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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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als Surrogat abgeklärter Geschichte dienen, bleibt oft nichts anderes übrig,
als Zeitungen zu benutzen und wir können daraus keinen Vorwurf construiren,
zumal sonst alle Werke, die in neuer Zeit über Mittelasien erschienen, benutzt
sind und von der Gelehrsamkeit des Verfassers Zeugniß ablegen. Somit ge¬
bührt ihm für seine mühevolle Arbeit unser bester Dank.

Während wir in Vämbery's Schriften überall feindselige Gesinnung gegen
Rußland finden und Zweifel an der Culturmission des Zonenreichs gegenüber
dem Osten begründet werden, steht Friedrich von Hellwald auf einem andern
Standpunkt. Sucht er sich auch volle Objektivität zu wahren und wird diese
in der Darstellung selbst nie hintenangesetzt, so erkennt man doch zumal aus
dem Kapitel "die Rivalität Rußlands und Englands in Asien", daß der Ver¬
fasser auf die russische Seite hinüberneigt. "Es kann keine Streitfrage sein:
wer von den beiden, Engländer oder Russen, das größere Culturvolk sei. Ebenso
sicher ist aber, daß die hochcivilisirten Briten es nur schlecht verstehn, ihre
asiatischen Unterthanen zu ihrer Culturstufe hinanzuziehen, während die Russen
mit ihrem weit geringeren Culturstoff viel größere Erfolge bei den asiatischen
Völkerstämmen erzielen, die sie sich in merkwürdiger Weise zu assimiliren wissen.
Sie können sie natürlich nur auf jene Stufe erheben, welche sie selbst besitzen,
das geringe aber, was sie ihnen thatsächlich mittheilen, ist noch immer mehr
als das große, was die Engländer nicht an den Mann zu bringen verstehn.
Unter der russischen Aegide sind die Culturfortschritte der Asiaten zwar gering
und langsam, aber stetig, und ihrer natürlichen Begabung und Racenanlage
angepaßt; der britischen Civilisation stehen sie fremd gegenüber und begreifen
sie schlechterdings nicht."

Dem Verfasser kommt bei seiner Geschichtsschreibung natürlich zu Gute,
daß er Ethnolog ist und eine ethnologische Construction der Geschichte müssen
wir hier geradezu verlangen. Nur aus den betonten Racenanlagen heraus
läßt sich vieles verstehn und auch die "Assimilirungsfähigkeit" der Russen gegen¬
über den Centralasiaten begreifen. Der Russe steht dem Asiaten näher als
der Engländer und hierdurch erklärt sich der Erfolg. Ein Engländer, Alexan¬
der Michie, welcher vor zehn Jahren die Mongolei und Sibirien durchreiste,
legt sich das in seiner Weise zurecht und er kommt zu demselben Ergebniß
wie Hellwald, wobei Michie freilich zunächst die Chinesen im Auge hat. "So¬
wohl in politischer, wie in commerzieller Beziehung, sagt er in seinem Werke
l'Ks Liderian overlavä routs (London 1864), passen Russen und Chinesen
außerordentlich gut zusammen. Sie sehen die Wahrheit mit demselben Blicke
an; der Russe ist im Grunde genommen, abgesehn von der weißen Farbe
mehr als Halbastate. Diese Bemerkung ist keineswegs neu, aber sie dient zur
Erklärung des Umstandes, daß die Russen ihren Weg so ruhig und friedlich
nach China gefunden haben, während die Engländer immer mit dem Kopf


als Surrogat abgeklärter Geschichte dienen, bleibt oft nichts anderes übrig,
als Zeitungen zu benutzen und wir können daraus keinen Vorwurf construiren,
zumal sonst alle Werke, die in neuer Zeit über Mittelasien erschienen, benutzt
sind und von der Gelehrsamkeit des Verfassers Zeugniß ablegen. Somit ge¬
bührt ihm für seine mühevolle Arbeit unser bester Dank.

Während wir in Vämbery's Schriften überall feindselige Gesinnung gegen
Rußland finden und Zweifel an der Culturmission des Zonenreichs gegenüber
dem Osten begründet werden, steht Friedrich von Hellwald auf einem andern
Standpunkt. Sucht er sich auch volle Objektivität zu wahren und wird diese
in der Darstellung selbst nie hintenangesetzt, so erkennt man doch zumal aus
dem Kapitel „die Rivalität Rußlands und Englands in Asien", daß der Ver¬
fasser auf die russische Seite hinüberneigt. „Es kann keine Streitfrage sein:
wer von den beiden, Engländer oder Russen, das größere Culturvolk sei. Ebenso
sicher ist aber, daß die hochcivilisirten Briten es nur schlecht verstehn, ihre
asiatischen Unterthanen zu ihrer Culturstufe hinanzuziehen, während die Russen
mit ihrem weit geringeren Culturstoff viel größere Erfolge bei den asiatischen
Völkerstämmen erzielen, die sie sich in merkwürdiger Weise zu assimiliren wissen.
Sie können sie natürlich nur auf jene Stufe erheben, welche sie selbst besitzen,
das geringe aber, was sie ihnen thatsächlich mittheilen, ist noch immer mehr
als das große, was die Engländer nicht an den Mann zu bringen verstehn.
Unter der russischen Aegide sind die Culturfortschritte der Asiaten zwar gering
und langsam, aber stetig, und ihrer natürlichen Begabung und Racenanlage
angepaßt; der britischen Civilisation stehen sie fremd gegenüber und begreifen
sie schlechterdings nicht."

Dem Verfasser kommt bei seiner Geschichtsschreibung natürlich zu Gute,
daß er Ethnolog ist und eine ethnologische Construction der Geschichte müssen
wir hier geradezu verlangen. Nur aus den betonten Racenanlagen heraus
läßt sich vieles verstehn und auch die „Assimilirungsfähigkeit" der Russen gegen¬
über den Centralasiaten begreifen. Der Russe steht dem Asiaten näher als
der Engländer und hierdurch erklärt sich der Erfolg. Ein Engländer, Alexan¬
der Michie, welcher vor zehn Jahren die Mongolei und Sibirien durchreiste,
legt sich das in seiner Weise zurecht und er kommt zu demselben Ergebniß
wie Hellwald, wobei Michie freilich zunächst die Chinesen im Auge hat. „So¬
wohl in politischer, wie in commerzieller Beziehung, sagt er in seinem Werke
l'Ks Liderian overlavä routs (London 1864), passen Russen und Chinesen
außerordentlich gut zusammen. Sie sehen die Wahrheit mit demselben Blicke
an; der Russe ist im Grunde genommen, abgesehn von der weißen Farbe
mehr als Halbastate. Diese Bemerkung ist keineswegs neu, aber sie dient zur
Erklärung des Umstandes, daß die Russen ihren Weg so ruhig und friedlich
nach China gefunden haben, während die Engländer immer mit dem Kopf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/381>, abgerufen am 20.05.2024.