Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.immerhin sehr schöne Musik, die Mendelssohn zu einzelnen Stücken geschrie¬ "Wer aber ist Lachmann?" fragst du weiter. "Ist es ein plötzlich aufge¬ "Nun, und dennoch veröffentlicht? Sind das die Blätter wirklich werth? Vielleicht ist der Versuch nicht ohne Interesse, den unsres Wissens bisher immerhin sehr schöne Musik, die Mendelssohn zu einzelnen Stücken geschrie¬ „Wer aber ist Lachmann?" fragst du weiter. „Ist es ein plötzlich aufge¬ „Nun, und dennoch veröffentlicht? Sind das die Blätter wirklich werth? Vielleicht ist der Versuch nicht ohne Interesse, den unsres Wissens bisher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130470"/> <p xml:id="ID_1227" prev="#ID_1226"> immerhin sehr schöne Musik, die Mendelssohn zu einzelnen Stücken geschrie¬<lb/> ben, hat sogar ihre Aufführung auf der modernen Bühne, wenn auch nicht<lb/> erst ermöglicht, so doch die Lust dazu sicherlich öfter erregt, als es ohne sie<lb/> geschehen wäre. Nur die bildende Kunst ist dem Dichter ziemlich fern geblie¬<lb/> ben, und Lachmann ist der erste, der-hier, man möchte sagen, eine Schuld<lb/> abträgt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1228"> „Wer aber ist Lachmann?" fragst du weiter. „Ist es ein plötzlich aufge¬<lb/> tauchtes, junges, emporstrebendes Talent? Lebt er in München, in Wien,<lb/> in Rom? Wer ist sein Meister gewesen? Hat er an der Antike oder an<lb/> den Italienern sich gebildet?" Nichts von alledem. Der Künstler, der hier zum<lb/> ersten — und vielleicht zum letzten — Male Schöpfungen seiner Hand in die<lb/> Welt sendet, ist gar kein „Künstler", sondern ein „Dilettant", es ist ein ein¬<lb/> facher und bescheidener Schulmann, an Jahren ein hoher Fünfziger, Conrec-<lb/> tor am Gymnasium in ZIttau in der sächsischen Lausitz. Die Originale der<lb/> sechzehn Zeichnungen, die hier in untadlig schönen Stichen von Schulz' Hand<lb/> durch die Seemann'sche Buchhandlung veröffentlicht werden, lagen auf der<lb/> Philologenversammlung in Leipzig zu Pfingsten 1872 in der „archäolo¬<lb/> gischen Section" den Amts- und Berufsgenossen des Zeichners zu weiter<lb/> nichts als freundlicher und wohlwollender Betrachtung vor. In glücklich<lb/> angeregten Mußestunden, die das Schulamt ihm gelassen, hatte er sie ent¬<lb/> worfen; der Gedanke an eine Veröffentlichung, an künstlerische Erfolge, oder<lb/> gar an Rivalität mit irgend einem auf ähnlichem Gebiete schöpferisch ge¬<lb/> wesenen Meister hatte ihm fern gelegen,</p><lb/> <p xml:id="ID_1229"> „Nun, und dennoch veröffentlicht? Sind das die Blätter wirklich werth?<lb/> Dürfen sie es wagen, aus der Mappe des anspruchslosen Schulmannes in<lb/> die Welt hinauszuwandern und sich an die Seite der Flarman, Carstens<lb/> und Genelli zu stellen?" Auf diese Fragen mag an unsrer Statt der Mann<lb/> antworten, der auf jener erwähnten Versammlung zuerst nachdrücklich auf<lb/> die Bedeutung dieser Blätter hinwies und ihre Publication anregte, und der<lb/> das vollendete Werk nun auch mit einem freundlichen Begleitworte beim<lb/> Publikum einführt, Prof. Overbeck, der Archäolog der Leipziger Universität.<lb/> Er sagt, daß damals, als es gegolten habe, sich des Charakters dieser schö¬<lb/> nen Arbeiten durch die Vergleichung mit Verwandten bewußt zu werden,<lb/> „aus mehr als einem Munde der Name Carstens und nur dieser gehört wor¬<lb/> den sei," und daß damit zugleich „das höchste Lob ausgesprochen sei, welches<lb/> derartigen Leistungen überhaupt ertheilt werden könne." Hiermit ist nach<lb/> unsrer Ueberzeugung im Wesentlichen das Richtige getroffen, wenn auch die<lb/> Dinge nicht ganz so einfach liegen, wie es nach diesem Urtheil scheinen<lb/> könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1230" next="#ID_1231"> Vielleicht ist der Versuch nicht ohne Interesse, den unsres Wissens bisher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0410]
immerhin sehr schöne Musik, die Mendelssohn zu einzelnen Stücken geschrie¬
ben, hat sogar ihre Aufführung auf der modernen Bühne, wenn auch nicht
erst ermöglicht, so doch die Lust dazu sicherlich öfter erregt, als es ohne sie
geschehen wäre. Nur die bildende Kunst ist dem Dichter ziemlich fern geblie¬
ben, und Lachmann ist der erste, der-hier, man möchte sagen, eine Schuld
abträgt.
„Wer aber ist Lachmann?" fragst du weiter. „Ist es ein plötzlich aufge¬
tauchtes, junges, emporstrebendes Talent? Lebt er in München, in Wien,
in Rom? Wer ist sein Meister gewesen? Hat er an der Antike oder an
den Italienern sich gebildet?" Nichts von alledem. Der Künstler, der hier zum
ersten — und vielleicht zum letzten — Male Schöpfungen seiner Hand in die
Welt sendet, ist gar kein „Künstler", sondern ein „Dilettant", es ist ein ein¬
facher und bescheidener Schulmann, an Jahren ein hoher Fünfziger, Conrec-
tor am Gymnasium in ZIttau in der sächsischen Lausitz. Die Originale der
sechzehn Zeichnungen, die hier in untadlig schönen Stichen von Schulz' Hand
durch die Seemann'sche Buchhandlung veröffentlicht werden, lagen auf der
Philologenversammlung in Leipzig zu Pfingsten 1872 in der „archäolo¬
gischen Section" den Amts- und Berufsgenossen des Zeichners zu weiter
nichts als freundlicher und wohlwollender Betrachtung vor. In glücklich
angeregten Mußestunden, die das Schulamt ihm gelassen, hatte er sie ent¬
worfen; der Gedanke an eine Veröffentlichung, an künstlerische Erfolge, oder
gar an Rivalität mit irgend einem auf ähnlichem Gebiete schöpferisch ge¬
wesenen Meister hatte ihm fern gelegen,
„Nun, und dennoch veröffentlicht? Sind das die Blätter wirklich werth?
Dürfen sie es wagen, aus der Mappe des anspruchslosen Schulmannes in
die Welt hinauszuwandern und sich an die Seite der Flarman, Carstens
und Genelli zu stellen?" Auf diese Fragen mag an unsrer Statt der Mann
antworten, der auf jener erwähnten Versammlung zuerst nachdrücklich auf
die Bedeutung dieser Blätter hinwies und ihre Publication anregte, und der
das vollendete Werk nun auch mit einem freundlichen Begleitworte beim
Publikum einführt, Prof. Overbeck, der Archäolog der Leipziger Universität.
Er sagt, daß damals, als es gegolten habe, sich des Charakters dieser schö¬
nen Arbeiten durch die Vergleichung mit Verwandten bewußt zu werden,
„aus mehr als einem Munde der Name Carstens und nur dieser gehört wor¬
den sei," und daß damit zugleich „das höchste Lob ausgesprochen sei, welches
derartigen Leistungen überhaupt ertheilt werden könne." Hiermit ist nach
unsrer Ueberzeugung im Wesentlichen das Richtige getroffen, wenn auch die
Dinge nicht ganz so einfach liegen, wie es nach diesem Urtheil scheinen
könnte.
Vielleicht ist der Versuch nicht ohne Interesse, den unsres Wissens bisher
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