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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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erstreben. Indessen gegen den Zuspruch des internationalen Bummlerthums
haben sich die deutschen Hilfsvereine jetzt mit dreifachem Erz umgürtet. Es
ist vorgekommen, daß einige zwanzig dieser Gesellen unter sehr entschlossener
Darlegung ihrer Hilfsbedürftigkeit gleichzeitig das Bureau eines deutschen
Hilfsvereins betraten und sammt und sonders sich verzogen, ohne einen Cen¬
time für ihre angeblich der Auflösung nahen Existenzen anzunehmen, sobald
man ihrem Rädelsführer die Alternative einer geschliffeneren Aufführung oder
der Entfernung aus dem Local gestellt hatte. Die deutschen Hilfsvereine ha¬
ben die Erfahrung gemacht, daß bei aller Majestät des sonstigen Hasses, der
in diesen Seelen wohnt, doch der Abscheu gegen die Arbeit die bei weitem
hervorragendste Sorte ihres Hasses bildet, und haben sich demgemäß eingerichtet.
Der neueste Centralbericht der deutschen Hilfsvereine in der Schweiz spricht
davon, "daß die Erfahrungen der verschiedenen Hilfsvereine nach und nach zu
einem Prineipienwechsel bei den abzugebenden Unterstützungen geführt haben.
Bei Weitem über die Hälfte (Fr. 11,116) der Ausgaben fallen unter die Ru¬
brik Krankenpflege und Familiennoth; die Reiseunterstützungen dagegen be¬
tragen zusammen nur Fr. 6370. Es haben also die verschiedenen Vereine
sich bewogen gefunden, besonders Nothleidende, welche im Land ansässig
sind, zu unterstützen, und den durchreisenden Handwerksburschen, unter
denen sich nicht wenige verkappte Schwindler und Handwerks u n l u se i g e
befinden, weise Schranken zu setzen. Ein strengeres Untersuchen der
Reiselegimation, entschiedenes Zurückweisen derer, die solche nicht aufwei¬
sen können und wollen, scheint hier zu guten Resultaten geführt zu haben,
und es blieben den Vereinskassen die Mittel, kräftiger zu helfen, wo es sich
um Unterstützung alter, kranker, arbeitsunfähiger Landsleute handelte, die
sonst den ausländischen Behörden zur Last gefallen sein würden. Gerade dies
aber zu vermeiden haben sich unsere Vereine zur Ehrensache gemacht, wodurch
jedoch Unterstützungen an hilfsbedürftige Arbeiter, die lange Zeit reisen mu߬
ten ohne Arbeit zu finden, oder auf dem Wege leidend geworden waren, kei¬
neswegs ausgeschlossen sind." Demgemäß ist denn auch in die neuen Centralstatu-
ten die Bestimmung aufgenommen worden: "Kleinere Vereine sind gehalten, ihre
Thätigkeit wesentlich auf örtliche Noth zu richten und Durchreisende nur in ganz
dringlichen Fällen, z. B. bei beglaubigter Krankheit zu unterstützen." Dennoch ist
die Verwendung der bereiten Mittel eine durchaus locale, keineswegs unvernünftig
centralisirt. Namentlich steht die Centralkasse den Ortsvereinen stets mit Zu¬
schüssen zu Diensten. Die neuen Statuten bestimmen hierüber Folgendes: "Aus
der Centralkasse werden die Unkosten des Centralvereins bestritten. Weitere Ver¬
wendungen stehen der Jahresversammlung zu. in dringenden Fällen auch dem
Vororte, jedoch nur bis zum Betrage von fünfzig Franken. Für wiederholte und
höhere Unterstützungen hat derselbe die Zustimmung der anderen Bereine einzuholen.


Grenzboten UI. t873. 49

erstreben. Indessen gegen den Zuspruch des internationalen Bummlerthums
haben sich die deutschen Hilfsvereine jetzt mit dreifachem Erz umgürtet. Es
ist vorgekommen, daß einige zwanzig dieser Gesellen unter sehr entschlossener
Darlegung ihrer Hilfsbedürftigkeit gleichzeitig das Bureau eines deutschen
Hilfsvereins betraten und sammt und sonders sich verzogen, ohne einen Cen¬
time für ihre angeblich der Auflösung nahen Existenzen anzunehmen, sobald
man ihrem Rädelsführer die Alternative einer geschliffeneren Aufführung oder
der Entfernung aus dem Local gestellt hatte. Die deutschen Hilfsvereine ha¬
ben die Erfahrung gemacht, daß bei aller Majestät des sonstigen Hasses, der
in diesen Seelen wohnt, doch der Abscheu gegen die Arbeit die bei weitem
hervorragendste Sorte ihres Hasses bildet, und haben sich demgemäß eingerichtet.
Der neueste Centralbericht der deutschen Hilfsvereine in der Schweiz spricht
davon, „daß die Erfahrungen der verschiedenen Hilfsvereine nach und nach zu
einem Prineipienwechsel bei den abzugebenden Unterstützungen geführt haben.
Bei Weitem über die Hälfte (Fr. 11,116) der Ausgaben fallen unter die Ru¬
brik Krankenpflege und Familiennoth; die Reiseunterstützungen dagegen be¬
tragen zusammen nur Fr. 6370. Es haben also die verschiedenen Vereine
sich bewogen gefunden, besonders Nothleidende, welche im Land ansässig
sind, zu unterstützen, und den durchreisenden Handwerksburschen, unter
denen sich nicht wenige verkappte Schwindler und Handwerks u n l u se i g e
befinden, weise Schranken zu setzen. Ein strengeres Untersuchen der
Reiselegimation, entschiedenes Zurückweisen derer, die solche nicht aufwei¬
sen können und wollen, scheint hier zu guten Resultaten geführt zu haben,
und es blieben den Vereinskassen die Mittel, kräftiger zu helfen, wo es sich
um Unterstützung alter, kranker, arbeitsunfähiger Landsleute handelte, die
sonst den ausländischen Behörden zur Last gefallen sein würden. Gerade dies
aber zu vermeiden haben sich unsere Vereine zur Ehrensache gemacht, wodurch
jedoch Unterstützungen an hilfsbedürftige Arbeiter, die lange Zeit reisen mu߬
ten ohne Arbeit zu finden, oder auf dem Wege leidend geworden waren, kei¬
neswegs ausgeschlossen sind." Demgemäß ist denn auch in die neuen Centralstatu-
ten die Bestimmung aufgenommen worden: „Kleinere Vereine sind gehalten, ihre
Thätigkeit wesentlich auf örtliche Noth zu richten und Durchreisende nur in ganz
dringlichen Fällen, z. B. bei beglaubigter Krankheit zu unterstützen." Dennoch ist
die Verwendung der bereiten Mittel eine durchaus locale, keineswegs unvernünftig
centralisirt. Namentlich steht die Centralkasse den Ortsvereinen stets mit Zu¬
schüssen zu Diensten. Die neuen Statuten bestimmen hierüber Folgendes: „Aus
der Centralkasse werden die Unkosten des Centralvereins bestritten. Weitere Ver¬
wendungen stehen der Jahresversammlung zu. in dringenden Fällen auch dem
Vororte, jedoch nur bis zum Betrage von fünfzig Franken. Für wiederholte und
höhere Unterstützungen hat derselbe die Zustimmung der anderen Bereine einzuholen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/393>, abgerufen am 19.05.2024.