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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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"Angstbank" die Sünder rufenden Bußprediger, und unbekannt mit der ein¬
fachen, innigen Majestät des Evangeliums und der Gnade, waren fähig zu
allen Extravaganzen. Auch die Milleriten, die zum Theil in weißen Kleidern
auf freiem Felde selbst in der Umgebung großer Städte an bestimmtem Tage
die Ankunft des Herrn und ihre Auffahrt mit ihm erwarteten, konnten da¬
mals eine Rolle spielen. Das Stiften neuer Secten ist überhaupt in Amerika
gar nichts Ungewöhnliches. Man denke an die Otterbeiner, Weinbrenners-
leute, Albrechtsleute, Lancybelliten." Daß das Sectengewirr Amerikas die
begünstigende Bedingung des Mormonismus war, bezeugt das Bekenntniß,
welches sein Stifter Joseph Smith in seiner Autobiographie ablegt: "Die
Verwirrung und der Kampf unter den verschiedenen religiösen Genossenschaf¬
ten war so groß, daß es für einen so jungen und mit der Welt so unbe¬
kannten Menschen wie ich unmöglich war, zu irgend einem sicheren Schluß
zu gelangen, wer Recht und wer Unrecht hatte. Mein Gemüth war mehr¬
mals in großer Aufregung, so gewaltig und so unablässig waren das Ge¬
schrei und der Lärm."") Referent hatte die Meinung ausgesprochen, daß in
der Urbarmachung des Landes, in der Kolonisation, welche die Mormonen
hervorgebracht haben, eine bewunderungswürdige, echt amerikanische Arbeits¬
kraft und Anstrengung sich zeige. Darauf antwortet Herr I)r. Thompson^):
"Die wirkliche Thatsache ist, daß der Urheber dieses Exodus, der Leiter der
Colonie, dessen Schlauheit und Energie in der Wüste eine Oase der Glück¬
seligkeit und des Reichthums für ihn selbst geschaffen hat, daß dieser Brigham
Aoung ein Engländer ist." Dieser Angabe widerspricht nicht blos Busch^*),
sondern auch Schlagintweit, welche ihn beide für einen Amerikaner er¬
klären. Das Zeugniß Schlagintweit's fällt besonders stark in die Wag¬
schale, da er Zoung selbst gesprochen hat. Wir lassen es wörtlich folgen:
"Brigham Houng, wie er sich selbst nennt, nicht Braiem Nang, wie er
gar häufig ausgesprochen wird, "der Löwe des Herrn" (lion ot' tre l.ora),
wie sein kirchlicher Ehrenname lautet, zur Zeit das kirchliche und weltliche
Oberhaupt der Mormonen, den ich am 19. Mai 1869 persönlich in der
Salzseestadt kennen gelernt und gesprochen habe, ist ein echter Uankee^^)."1-)
Referent hatte ferner gesagt: "Im christlichen Europa wäre für den Mor¬
monismus keine Freistatt geöffnet worden." Er bedauert diesen Ausdruck,
weil es scheinen könnte, Referent habe der amerikanischen Gesellschaft Sym-
pathieen für den Mormonismus zugeschrieben. Davon ist er sehr weit ent-







') M. Busch, Geschichte der Mormonen. Leipzig S, 2.
") S. 212.
a. o, O. S. 227.
a. a. O. S. 209. Hier findet sich die Genealogie Uoung's genau, statistisch genau
aufgezeichnet.
D. Red. ^1 Hiermit erklären wir diese Discussion geschlossen.

„Angstbank" die Sünder rufenden Bußprediger, und unbekannt mit der ein¬
fachen, innigen Majestät des Evangeliums und der Gnade, waren fähig zu
allen Extravaganzen. Auch die Milleriten, die zum Theil in weißen Kleidern
auf freiem Felde selbst in der Umgebung großer Städte an bestimmtem Tage
die Ankunft des Herrn und ihre Auffahrt mit ihm erwarteten, konnten da¬
mals eine Rolle spielen. Das Stiften neuer Secten ist überhaupt in Amerika
gar nichts Ungewöhnliches. Man denke an die Otterbeiner, Weinbrenners-
leute, Albrechtsleute, Lancybelliten." Daß das Sectengewirr Amerikas die
begünstigende Bedingung des Mormonismus war, bezeugt das Bekenntniß,
welches sein Stifter Joseph Smith in seiner Autobiographie ablegt: „Die
Verwirrung und der Kampf unter den verschiedenen religiösen Genossenschaf¬
ten war so groß, daß es für einen so jungen und mit der Welt so unbe¬
kannten Menschen wie ich unmöglich war, zu irgend einem sicheren Schluß
zu gelangen, wer Recht und wer Unrecht hatte. Mein Gemüth war mehr¬
mals in großer Aufregung, so gewaltig und so unablässig waren das Ge¬
schrei und der Lärm."") Referent hatte die Meinung ausgesprochen, daß in
der Urbarmachung des Landes, in der Kolonisation, welche die Mormonen
hervorgebracht haben, eine bewunderungswürdige, echt amerikanische Arbeits¬
kraft und Anstrengung sich zeige. Darauf antwortet Herr I)r. Thompson^):
„Die wirkliche Thatsache ist, daß der Urheber dieses Exodus, der Leiter der
Colonie, dessen Schlauheit und Energie in der Wüste eine Oase der Glück¬
seligkeit und des Reichthums für ihn selbst geschaffen hat, daß dieser Brigham
Aoung ein Engländer ist." Dieser Angabe widerspricht nicht blos Busch^*),
sondern auch Schlagintweit, welche ihn beide für einen Amerikaner er¬
klären. Das Zeugniß Schlagintweit's fällt besonders stark in die Wag¬
schale, da er Zoung selbst gesprochen hat. Wir lassen es wörtlich folgen:
„Brigham Houng, wie er sich selbst nennt, nicht Braiem Nang, wie er
gar häufig ausgesprochen wird, „der Löwe des Herrn" (lion ot' tre l.ora),
wie sein kirchlicher Ehrenname lautet, zur Zeit das kirchliche und weltliche
Oberhaupt der Mormonen, den ich am 19. Mai 1869 persönlich in der
Salzseestadt kennen gelernt und gesprochen habe, ist ein echter Uankee^^)."1-)
Referent hatte ferner gesagt: „Im christlichen Europa wäre für den Mor¬
monismus keine Freistatt geöffnet worden." Er bedauert diesen Ausdruck,
weil es scheinen könnte, Referent habe der amerikanischen Gesellschaft Sym-
pathieen für den Mormonismus zugeschrieben. Davon ist er sehr weit ent-







') M. Busch, Geschichte der Mormonen. Leipzig S, 2.
") S. 212.
a. o, O. S. 227.
a. a. O. S. 209. Hier findet sich die Genealogie Uoung's genau, statistisch genau
aufgezeichnet.
D. Red. ^1 Hiermit erklären wir diese Discussion geschlossen.
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[0512] „Angstbank" die Sünder rufenden Bußprediger, und unbekannt mit der ein¬ fachen, innigen Majestät des Evangeliums und der Gnade, waren fähig zu allen Extravaganzen. Auch die Milleriten, die zum Theil in weißen Kleidern auf freiem Felde selbst in der Umgebung großer Städte an bestimmtem Tage die Ankunft des Herrn und ihre Auffahrt mit ihm erwarteten, konnten da¬ mals eine Rolle spielen. Das Stiften neuer Secten ist überhaupt in Amerika gar nichts Ungewöhnliches. Man denke an die Otterbeiner, Weinbrenners- leute, Albrechtsleute, Lancybelliten." Daß das Sectengewirr Amerikas die begünstigende Bedingung des Mormonismus war, bezeugt das Bekenntniß, welches sein Stifter Joseph Smith in seiner Autobiographie ablegt: „Die Verwirrung und der Kampf unter den verschiedenen religiösen Genossenschaf¬ ten war so groß, daß es für einen so jungen und mit der Welt so unbe¬ kannten Menschen wie ich unmöglich war, zu irgend einem sicheren Schluß zu gelangen, wer Recht und wer Unrecht hatte. Mein Gemüth war mehr¬ mals in großer Aufregung, so gewaltig und so unablässig waren das Ge¬ schrei und der Lärm."") Referent hatte die Meinung ausgesprochen, daß in der Urbarmachung des Landes, in der Kolonisation, welche die Mormonen hervorgebracht haben, eine bewunderungswürdige, echt amerikanische Arbeits¬ kraft und Anstrengung sich zeige. Darauf antwortet Herr I)r. Thompson^): „Die wirkliche Thatsache ist, daß der Urheber dieses Exodus, der Leiter der Colonie, dessen Schlauheit und Energie in der Wüste eine Oase der Glück¬ seligkeit und des Reichthums für ihn selbst geschaffen hat, daß dieser Brigham Aoung ein Engländer ist." Dieser Angabe widerspricht nicht blos Busch^*), sondern auch Schlagintweit, welche ihn beide für einen Amerikaner er¬ klären. Das Zeugniß Schlagintweit's fällt besonders stark in die Wag¬ schale, da er Zoung selbst gesprochen hat. Wir lassen es wörtlich folgen: „Brigham Houng, wie er sich selbst nennt, nicht Braiem Nang, wie er gar häufig ausgesprochen wird, „der Löwe des Herrn" (lion ot' tre l.ora), wie sein kirchlicher Ehrenname lautet, zur Zeit das kirchliche und weltliche Oberhaupt der Mormonen, den ich am 19. Mai 1869 persönlich in der Salzseestadt kennen gelernt und gesprochen habe, ist ein echter Uankee^^)."1-) Referent hatte ferner gesagt: „Im christlichen Europa wäre für den Mor¬ monismus keine Freistatt geöffnet worden." Er bedauert diesen Ausdruck, weil es scheinen könnte, Referent habe der amerikanischen Gesellschaft Sym- pathieen für den Mormonismus zugeschrieben. Davon ist er sehr weit ent- ') M. Busch, Geschichte der Mormonen. Leipzig S, 2. ") S. 212. a. o, O. S. 227. a. a. O. S. 209. Hier findet sich die Genealogie Uoung's genau, statistisch genau aufgezeichnet. D. Red. ^1 Hiermit erklären wir diese Discussion geschlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/512>, abgerufen am 09.06.2024.