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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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aus begründet fand, überzeugte sich Assim-Pascha nicht nur von dem Gegen¬
theil, sondern entdeckte sogar in Banjaluka den Heerd einer panslavistischen
Verschwörung, deren Urheber und Oberhaupt kein Geringerer sein sollte, als
der in Banjaluka ansässige österreichische Viceconsul Dragantschitsch, von dem
es allerdings bekannt war, daß er mehrfach seine Theilnahme über die harten
Bedrückungen der Christen durch die Türken kund gegeben hatte. Statt nun
Beider Urtheile einer weitern Besprechung zu unterwerfen, adoptirte die tür¬
kische Regierung einfach den Bericht ihres Beamten, ließ seinen Rapport zu
einem Memorandum in französischer Sprache umarbeiten und versendete
dasselbe an alle ihre Legationen. Dadurch wurde einfach die österreichische
Regierung übergangen und die europäischen Mächte zu einem Tribunal über
österreichische Beamte gemacht.

Ein solcher Vorgang war mehr als eine Impertinenz, es war ein Affront
gegen die loyale Haltung der österreichischen Diplomatie, wofür man unbe¬
dingt Satisfaction verlangen mußte, wenn man nicht den letzten Nest der
Achtung bei den Türken einbüßen wollte.

Der Weg zur Rückkehr war der ottomanischen Negierung noch immer
nicht unmöglich. Man konnte einfach das Memorandum desavouiren und
als das Werk eines übereifriger Beamten, der ohne Auftrag gehandelt hatte
hinstellen, sowie Assim-Pascha von seinem Posten abberufen. Statt dessen be¬
kannte sich Reschid-Pascha durch eine besondere Note ausdrücklich zu dem Me¬
morandum und identificirte sich mit demselben, indem er dadurch das feindselige
Vorgehen gegen die österreichische Diplomatie noch erhöhte. Unter solchen
Umständen muß Graf Andrassy um so mehr eine vollständige Genugthuung
verlangen. Es heißt nun auch, daß die türkische Regierung sich zu einer ent¬
schuldigenden Note entschlossen habe, und damit für den Moment das Zer-
würfniß beigelegt sei, aber ob für zukünftige Zeiten auch, ist mindestens
zweifelhaft. Gewiß ist aber, daß die alte traditionelle Politik Oesterreichs der
Türkei gegenüber einen argen Stoß bekommen hat.

Es sind nicht wenige und unwichtige Stimmen in Oesterreich, welche sich
schon jetzt für eine vollkommene Aenderung der Politik an der untern Donau
aussprechen. Mehr und mehr kommt man zu der Ueberzeugung, daß die
Türkei nicht mehr zu retten ist und sie durch den Leichtsinn ihrer eigenen
Staatsmänner und die vollständige Unfähigkeit des Sultans der Auflösung
mit immer schnelleren Schritten zugeführt wird. Wozu ferner noch unnütze
Kräfte vergeuden, um dies morsche Gebäude aufrecht zu erhalten? Wäre es
nicht besser, mit Nußland und Deutschland diese Frage gemeinsam zu lösen
und die günstige Situation zu benutzen, um seinen Antheil an der Beute im
Orient sich selbst zu sichern? Dieser Gedanke, früher so sehr in Oesterreich
perhorrescirt, gewinnt dort allmählig Boden. Es giebt freilich auch einfluß-


aus begründet fand, überzeugte sich Assim-Pascha nicht nur von dem Gegen¬
theil, sondern entdeckte sogar in Banjaluka den Heerd einer panslavistischen
Verschwörung, deren Urheber und Oberhaupt kein Geringerer sein sollte, als
der in Banjaluka ansässige österreichische Viceconsul Dragantschitsch, von dem
es allerdings bekannt war, daß er mehrfach seine Theilnahme über die harten
Bedrückungen der Christen durch die Türken kund gegeben hatte. Statt nun
Beider Urtheile einer weitern Besprechung zu unterwerfen, adoptirte die tür¬
kische Regierung einfach den Bericht ihres Beamten, ließ seinen Rapport zu
einem Memorandum in französischer Sprache umarbeiten und versendete
dasselbe an alle ihre Legationen. Dadurch wurde einfach die österreichische
Regierung übergangen und die europäischen Mächte zu einem Tribunal über
österreichische Beamte gemacht.

Ein solcher Vorgang war mehr als eine Impertinenz, es war ein Affront
gegen die loyale Haltung der österreichischen Diplomatie, wofür man unbe¬
dingt Satisfaction verlangen mußte, wenn man nicht den letzten Nest der
Achtung bei den Türken einbüßen wollte.

Der Weg zur Rückkehr war der ottomanischen Negierung noch immer
nicht unmöglich. Man konnte einfach das Memorandum desavouiren und
als das Werk eines übereifriger Beamten, der ohne Auftrag gehandelt hatte
hinstellen, sowie Assim-Pascha von seinem Posten abberufen. Statt dessen be¬
kannte sich Reschid-Pascha durch eine besondere Note ausdrücklich zu dem Me¬
morandum und identificirte sich mit demselben, indem er dadurch das feindselige
Vorgehen gegen die österreichische Diplomatie noch erhöhte. Unter solchen
Umständen muß Graf Andrassy um so mehr eine vollständige Genugthuung
verlangen. Es heißt nun auch, daß die türkische Regierung sich zu einer ent¬
schuldigenden Note entschlossen habe, und damit für den Moment das Zer-
würfniß beigelegt sei, aber ob für zukünftige Zeiten auch, ist mindestens
zweifelhaft. Gewiß ist aber, daß die alte traditionelle Politik Oesterreichs der
Türkei gegenüber einen argen Stoß bekommen hat.

Es sind nicht wenige und unwichtige Stimmen in Oesterreich, welche sich
schon jetzt für eine vollkommene Aenderung der Politik an der untern Donau
aussprechen. Mehr und mehr kommt man zu der Ueberzeugung, daß die
Türkei nicht mehr zu retten ist und sie durch den Leichtsinn ihrer eigenen
Staatsmänner und die vollständige Unfähigkeit des Sultans der Auflösung
mit immer schnelleren Schritten zugeführt wird. Wozu ferner noch unnütze
Kräfte vergeuden, um dies morsche Gebäude aufrecht zu erhalten? Wäre es
nicht besser, mit Nußland und Deutschland diese Frage gemeinsam zu lösen
und die günstige Situation zu benutzen, um seinen Antheil an der Beute im
Orient sich selbst zu sichern? Dieser Gedanke, früher so sehr in Oesterreich
perhorrescirt, gewinnt dort allmählig Boden. Es giebt freilich auch einfluß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/191>, abgerufen am 11.06.2024.