant zu Courbet's Abenteuer mit der Vendome-Säule bildet, aber
in dieser extravaganten Voraussetzung liegt doch eine Lehre. Es ist nicht zu
läugnen, daß es sonderbar aussehen wird, wenn Heinrich V. den Thron seiner
Väter bestiegen haben wird, ihn an einer großen Säule vorbeifahren zu sehen,
die einzig und allein aufgestellt worden ist, um die Tage zu verherrlichen und
unvergeßlich zu machen, an denen sein Großvater fortgejagt wurde; und eben¬
so wird er nicht vermeiden können, öfters an der "Rü.e du 29. Juillet" vor¬
beizufahren, die zur Verherrlichung derselben geschichtlichen Thatsache seiner
Zeit so benannt wurde. Beides waren Taktlosigkeiten der Regierung
Ludwig Philipp's; denn wenn auch damals schwerlich Jemand voraussetzen


beiden Gerichten uns vorgesetzt werden wird. Fusion sagen die Einen, Con-
fusion die Andern, die Skeptiker sagen, beides werden wir haben, und noch
Andere sagen, weder das Eine noch das Andere. Diese aber sind Optimisten
und ihnen kann man sagen, was jener Koch den Fischen sagt, die auf seine
Frage, in welcher Sauce sie gegessen sein wollten, zur Antwort gaben, daß
sie gar nicht gegessen werden wollten: „Ihr bleibt nicht bei der Frage."
Ich gehöre zu denen, die an die Alternative glauben, aber an welche? Dar¬
über werde ich Ihnen erst später genauere Auskunft geben können, wenn Sie
sie nicht mehr brauchen. Nach dem Tone der Journale zu urtheilen, muß
die Fusion im Augenblick obenauf sein, denn die orleanistischen Organe ju¬
beln, die ultralegitimistischen brummen, und die republikanischen haben Con-
vulsionen. Und was ist der Knotenpunkt aller dieser Aergste und Nöthen?
Eine Fahne! Will sich Graf Chambord in die Tricolore einwickeln lassen,
oder will er in der Jungfrau von Orleans weißes Banner eingewickelt blei¬
ben ? Und hiervon hängt es ab, welchen Weg die Geschicke, ja die Geschichte
Frankreichs vielleicht für lange Zeit einschlagen soll! Wenn man dem Historiker
Scribe glauben darf, so hat einst ein Glas Wasser in England einen Minister¬
und Systemwechsel herbeigeführt, aber jetzt entscheidet die Farbe eines Lappens
über die Geschicke des schönsten Landes der Welt, und, glauben Sie, es han¬
delt sich hier wirklich nur um die materielle Fahne urrd nicht um das, was
sie bedeutet. Das, was man unter der Tricolore oder unter der weißen
Fahne verstehen kann, darüber ist man ja längst einig, das ist Alles von den
Einen auf-, von den Andern zugegeben, aber die sichtbare, greifbare Fahne,
die Jeder, auch der dümmste Mensch sieht, das ist die wahre Schwierigkeit.
Doch, wie gesagt, ehe Sie diese Zeilen empfangen werden, wird die Lösung
dieser Frage Ihnen bekannt sein, und die Entscheidung der übrigen müssen
wir den nächsten Wochen überlassen.

Der bonapartistische „Gaulois" sagt heute: unter den Bedingungen, die
Graf Chambord in Salzburg gestellt habe, sei eine der ersten die Nieder¬
reißung der Juli-Säule. Das ist natürlich nur ein schlechter Witz, der ein
hübsches Pendant zu Courbet's Abenteuer mit der Vendome-Säule bildet, aber
in dieser extravaganten Voraussetzung liegt doch eine Lehre. Es ist nicht zu
läugnen, daß es sonderbar aussehen wird, wenn Heinrich V. den Thron seiner
Väter bestiegen haben wird, ihn an einer großen Säule vorbeifahren zu sehen,
die einzig und allein aufgestellt worden ist, um die Tage zu verherrlichen und
unvergeßlich zu machen, an denen sein Großvater fortgejagt wurde; und eben¬
so wird er nicht vermeiden können, öfters an der „Rü.e du 29. Juillet" vor¬
beizufahren, die zur Verherrlichung derselben geschichtlichen Thatsache seiner
Zeit so benannt wurde. Beides waren Taktlosigkeiten der Regierung
Ludwig Philipp's; denn wenn auch damals schwerlich Jemand voraussetzen


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[0163] beiden Gerichten uns vorgesetzt werden wird. Fusion sagen die Einen, Con- fusion die Andern, die Skeptiker sagen, beides werden wir haben, und noch Andere sagen, weder das Eine noch das Andere. Diese aber sind Optimisten und ihnen kann man sagen, was jener Koch den Fischen sagt, die auf seine Frage, in welcher Sauce sie gegessen sein wollten, zur Antwort gaben, daß sie gar nicht gegessen werden wollten: „Ihr bleibt nicht bei der Frage." Ich gehöre zu denen, die an die Alternative glauben, aber an welche? Dar¬ über werde ich Ihnen erst später genauere Auskunft geben können, wenn Sie sie nicht mehr brauchen. Nach dem Tone der Journale zu urtheilen, muß die Fusion im Augenblick obenauf sein, denn die orleanistischen Organe ju¬ beln, die ultralegitimistischen brummen, und die republikanischen haben Con- vulsionen. Und was ist der Knotenpunkt aller dieser Aergste und Nöthen? Eine Fahne! Will sich Graf Chambord in die Tricolore einwickeln lassen, oder will er in der Jungfrau von Orleans weißes Banner eingewickelt blei¬ ben ? Und hiervon hängt es ab, welchen Weg die Geschicke, ja die Geschichte Frankreichs vielleicht für lange Zeit einschlagen soll! Wenn man dem Historiker Scribe glauben darf, so hat einst ein Glas Wasser in England einen Minister¬ und Systemwechsel herbeigeführt, aber jetzt entscheidet die Farbe eines Lappens über die Geschicke des schönsten Landes der Welt, und, glauben Sie, es han¬ delt sich hier wirklich nur um die materielle Fahne urrd nicht um das, was sie bedeutet. Das, was man unter der Tricolore oder unter der weißen Fahne verstehen kann, darüber ist man ja längst einig, das ist Alles von den Einen auf-, von den Andern zugegeben, aber die sichtbare, greifbare Fahne, die Jeder, auch der dümmste Mensch sieht, das ist die wahre Schwierigkeit. Doch, wie gesagt, ehe Sie diese Zeilen empfangen werden, wird die Lösung dieser Frage Ihnen bekannt sein, und die Entscheidung der übrigen müssen wir den nächsten Wochen überlassen. Der bonapartistische „Gaulois" sagt heute: unter den Bedingungen, die Graf Chambord in Salzburg gestellt habe, sei eine der ersten die Nieder¬ reißung der Juli-Säule. Das ist natürlich nur ein schlechter Witz, der ein hübsches Pendant zu Courbet's Abenteuer mit der Vendome-Säule bildet, aber in dieser extravaganten Voraussetzung liegt doch eine Lehre. Es ist nicht zu läugnen, daß es sonderbar aussehen wird, wenn Heinrich V. den Thron seiner Väter bestiegen haben wird, ihn an einer großen Säule vorbeifahren zu sehen, die einzig und allein aufgestellt worden ist, um die Tage zu verherrlichen und unvergeßlich zu machen, an denen sein Großvater fortgejagt wurde; und eben¬ so wird er nicht vermeiden können, öfters an der „Rü.e du 29. Juillet" vor¬ beizufahren, die zur Verherrlichung derselben geschichtlichen Thatsache seiner Zeit so benannt wurde. Beides waren Taktlosigkeiten der Regierung Ludwig Philipp's; denn wenn auch damals schwerlich Jemand voraussetzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/163>, abgerufen am 02.06.2024.