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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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Treue gegen die Bekenntnisse und Ordnungen der Kirche." Insbesondere
wurde wieder der Hauptsatz aufgestellt: "Nicht Menschen und menschliche
Gedanken, sondern Christus allein regiert die Kirche durch seine Diener
und Nachfolger nach Maßgabe seiner ewige-n Gesetze und Ordnungen." Im
Allgemeinen ist jenes Organ der Meinung, den "kleinen Kreisen" seiner
Freunde gehöre "die Zukunft", und aus ihnen werde "so Gott will, ein
neues Deutschland emporwachsen." Im Anfang August 1872 sprachen die
"Hess. Blätter" die Sehnsucht nach Herstellung des Kurstaates noch deutlicher
aus in den Worten: "Warum sollte es für uns ein Verbrechen sein, wenn
wir eine glückliche Zukunft davon für abhängig erklären und dies als wahr¬
scheinlich hinstellen, daß die Throne der vertriebenen Fürsten wieder aufge¬
richtet und die unterworfenen Stämme in ihre Freiheit zurückversetzt werden?"

Die Gefährlichkeit dieser politischen Bestrebungen ist nicht weit her.
Außer den Mlmar'schen Geistlichen besteht die sogenannte "Partei" höchstens
aus Personen, die unter dem Kurfüsten hohe Staatsämter bekleideten, und
allenfalls einzelnen Lehrern. An die Wiedereinsetzung des Kurfürsten mögen
die Herren wohl selbst nicht ernstlich glauben, aber in politischer Beziehung
blieb ihnen kein anderes Programm übrig; paßt dasselbe doch auch zu ihren
eigentlichen politischen Zwecken : als Hauptsache erschien ihnen, ihre Sache mit
der aller reichsfeindlichen Parteien zu vereinigen. Es ist der letzte Wurf, es
wird of, dö,lMls gespielt. Dabei versteht sich von selbst, daß Kundgebungen
und Opposition im Einzelnen fortgesetzt wird. So erklärten auch am 16.
April 1872 40 "bekenntnißtreue" Geistliche, daß es sich mit dem Amte
eines treuen Dieners Christi nicht vertrage, eine Schulinspection auf Grund
des neuen Schulaufsichtsgesetzes anzunehmen.

Die Kundgebungen richteten sich im Sommer 1873 gegen das zunächst
drohende Gesammt-Konsistorium, Am 23. Juni beschlossen 20 Mlmar'sche Geist¬
liche auf dem niederhessischen Missionsfeste zu Guntershausen die Erklärung an
den Landesherrn, sie würden jener Behörde den Gehorsam verweigern bei
deren erster Abweichung von ihrem" Bekenntnisse und ihren Kirchenordnungen.
Das schien, bei aller Opposition, fast der Ausdruck einer milderen Richtung
zu sein, welche den grundsätzlichen Ungehorsam aufgeben wolle. Jene "erste
Abweichung" und noch andere Abweichungen wären freilich nicht ausgeblieben;
aber sich selbst überlassen, hätten die 20 vielleicht weitere Schritte in der Ein¬
sicht machen können. Doch wie bei den Ultramontanen, scheinen sich hierauf
die Führer eingemischt zu haben, denen jenes Auftreten doch wohl etwas be¬
denklich für ihre Sache erschienen sein mochte. Auf der niederhessischen Pasto-
ralconferenz zu Melsungen am 9. Juli 1873 wurde das Versehen wieder
reichlich ausgeglichen. Hier gab es einen Vortrag über "den falschen Altar
und das falsche Priesterthum", unter Anwendung auf die vom Staate der


Treue gegen die Bekenntnisse und Ordnungen der Kirche." Insbesondere
wurde wieder der Hauptsatz aufgestellt: „Nicht Menschen und menschliche
Gedanken, sondern Christus allein regiert die Kirche durch seine Diener
und Nachfolger nach Maßgabe seiner ewige-n Gesetze und Ordnungen." Im
Allgemeinen ist jenes Organ der Meinung, den „kleinen Kreisen" seiner
Freunde gehöre „die Zukunft", und aus ihnen werde „so Gott will, ein
neues Deutschland emporwachsen." Im Anfang August 1872 sprachen die
„Hess. Blätter" die Sehnsucht nach Herstellung des Kurstaates noch deutlicher
aus in den Worten: „Warum sollte es für uns ein Verbrechen sein, wenn
wir eine glückliche Zukunft davon für abhängig erklären und dies als wahr¬
scheinlich hinstellen, daß die Throne der vertriebenen Fürsten wieder aufge¬
richtet und die unterworfenen Stämme in ihre Freiheit zurückversetzt werden?"

Die Gefährlichkeit dieser politischen Bestrebungen ist nicht weit her.
Außer den Mlmar'schen Geistlichen besteht die sogenannte „Partei" höchstens
aus Personen, die unter dem Kurfüsten hohe Staatsämter bekleideten, und
allenfalls einzelnen Lehrern. An die Wiedereinsetzung des Kurfürsten mögen
die Herren wohl selbst nicht ernstlich glauben, aber in politischer Beziehung
blieb ihnen kein anderes Programm übrig; paßt dasselbe doch auch zu ihren
eigentlichen politischen Zwecken : als Hauptsache erschien ihnen, ihre Sache mit
der aller reichsfeindlichen Parteien zu vereinigen. Es ist der letzte Wurf, es
wird of, dö,lMls gespielt. Dabei versteht sich von selbst, daß Kundgebungen
und Opposition im Einzelnen fortgesetzt wird. So erklärten auch am 16.
April 1872 40 „bekenntnißtreue" Geistliche, daß es sich mit dem Amte
eines treuen Dieners Christi nicht vertrage, eine Schulinspection auf Grund
des neuen Schulaufsichtsgesetzes anzunehmen.

Die Kundgebungen richteten sich im Sommer 1873 gegen das zunächst
drohende Gesammt-Konsistorium, Am 23. Juni beschlossen 20 Mlmar'sche Geist¬
liche auf dem niederhessischen Missionsfeste zu Guntershausen die Erklärung an
den Landesherrn, sie würden jener Behörde den Gehorsam verweigern bei
deren erster Abweichung von ihrem» Bekenntnisse und ihren Kirchenordnungen.
Das schien, bei aller Opposition, fast der Ausdruck einer milderen Richtung
zu sein, welche den grundsätzlichen Ungehorsam aufgeben wolle. Jene „erste
Abweichung" und noch andere Abweichungen wären freilich nicht ausgeblieben;
aber sich selbst überlassen, hätten die 20 vielleicht weitere Schritte in der Ein¬
sicht machen können. Doch wie bei den Ultramontanen, scheinen sich hierauf
die Führer eingemischt zu haben, denen jenes Auftreten doch wohl etwas be¬
denklich für ihre Sache erschienen sein mochte. Auf der niederhessischen Pasto-
ralconferenz zu Melsungen am 9. Juli 1873 wurde das Versehen wieder
reichlich ausgeglichen. Hier gab es einen Vortrag über „den falschen Altar
und das falsche Priesterthum", unter Anwendung auf die vom Staate der


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[0504] Treue gegen die Bekenntnisse und Ordnungen der Kirche." Insbesondere wurde wieder der Hauptsatz aufgestellt: „Nicht Menschen und menschliche Gedanken, sondern Christus allein regiert die Kirche durch seine Diener und Nachfolger nach Maßgabe seiner ewige-n Gesetze und Ordnungen." Im Allgemeinen ist jenes Organ der Meinung, den „kleinen Kreisen" seiner Freunde gehöre „die Zukunft", und aus ihnen werde „so Gott will, ein neues Deutschland emporwachsen." Im Anfang August 1872 sprachen die „Hess. Blätter" die Sehnsucht nach Herstellung des Kurstaates noch deutlicher aus in den Worten: „Warum sollte es für uns ein Verbrechen sein, wenn wir eine glückliche Zukunft davon für abhängig erklären und dies als wahr¬ scheinlich hinstellen, daß die Throne der vertriebenen Fürsten wieder aufge¬ richtet und die unterworfenen Stämme in ihre Freiheit zurückversetzt werden?" Die Gefährlichkeit dieser politischen Bestrebungen ist nicht weit her. Außer den Mlmar'schen Geistlichen besteht die sogenannte „Partei" höchstens aus Personen, die unter dem Kurfüsten hohe Staatsämter bekleideten, und allenfalls einzelnen Lehrern. An die Wiedereinsetzung des Kurfürsten mögen die Herren wohl selbst nicht ernstlich glauben, aber in politischer Beziehung blieb ihnen kein anderes Programm übrig; paßt dasselbe doch auch zu ihren eigentlichen politischen Zwecken : als Hauptsache erschien ihnen, ihre Sache mit der aller reichsfeindlichen Parteien zu vereinigen. Es ist der letzte Wurf, es wird of, dö,lMls gespielt. Dabei versteht sich von selbst, daß Kundgebungen und Opposition im Einzelnen fortgesetzt wird. So erklärten auch am 16. April 1872 40 „bekenntnißtreue" Geistliche, daß es sich mit dem Amte eines treuen Dieners Christi nicht vertrage, eine Schulinspection auf Grund des neuen Schulaufsichtsgesetzes anzunehmen. Die Kundgebungen richteten sich im Sommer 1873 gegen das zunächst drohende Gesammt-Konsistorium, Am 23. Juni beschlossen 20 Mlmar'sche Geist¬ liche auf dem niederhessischen Missionsfeste zu Guntershausen die Erklärung an den Landesherrn, sie würden jener Behörde den Gehorsam verweigern bei deren erster Abweichung von ihrem» Bekenntnisse und ihren Kirchenordnungen. Das schien, bei aller Opposition, fast der Ausdruck einer milderen Richtung zu sein, welche den grundsätzlichen Ungehorsam aufgeben wolle. Jene „erste Abweichung" und noch andere Abweichungen wären freilich nicht ausgeblieben; aber sich selbst überlassen, hätten die 20 vielleicht weitere Schritte in der Ein¬ sicht machen können. Doch wie bei den Ultramontanen, scheinen sich hierauf die Führer eingemischt zu haben, denen jenes Auftreten doch wohl etwas be¬ denklich für ihre Sache erschienen sein mochte. Auf der niederhessischen Pasto- ralconferenz zu Melsungen am 9. Juli 1873 wurde das Versehen wieder reichlich ausgeglichen. Hier gab es einen Vortrag über „den falschen Altar und das falsche Priesterthum", unter Anwendung auf die vom Staate der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/504>, abgerufen am 10.06.2024.