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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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keit, auch durch ihr musikalisches Talent bändigt sie sehr bald ihren kleinen
Zögling. Den früheren Liebhaber überzeugt sie, daß sie damals, als er sie
mit dem Verdachte, sie wolle Baronin von Grüneck werden, verlassen habe,
weit hiervon entfernt gewesen sei. Di,e betreffende Zeichnung sei eine Neckerei
einer Schwester gewesen. Tory Flamerin verliebt sich also neuerdings in die
Gouvernante. Als er ihr seinen Antrag macht, nimmt sie denselben mit un¬
verhohlener Freude an. Als er ihr aber in derselben Stunde erzählt, Hr. v.
Mauserre sei gar nicht getraut mit seiner scheinbaren Gemahlin, entwirft die
zartfühlende junge Deutsche sozusagen am Herzen ihres Liebhabers in der er¬
sten Schäferstunde schon den Plan, womöglich Herrn v. Mauserre zu gewin¬
nen und Herrin des Schlosses les Charmilles zu werden. Daß hierdurch die
ihr mit soviel Freundlichkeit begegnende Madame de Mauserre, die ihren
Gatten anbetet, unsäglich elend und unglücklich würde, kommt nicht in Be¬
tracht. Der Plan wird ausgeführt. Meta Holdenis spinnt mit Feinheit,
ja mit teuflischer List ein Netz um Herrn von Mauserre. Bald ist sie ihm un¬
entbehrlich. Aber Verwandte des Herrn von Mauserre und Tory Flamerin
verschwören sich gegen sie. Wir wollen hier aus die Minen und Gegenminen,
die von beiden Seiten gegraben werden, nicht näher eintreten. Nachdem Meta
Holdenis alle möglichen Ränke ausgesonnen, alle erdenklichen, kühnen Streiche
ausgeführt hat, bald schleichend wie die Katze, dann auf die Beute stürzend
wie der Tiger, gelingt es den Verbündeten, trotz aller Schauspielerkünste der
jungen Deutschen, über die Gouvernante zu triumphiren. Herr v. Mauserre
wird aus ihren Banden gerissen und in die Arme seiner zärtlichen Gattin
zurückgeführt. Meta Holdenis muß das Haus verlassen. Noch einmal macht
sie, nach allen ihren Schlechtigkeiten, einen letzten Versuch, den ehemaligen Ge¬
liebten Tory Flamerin zu rühren. In der Nacht vor ihrer Abreise besucht
sie ihn aus seinem Zimmer. Beinahe erliegt er den Verführungskünsten des
verschlagenen, listigen und im rechten Augenblick mit allen Reizen freigebigen
Mädchens. Es rettet ihn das Krähen eines Hahnes. Auf dem Todtenbette
hatte nämlich der Vater Tory's, der ehrsame Küfer von Beaune, dem Sohne
noch gesagt, er solle die einzige Musik, die sein Vater geliebt habe, das Krähen
des Hahnes, hoch halten; in wichtigen Augenblicken könne es ihn retten. Der
Augenblick ist da. Der gallische Hahn rettet den jungen Franzosen vor dem
deutschen Mädchen, dessen blaue Augen auf einmal "jenen schönen afrikanischen
Seen mit den azurblauen Wassern glichen, deren Grund von Krokodilen wimmelt".
Meta fährt mit Schimpf und Schande davon. Einige Jahre später begegnet
ihr Tory einmal Nachts im Eisenbahnwaggon. Sie ist mittlerweile pro¬
testantische Diakonissin geworden und befindet sich auf der Fahrt nach Mai¬
land, wo sie einen Fröbel'schen Kindergarten einrichten wird. Das entnimmt
Tory, der von ihr nicht erkannt wird, dem Gespräch, das sie mit ihren Ge-


keit, auch durch ihr musikalisches Talent bändigt sie sehr bald ihren kleinen
Zögling. Den früheren Liebhaber überzeugt sie, daß sie damals, als er sie
mit dem Verdachte, sie wolle Baronin von Grüneck werden, verlassen habe,
weit hiervon entfernt gewesen sei. Di,e betreffende Zeichnung sei eine Neckerei
einer Schwester gewesen. Tory Flamerin verliebt sich also neuerdings in die
Gouvernante. Als er ihr seinen Antrag macht, nimmt sie denselben mit un¬
verhohlener Freude an. Als er ihr aber in derselben Stunde erzählt, Hr. v.
Mauserre sei gar nicht getraut mit seiner scheinbaren Gemahlin, entwirft die
zartfühlende junge Deutsche sozusagen am Herzen ihres Liebhabers in der er¬
sten Schäferstunde schon den Plan, womöglich Herrn v. Mauserre zu gewin¬
nen und Herrin des Schlosses les Charmilles zu werden. Daß hierdurch die
ihr mit soviel Freundlichkeit begegnende Madame de Mauserre, die ihren
Gatten anbetet, unsäglich elend und unglücklich würde, kommt nicht in Be¬
tracht. Der Plan wird ausgeführt. Meta Holdenis spinnt mit Feinheit,
ja mit teuflischer List ein Netz um Herrn von Mauserre. Bald ist sie ihm un¬
entbehrlich. Aber Verwandte des Herrn von Mauserre und Tory Flamerin
verschwören sich gegen sie. Wir wollen hier aus die Minen und Gegenminen,
die von beiden Seiten gegraben werden, nicht näher eintreten. Nachdem Meta
Holdenis alle möglichen Ränke ausgesonnen, alle erdenklichen, kühnen Streiche
ausgeführt hat, bald schleichend wie die Katze, dann auf die Beute stürzend
wie der Tiger, gelingt es den Verbündeten, trotz aller Schauspielerkünste der
jungen Deutschen, über die Gouvernante zu triumphiren. Herr v. Mauserre
wird aus ihren Banden gerissen und in die Arme seiner zärtlichen Gattin
zurückgeführt. Meta Holdenis muß das Haus verlassen. Noch einmal macht
sie, nach allen ihren Schlechtigkeiten, einen letzten Versuch, den ehemaligen Ge¬
liebten Tory Flamerin zu rühren. In der Nacht vor ihrer Abreise besucht
sie ihn aus seinem Zimmer. Beinahe erliegt er den Verführungskünsten des
verschlagenen, listigen und im rechten Augenblick mit allen Reizen freigebigen
Mädchens. Es rettet ihn das Krähen eines Hahnes. Auf dem Todtenbette
hatte nämlich der Vater Tory's, der ehrsame Küfer von Beaune, dem Sohne
noch gesagt, er solle die einzige Musik, die sein Vater geliebt habe, das Krähen
des Hahnes, hoch halten; in wichtigen Augenblicken könne es ihn retten. Der
Augenblick ist da. Der gallische Hahn rettet den jungen Franzosen vor dem
deutschen Mädchen, dessen blaue Augen auf einmal „jenen schönen afrikanischen
Seen mit den azurblauen Wassern glichen, deren Grund von Krokodilen wimmelt".
Meta fährt mit Schimpf und Schande davon. Einige Jahre später begegnet
ihr Tory einmal Nachts im Eisenbahnwaggon. Sie ist mittlerweile pro¬
testantische Diakonissin geworden und befindet sich auf der Fahrt nach Mai¬
land, wo sie einen Fröbel'schen Kindergarten einrichten wird. Das entnimmt
Tory, der von ihr nicht erkannt wird, dem Gespräch, das sie mit ihren Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/23>, abgerufen am 18.05.2024.