Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.Kirche zu reclamiren. Am Hofe aber huldigte man bereits einer sehr anderen Es kam die Accession. Man hätte erwarten sollen, daß, wenn das Do- Kirche zu reclamiren. Am Hofe aber huldigte man bereits einer sehr anderen Es kam die Accession. Man hätte erwarten sollen, daß, wenn das Do- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130487"/> <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263"> Kirche zu reclamiren. Am Hofe aber huldigte man bereits einer sehr anderen<lb/> Anschauung. Man benutzte die Gelegenheit, ein Rechtsgutachten des ehemali¬<lb/> gen Stiftsdirectors einzuholen, welches des Breiteren darthat, daß nicht allein<lb/> der Kirche kein Eigenthumsrecht am Stift Schaalen zustehe, sondern daß auch<lb/> die 1848 erfolgte Erklärung desselben zu Staatsgut ungiltig sei. War auch<lb/> die Beweisführung dieses Gutachtens zum mindesten eine sehr eigenthümliche,<lb/> so stimmten doch die Resultate mit der an entscheidender Stelle herrschenden<lb/> Auffassung so vollkommen überein, daß man nicht zögerte, auf Grund desselben<lb/> das Consistorium abzuweisen. Mittlerweile wurden die Einkünfte ungestört<lb/> weiter aufgespeichert, bis eines Tages die Regierung die gesammelte Summe<lb/> für genügend erklärte, um den betreffs Errichtung einer Irrenanstalt gefaßten<lb/> Beschluß zur Ausführung zu bringen. Die Negierung hielt also an der Recht¬<lb/> mäßigkeit des Actes von 48 fest. Um ihr besser zu imponiren, als mit der<lb/> obenerwähnten Argumentation des Erstiftsdirectors, provocirte man nunmehr<lb/> ein Rechtsgutachten der juristischen Facultät der Universität Berlin. Aber,<lb/> siehe da, diese kam zu dem Ergebniß, daß zwar der Kirche — wenngleich aus<lb/> durchaus anderen Gründen, als den vom Stiftsdirector geltend gemachten —<lb/> keinerlei Rechtsanspruch an das Stift zustehe, daß aber die Aufhebung des¬<lb/> selben im Jahre 1848 auf vollkommen legalem Wege erfolgt und das Stift<lb/> unzweifelhaft Staatsgut geworden sei. Für den Hof natürlich keine willkom¬<lb/> mene Entscheidung; indeß, man ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Möge<lb/> immerhin, erklärte man jetzt, das formelle Recht auf Seiten des Landes<lb/> sein, das materielle Recht erheische die Wiederherstellung des Stifts. In<lb/> der That ergingen nun auch derartige Vorschläge an den Landtag; dieser aber<lb/> lehnte hartnäckig ab. Abermals wird dann die Rechtsfrage einer Prüfung<lb/> unterzogen, diesmal in einer großen, vom Fürsten selbst präfidirten Geheim¬<lb/> rathssitzung. Die weitaus überwiegende Majorität entscheidet für das Recht<lb/> des Landes, aber mit keinem anderen Erfolge, als daß nun die Schänker Frage<lb/> auf Jahre hinaus gar nicht mehr berührt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1265" next="#ID_1266"> Es kam die Accession. Man hätte erwarten sollen, daß, wenn das Do-<lb/> manium ausschließlich der Verwaltung des Fürsten übergeben wurde, das<lb/> Stift Schaalen als Staatsgut umsomehr der Staatsfinanzverwaltung unter¬<lb/> stellt bleiben würde. Allein, die waldcckschen Stände überantworteten auch<lb/> Schaalen der fürstlichen Verwaltung — vielleicht die unbegreiflichste der verschiede¬<lb/> nen Unbegreiflichkeiten des in geheimer Sitzung berathenen und beschlossenen Ac-<lb/> cessionsvertrags. Freilich, die Einkünfte werden nach wie vor ruhig aufge¬<lb/> sammelt, aber die Möglichkeit einer Verwendung zu gemeinnützigen Zwecken<lb/> ist weiter als je in die Ferne gerückt. Wie leicht könnte heute der dringendsten<lb/> Noth der Lehrer und Pfarrer gesteuert werden, wenn Landesdirector und<lb/> Stände über den bereitliegenden Fonds von ca. 84,000 Thlr. frei verfügen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
Kirche zu reclamiren. Am Hofe aber huldigte man bereits einer sehr anderen
Anschauung. Man benutzte die Gelegenheit, ein Rechtsgutachten des ehemali¬
gen Stiftsdirectors einzuholen, welches des Breiteren darthat, daß nicht allein
der Kirche kein Eigenthumsrecht am Stift Schaalen zustehe, sondern daß auch
die 1848 erfolgte Erklärung desselben zu Staatsgut ungiltig sei. War auch
die Beweisführung dieses Gutachtens zum mindesten eine sehr eigenthümliche,
so stimmten doch die Resultate mit der an entscheidender Stelle herrschenden
Auffassung so vollkommen überein, daß man nicht zögerte, auf Grund desselben
das Consistorium abzuweisen. Mittlerweile wurden die Einkünfte ungestört
weiter aufgespeichert, bis eines Tages die Regierung die gesammelte Summe
für genügend erklärte, um den betreffs Errichtung einer Irrenanstalt gefaßten
Beschluß zur Ausführung zu bringen. Die Negierung hielt also an der Recht¬
mäßigkeit des Actes von 48 fest. Um ihr besser zu imponiren, als mit der
obenerwähnten Argumentation des Erstiftsdirectors, provocirte man nunmehr
ein Rechtsgutachten der juristischen Facultät der Universität Berlin. Aber,
siehe da, diese kam zu dem Ergebniß, daß zwar der Kirche — wenngleich aus
durchaus anderen Gründen, als den vom Stiftsdirector geltend gemachten —
keinerlei Rechtsanspruch an das Stift zustehe, daß aber die Aufhebung des¬
selben im Jahre 1848 auf vollkommen legalem Wege erfolgt und das Stift
unzweifelhaft Staatsgut geworden sei. Für den Hof natürlich keine willkom¬
mene Entscheidung; indeß, man ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Möge
immerhin, erklärte man jetzt, das formelle Recht auf Seiten des Landes
sein, das materielle Recht erheische die Wiederherstellung des Stifts. In
der That ergingen nun auch derartige Vorschläge an den Landtag; dieser aber
lehnte hartnäckig ab. Abermals wird dann die Rechtsfrage einer Prüfung
unterzogen, diesmal in einer großen, vom Fürsten selbst präfidirten Geheim¬
rathssitzung. Die weitaus überwiegende Majorität entscheidet für das Recht
des Landes, aber mit keinem anderen Erfolge, als daß nun die Schänker Frage
auf Jahre hinaus gar nicht mehr berührt wird.
Es kam die Accession. Man hätte erwarten sollen, daß, wenn das Do-
manium ausschließlich der Verwaltung des Fürsten übergeben wurde, das
Stift Schaalen als Staatsgut umsomehr der Staatsfinanzverwaltung unter¬
stellt bleiben würde. Allein, die waldcckschen Stände überantworteten auch
Schaalen der fürstlichen Verwaltung — vielleicht die unbegreiflichste der verschiede¬
nen Unbegreiflichkeiten des in geheimer Sitzung berathenen und beschlossenen Ac-
cessionsvertrags. Freilich, die Einkünfte werden nach wie vor ruhig aufge¬
sammelt, aber die Möglichkeit einer Verwendung zu gemeinnützigen Zwecken
ist weiter als je in die Ferne gerückt. Wie leicht könnte heute der dringendsten
Noth der Lehrer und Pfarrer gesteuert werden, wenn Landesdirector und
Stände über den bereitliegenden Fonds von ca. 84,000 Thlr. frei verfügen
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