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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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die beiden Pole. Die wiederholt gescheiterten Fusionsversuche scheinen die
Unmöglichkeit einer näheren Verbindung dieser beiden Parteien, ihrer Unfähig¬
keit, sich gemeinsam an der Leitung des Staates zu betheiligen, erwiesen zu
haben. Möchte auch für die Ausgleichung der dynastischen Interessen bei der
Kinderlosigkeit des Grafen von Chambord ein Weg vorgezeichnet sein, den
die Orleans, allerdings nicht ohne einen hohen Grad von Selbstverleugnung
beschreiten konnten, wie sollte man die Principien versöhnen, deren Gegensatz
die Parteien trennte? Auf der einen Seite stand das starre Recht des alten
erblichen Königthums, das in dem Grafen von Chambord, dem Komme
prineixs, einen zwar passiven, aber um so unbeugsameren Vertreter gefunden
hatte, auf der andern Seite das parlamentarische System, das Ideal der
Bourgeoisie, die mit gleichem Jngrimme das alte Regime und die Demokratie
haßte. Zwischen diese beiden Extreme trat jetzt als vermittelndes und
bindendes Element die bonapartistische Partei, die in der Nationalversamm¬
lung zu schwach vertreten war, um bei den beiden anderen Fractionen ernste
Besorgnisse zu erwecken, die aber zugleich durch Energie, Rührigkeit und Ge-
schicklichkeit sich ein Ansehen erworben hatte, welches der conservativen Partei
ihre Mitwirkung geradezu unentbehrlich machte. Die Zeiten waren vorüber,
wo sich alle Parteien bei jeder sich darbietenden Gelegenheit die wohlfeile Ge¬
nugthuung bereiteten, den Bonapartismus für todt und begraben zu erklären.
Die kleine parlamentaristische Gruppe der Imperialisten hatte ihre zähe Lebens¬
kraft in wunderbarer Weise bewährt. Sie hatte die Ueberzeugung, diejenige
Form der Monarchie zu vertreten, welche allein auf dem von Revolutionen
durchwühlten Boden Frankreichs feste Wurzeln fassen könne. Die socialen
Ergebnisse der großen Revolution erkannte sie bei weitem rückhaltloser an,
als der Orleanismus, der als der eigentliche Vertreter des Tiers-Etat (wenn
man diesen Ausdruck unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch anwenden
kann) sich stets im schärfsten Gegensatz zu der Demokratie befunden hatte,
während das Gleichheitsprincip eine der Grundsäulen des Bonapartismus ge¬
wesen war. Auf der anderen Seite hatte er das politisch-administrative Cen¬
tralisationsprincip zu einer Vollkommenheit ausgebildet, die im Grunde jedes
andere Regime in Frankreich ebenfalls anstrebte, die aber er allein die
Energie hatte, wirklich zu erreichen. Vielleicht erinnert sich der Leser noch der
Mittheilungen eines amerikanischen Correspondenten über eine Unterredung mit
Gambetta, der in einem unbedachten Augenblick dem zudringlichen Ausfrager
mit naiver Offenherzigkeit seine Ansichten über die den Franzosen angemessenste
Regierungsform entwickelt hatte. Nun, in dem Idealstaat des radicalen Ex¬
Dictators finden wir den ganzen bonapartistischen Apparat wieder, mit dem
einzigen Unterschiede, daß der republikanische Centralist dem erblichen Kaiser
einen gewählten Staatschef substituirt.


Grenzboten IV. 1873. 2

die beiden Pole. Die wiederholt gescheiterten Fusionsversuche scheinen die
Unmöglichkeit einer näheren Verbindung dieser beiden Parteien, ihrer Unfähig¬
keit, sich gemeinsam an der Leitung des Staates zu betheiligen, erwiesen zu
haben. Möchte auch für die Ausgleichung der dynastischen Interessen bei der
Kinderlosigkeit des Grafen von Chambord ein Weg vorgezeichnet sein, den
die Orleans, allerdings nicht ohne einen hohen Grad von Selbstverleugnung
beschreiten konnten, wie sollte man die Principien versöhnen, deren Gegensatz
die Parteien trennte? Auf der einen Seite stand das starre Recht des alten
erblichen Königthums, das in dem Grafen von Chambord, dem Komme
prineixs, einen zwar passiven, aber um so unbeugsameren Vertreter gefunden
hatte, auf der andern Seite das parlamentarische System, das Ideal der
Bourgeoisie, die mit gleichem Jngrimme das alte Regime und die Demokratie
haßte. Zwischen diese beiden Extreme trat jetzt als vermittelndes und
bindendes Element die bonapartistische Partei, die in der Nationalversamm¬
lung zu schwach vertreten war, um bei den beiden anderen Fractionen ernste
Besorgnisse zu erwecken, die aber zugleich durch Energie, Rührigkeit und Ge-
schicklichkeit sich ein Ansehen erworben hatte, welches der conservativen Partei
ihre Mitwirkung geradezu unentbehrlich machte. Die Zeiten waren vorüber,
wo sich alle Parteien bei jeder sich darbietenden Gelegenheit die wohlfeile Ge¬
nugthuung bereiteten, den Bonapartismus für todt und begraben zu erklären.
Die kleine parlamentaristische Gruppe der Imperialisten hatte ihre zähe Lebens¬
kraft in wunderbarer Weise bewährt. Sie hatte die Ueberzeugung, diejenige
Form der Monarchie zu vertreten, welche allein auf dem von Revolutionen
durchwühlten Boden Frankreichs feste Wurzeln fassen könne. Die socialen
Ergebnisse der großen Revolution erkannte sie bei weitem rückhaltloser an,
als der Orleanismus, der als der eigentliche Vertreter des Tiers-Etat (wenn
man diesen Ausdruck unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch anwenden
kann) sich stets im schärfsten Gegensatz zu der Demokratie befunden hatte,
während das Gleichheitsprincip eine der Grundsäulen des Bonapartismus ge¬
wesen war. Auf der anderen Seite hatte er das politisch-administrative Cen¬
tralisationsprincip zu einer Vollkommenheit ausgebildet, die im Grunde jedes
andere Regime in Frankreich ebenfalls anstrebte, die aber er allein die
Energie hatte, wirklich zu erreichen. Vielleicht erinnert sich der Leser noch der
Mittheilungen eines amerikanischen Correspondenten über eine Unterredung mit
Gambetta, der in einem unbedachten Augenblick dem zudringlichen Ausfrager
mit naiver Offenherzigkeit seine Ansichten über die den Franzosen angemessenste
Regierungsform entwickelt hatte. Nun, in dem Idealstaat des radicalen Ex¬
Dictators finden wir den ganzen bonapartistischen Apparat wieder, mit dem
einzigen Unterschiede, daß der republikanische Centralist dem erblichen Kaiser
einen gewählten Staatschef substituirt.


Grenzboten IV. 1873. 2
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[0017] die beiden Pole. Die wiederholt gescheiterten Fusionsversuche scheinen die Unmöglichkeit einer näheren Verbindung dieser beiden Parteien, ihrer Unfähig¬ keit, sich gemeinsam an der Leitung des Staates zu betheiligen, erwiesen zu haben. Möchte auch für die Ausgleichung der dynastischen Interessen bei der Kinderlosigkeit des Grafen von Chambord ein Weg vorgezeichnet sein, den die Orleans, allerdings nicht ohne einen hohen Grad von Selbstverleugnung beschreiten konnten, wie sollte man die Principien versöhnen, deren Gegensatz die Parteien trennte? Auf der einen Seite stand das starre Recht des alten erblichen Königthums, das in dem Grafen von Chambord, dem Komme prineixs, einen zwar passiven, aber um so unbeugsameren Vertreter gefunden hatte, auf der andern Seite das parlamentarische System, das Ideal der Bourgeoisie, die mit gleichem Jngrimme das alte Regime und die Demokratie haßte. Zwischen diese beiden Extreme trat jetzt als vermittelndes und bindendes Element die bonapartistische Partei, die in der Nationalversamm¬ lung zu schwach vertreten war, um bei den beiden anderen Fractionen ernste Besorgnisse zu erwecken, die aber zugleich durch Energie, Rührigkeit und Ge- schicklichkeit sich ein Ansehen erworben hatte, welches der conservativen Partei ihre Mitwirkung geradezu unentbehrlich machte. Die Zeiten waren vorüber, wo sich alle Parteien bei jeder sich darbietenden Gelegenheit die wohlfeile Ge¬ nugthuung bereiteten, den Bonapartismus für todt und begraben zu erklären. Die kleine parlamentaristische Gruppe der Imperialisten hatte ihre zähe Lebens¬ kraft in wunderbarer Weise bewährt. Sie hatte die Ueberzeugung, diejenige Form der Monarchie zu vertreten, welche allein auf dem von Revolutionen durchwühlten Boden Frankreichs feste Wurzeln fassen könne. Die socialen Ergebnisse der großen Revolution erkannte sie bei weitem rückhaltloser an, als der Orleanismus, der als der eigentliche Vertreter des Tiers-Etat (wenn man diesen Ausdruck unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch anwenden kann) sich stets im schärfsten Gegensatz zu der Demokratie befunden hatte, während das Gleichheitsprincip eine der Grundsäulen des Bonapartismus ge¬ wesen war. Auf der anderen Seite hatte er das politisch-administrative Cen¬ tralisationsprincip zu einer Vollkommenheit ausgebildet, die im Grunde jedes andere Regime in Frankreich ebenfalls anstrebte, die aber er allein die Energie hatte, wirklich zu erreichen. Vielleicht erinnert sich der Leser noch der Mittheilungen eines amerikanischen Correspondenten über eine Unterredung mit Gambetta, der in einem unbedachten Augenblick dem zudringlichen Ausfrager mit naiver Offenherzigkeit seine Ansichten über die den Franzosen angemessenste Regierungsform entwickelt hatte. Nun, in dem Idealstaat des radicalen Ex¬ Dictators finden wir den ganzen bonapartistischen Apparat wieder, mit dem einzigen Unterschiede, daß der republikanische Centralist dem erblichen Kaiser einen gewählten Staatschef substituirt. Grenzboten IV. 1873. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/17>, abgerufen am 19.05.2024.