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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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wirths geboren. 1823 kam er auf das Gymnasium zu Rinteln, in dessen
oberen Classen er zusammen mit Franz Dingelstedt saß. von 1831--34
studirte er in Marburg die Rechte, wurde 1835 Rechtspraktikant am Stadt¬
gericht, 1836 am Obergericht zu Kassel, empfahl sich durch die Anerkennung,
welche einige von ihm veröffentlichte juristische Aufsätze fanden, solchergestalt,
daß er 1840 zum Anwalt in Kassel bestellt wurde; jedoch, was vorher noch
niemals geschehen war, auf Wiederruf. Wahrscheinlich hatte den Justiz-
minister Mackeldey der Umstand stutzig gemacht, daß Oetker auch bereits als
belletristischer Schriftsteller aufgetreten war und, schon weil dies damals in
Hessen nicht allzu oft vorkam, eine bedenkliche Selbständigkeit verrathen hatte
Wirklich trat er, nachdem er 1842 den deutschen Text zu Spohr's Oratorium
"der Fall Babylons" geliefert, als Anwalt mit Vorliebe gegen polizeiliche
Willkür auf und als 1846 die kurfürstliche Regierung den Deutsch-Katholiken
in Hanau und Marburg trotz der verfassungsmäßigen Garantie der Gewissens¬
freiheit und Religionsübung eine bloße Hausandacht gestattete, weil das Recht
abtrünnige Religionsgesellschaften zu stiften, wesentlich davon verschieden sei,
trat Oetker gegen dieses Verfahren auf in einer Schrift: "Die deutsch-katholische
Frage in Kurhessen. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom of retonniMtli
(Leipzig 1847.)" Um dieselbe Zeit machte er sich sehr verdient und bemerklich
durch Gründung einer Sonntags-Gesellschaft, welche die geistig hervorragenden
Männer Kassels, worunter besonders die der vormärzlichen Opposition zuge¬
thaner, mit ihren Familien vereinigte. Wie deutlich seine Parteinahme für
die Reform-Bestrebungen bereits hervorgetreten war, zeigte die willkürliche
Versagung der Anstellung für seinen Bruder Karl im hessischen Staatsdienst.
Dieser ward darauf Docent in Göttingen, wurde 1848 reponirt und zeich¬
nete sich später auf den Landtagen von 1862--66 aus.

Der Umschwung von 1848 berief Fr. Oetker zu größerer Thätigkeit
in den öffentlichen Dingen. Er wurde, nachdem seine Freunde ans Ruder
gelangt, definitiv zum Anwalt bestellt; die Schauenburger Städte sandten ihn
in die Ständeversammlung und die Bürger von Kassel wählten ihn in den
Stadtrath. Aus Gesundheitsgründen mochte er wohl glauben, mit der Feder
den größeren Einfluß üben zu können : er gründete die "Neue Hessische Zei¬
tung", welche alsbald das Organ der großen liberalen Partei Hessens wurde
und in welcher er sowohl den Anschluß an die Union mit Preußen als auch
die zahlreichen und dringlichen Gesetzgebungs-Reformen der neuen Regierung
eifrig unterstützte, von denen nachher Hassenpflug behauptete, daß sich mit
ihnen nicht regieren lasse. Dabei kam er und sein Mitredacteur Pfaff, jetzt
Professor der Geschichte in Schaffhausen, oft in heftigen Kampf mit der
kleinen aber sehr lebendigen demokratischen Partei Hessens und deren Organ
"Die Hornisse". Die Hohlheiten demokratisch sich nennender Hitzköpfe pflegen


wirths geboren. 1823 kam er auf das Gymnasium zu Rinteln, in dessen
oberen Classen er zusammen mit Franz Dingelstedt saß. von 1831—34
studirte er in Marburg die Rechte, wurde 1835 Rechtspraktikant am Stadt¬
gericht, 1836 am Obergericht zu Kassel, empfahl sich durch die Anerkennung,
welche einige von ihm veröffentlichte juristische Aufsätze fanden, solchergestalt,
daß er 1840 zum Anwalt in Kassel bestellt wurde; jedoch, was vorher noch
niemals geschehen war, auf Wiederruf. Wahrscheinlich hatte den Justiz-
minister Mackeldey der Umstand stutzig gemacht, daß Oetker auch bereits als
belletristischer Schriftsteller aufgetreten war und, schon weil dies damals in
Hessen nicht allzu oft vorkam, eine bedenkliche Selbständigkeit verrathen hatte
Wirklich trat er, nachdem er 1842 den deutschen Text zu Spohr's Oratorium
„der Fall Babylons" geliefert, als Anwalt mit Vorliebe gegen polizeiliche
Willkür auf und als 1846 die kurfürstliche Regierung den Deutsch-Katholiken
in Hanau und Marburg trotz der verfassungsmäßigen Garantie der Gewissens¬
freiheit und Religionsübung eine bloße Hausandacht gestattete, weil das Recht
abtrünnige Religionsgesellschaften zu stiften, wesentlich davon verschieden sei,
trat Oetker gegen dieses Verfahren auf in einer Schrift: „Die deutsch-katholische
Frage in Kurhessen. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom of retonniMtli
(Leipzig 1847.)" Um dieselbe Zeit machte er sich sehr verdient und bemerklich
durch Gründung einer Sonntags-Gesellschaft, welche die geistig hervorragenden
Männer Kassels, worunter besonders die der vormärzlichen Opposition zuge¬
thaner, mit ihren Familien vereinigte. Wie deutlich seine Parteinahme für
die Reform-Bestrebungen bereits hervorgetreten war, zeigte die willkürliche
Versagung der Anstellung für seinen Bruder Karl im hessischen Staatsdienst.
Dieser ward darauf Docent in Göttingen, wurde 1848 reponirt und zeich¬
nete sich später auf den Landtagen von 1862—66 aus.

Der Umschwung von 1848 berief Fr. Oetker zu größerer Thätigkeit
in den öffentlichen Dingen. Er wurde, nachdem seine Freunde ans Ruder
gelangt, definitiv zum Anwalt bestellt; die Schauenburger Städte sandten ihn
in die Ständeversammlung und die Bürger von Kassel wählten ihn in den
Stadtrath. Aus Gesundheitsgründen mochte er wohl glauben, mit der Feder
den größeren Einfluß üben zu können : er gründete die „Neue Hessische Zei¬
tung", welche alsbald das Organ der großen liberalen Partei Hessens wurde
und in welcher er sowohl den Anschluß an die Union mit Preußen als auch
die zahlreichen und dringlichen Gesetzgebungs-Reformen der neuen Regierung
eifrig unterstützte, von denen nachher Hassenpflug behauptete, daß sich mit
ihnen nicht regieren lasse. Dabei kam er und sein Mitredacteur Pfaff, jetzt
Professor der Geschichte in Schaffhausen, oft in heftigen Kampf mit der
kleinen aber sehr lebendigen demokratischen Partei Hessens und deren Organ
„Die Hornisse". Die Hohlheiten demokratisch sich nennender Hitzköpfe pflegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/170>, abgerufen am 19.05.2024.