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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ersten Vorstellung ein einziger Schrei: "Endlich haben wir ein Meisterwerk,
Dumas ist wieder gefunden, der Dumas der "of-we aux egmMas" und der
"Deal-Monde", der große Dumas, der seit einiger Zeit auf Abwege ge¬
rathen war, er ist wieder im richtigen Gleise, Halleluja!" Ich habe seitdem
dieses vermeintliche Meisterwerk gesehen, und habe es wieder gesehen und
frage mich noch, woher dieser Enthusiasmus kommt, der wirklich ganz ein¬
stimmig war, der so unbestreitbar schien, daß die hiesigen Zeitungen tadelnde
Kritiken, die englische Zeitungen von ihren Pariser Correspondenten hatten,
als Curiosum wiedergaben, als etwas ganz Unsinniges. Es ist wahr "Herr
Alphonse" ist besser als Dumas' letzte Erzeugnisse, nicht ganz so absurd wie
"Claude's Frau", die durchfiel, nicht ganz so ekelhaft cynisch wie "eine Hoch¬
zeitsvisite" oder "die Prinzessin Georges", die beide nur einen zweifelhaften Er¬
folg hatten, es ist selbst eine sehr schöne Scene darin, aber um diese eine
Scene herbeizuführen, welcher Aufwand von UnWahrscheinlichkeit in der Hand¬
lung und in den Charakteren! Keiner der fünf Charaktere ist wahr, keiner ist
möglich, und die Handlung ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, daß
es der ganzen Vorzüglichkeit der Darstellung, und der geschickten Ausarbeitung
der Einzelheiten bedarf, um die Sache genießbar zu machen.

Folgender ist in Kürze der Inhalt des Dramas: Ein Marineoffizier,
Herr von Montaiglin, hat eine arme Weise geheirathet und lebt mit der¬
selben seit etwa 10 Jahren in glücklicher aber kinderloser Ehe. Die arme
Waise (Raymonde) ist aber vorher von einem entfernten Verwandten (Octave)
verführt worden, und hat ein Kind (Adrienne) gehabt, von welchem Unfälle
sie aber Herrn Montaiglin wohlweislich nichts gesagt hat, weil dieser sie sonst
vielleicht nicht geheirathet hätte. Das Kind, das inzwischen 11 Jahre alt
geworden ist, ist zu Bauersleuten in der Nähe von Paris in die Ziehe ge¬
than worden, und Raymonde benutzt jeden freien Augenblick, besonders wenn
der Capitain auf der See ist, um ihre Tochter zu besuchen, bei der sie sich
auch als Mutter zu erkennen gegeben hat. Octave seinerseits besucht die
Tochter auch, aber selten, und nicht als Bater, sondern incognito, unter dem
Namen "Monsieur Alphonse". Daher der Titel des Stücks. Zugleich hat
der Zufall gewollt, daß Octave's Vater mit Montaiglin befreundet gewesen
ist, und aus diesem Grunde geht Octave im Hause seiner ehemaligen Ge¬
liebten aus und ein, von Montaiglin als Taugenichts angesehen, von Ray¬
monde aufs Bielersee gehaßt.

Octave nun will sich verheirathen, und zwar mit einer Madame Guichard,
deren Liebhaber er schon lange ist; Madame Guichard ist eine dermalige
Bauernmagd, die ihr Herz zwischen Octave und einem reichen Wirthshaus¬
besitzer, bei dem sie diente, getheilt hat, und die von diesem letzteren auf seinem
Todtenbette in extremis geheirathet, und zur Erbin einer Million gemacht


ersten Vorstellung ein einziger Schrei: „Endlich haben wir ein Meisterwerk,
Dumas ist wieder gefunden, der Dumas der „of-we aux egmMas" und der
„Deal-Monde", der große Dumas, der seit einiger Zeit auf Abwege ge¬
rathen war, er ist wieder im richtigen Gleise, Halleluja!" Ich habe seitdem
dieses vermeintliche Meisterwerk gesehen, und habe es wieder gesehen und
frage mich noch, woher dieser Enthusiasmus kommt, der wirklich ganz ein¬
stimmig war, der so unbestreitbar schien, daß die hiesigen Zeitungen tadelnde
Kritiken, die englische Zeitungen von ihren Pariser Correspondenten hatten,
als Curiosum wiedergaben, als etwas ganz Unsinniges. Es ist wahr „Herr
Alphonse" ist besser als Dumas' letzte Erzeugnisse, nicht ganz so absurd wie
„Claude's Frau", die durchfiel, nicht ganz so ekelhaft cynisch wie „eine Hoch¬
zeitsvisite" oder „die Prinzessin Georges", die beide nur einen zweifelhaften Er¬
folg hatten, es ist selbst eine sehr schöne Scene darin, aber um diese eine
Scene herbeizuführen, welcher Aufwand von UnWahrscheinlichkeit in der Hand¬
lung und in den Charakteren! Keiner der fünf Charaktere ist wahr, keiner ist
möglich, und die Handlung ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, daß
es der ganzen Vorzüglichkeit der Darstellung, und der geschickten Ausarbeitung
der Einzelheiten bedarf, um die Sache genießbar zu machen.

Folgender ist in Kürze der Inhalt des Dramas: Ein Marineoffizier,
Herr von Montaiglin, hat eine arme Weise geheirathet und lebt mit der¬
selben seit etwa 10 Jahren in glücklicher aber kinderloser Ehe. Die arme
Waise (Raymonde) ist aber vorher von einem entfernten Verwandten (Octave)
verführt worden, und hat ein Kind (Adrienne) gehabt, von welchem Unfälle
sie aber Herrn Montaiglin wohlweislich nichts gesagt hat, weil dieser sie sonst
vielleicht nicht geheirathet hätte. Das Kind, das inzwischen 11 Jahre alt
geworden ist, ist zu Bauersleuten in der Nähe von Paris in die Ziehe ge¬
than worden, und Raymonde benutzt jeden freien Augenblick, besonders wenn
der Capitain auf der See ist, um ihre Tochter zu besuchen, bei der sie sich
auch als Mutter zu erkennen gegeben hat. Octave seinerseits besucht die
Tochter auch, aber selten, und nicht als Bater, sondern incognito, unter dem
Namen „Monsieur Alphonse". Daher der Titel des Stücks. Zugleich hat
der Zufall gewollt, daß Octave's Vater mit Montaiglin befreundet gewesen
ist, und aus diesem Grunde geht Octave im Hause seiner ehemaligen Ge¬
liebten aus und ein, von Montaiglin als Taugenichts angesehen, von Ray¬
monde aufs Bielersee gehaßt.

Octave nun will sich verheirathen, und zwar mit einer Madame Guichard,
deren Liebhaber er schon lange ist; Madame Guichard ist eine dermalige
Bauernmagd, die ihr Herz zwischen Octave und einem reichen Wirthshaus¬
besitzer, bei dem sie diente, getheilt hat, und die von diesem letzteren auf seinem
Todtenbette in extremis geheirathet, und zur Erbin einer Million gemacht


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[0112] ersten Vorstellung ein einziger Schrei: „Endlich haben wir ein Meisterwerk, Dumas ist wieder gefunden, der Dumas der „of-we aux egmMas" und der „Deal-Monde", der große Dumas, der seit einiger Zeit auf Abwege ge¬ rathen war, er ist wieder im richtigen Gleise, Halleluja!" Ich habe seitdem dieses vermeintliche Meisterwerk gesehen, und habe es wieder gesehen und frage mich noch, woher dieser Enthusiasmus kommt, der wirklich ganz ein¬ stimmig war, der so unbestreitbar schien, daß die hiesigen Zeitungen tadelnde Kritiken, die englische Zeitungen von ihren Pariser Correspondenten hatten, als Curiosum wiedergaben, als etwas ganz Unsinniges. Es ist wahr „Herr Alphonse" ist besser als Dumas' letzte Erzeugnisse, nicht ganz so absurd wie „Claude's Frau", die durchfiel, nicht ganz so ekelhaft cynisch wie „eine Hoch¬ zeitsvisite" oder „die Prinzessin Georges", die beide nur einen zweifelhaften Er¬ folg hatten, es ist selbst eine sehr schöne Scene darin, aber um diese eine Scene herbeizuführen, welcher Aufwand von UnWahrscheinlichkeit in der Hand¬ lung und in den Charakteren! Keiner der fünf Charaktere ist wahr, keiner ist möglich, und die Handlung ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, daß es der ganzen Vorzüglichkeit der Darstellung, und der geschickten Ausarbeitung der Einzelheiten bedarf, um die Sache genießbar zu machen. Folgender ist in Kürze der Inhalt des Dramas: Ein Marineoffizier, Herr von Montaiglin, hat eine arme Weise geheirathet und lebt mit der¬ selben seit etwa 10 Jahren in glücklicher aber kinderloser Ehe. Die arme Waise (Raymonde) ist aber vorher von einem entfernten Verwandten (Octave) verführt worden, und hat ein Kind (Adrienne) gehabt, von welchem Unfälle sie aber Herrn Montaiglin wohlweislich nichts gesagt hat, weil dieser sie sonst vielleicht nicht geheirathet hätte. Das Kind, das inzwischen 11 Jahre alt geworden ist, ist zu Bauersleuten in der Nähe von Paris in die Ziehe ge¬ than worden, und Raymonde benutzt jeden freien Augenblick, besonders wenn der Capitain auf der See ist, um ihre Tochter zu besuchen, bei der sie sich auch als Mutter zu erkennen gegeben hat. Octave seinerseits besucht die Tochter auch, aber selten, und nicht als Bater, sondern incognito, unter dem Namen „Monsieur Alphonse". Daher der Titel des Stücks. Zugleich hat der Zufall gewollt, daß Octave's Vater mit Montaiglin befreundet gewesen ist, und aus diesem Grunde geht Octave im Hause seiner ehemaligen Ge¬ liebten aus und ein, von Montaiglin als Taugenichts angesehen, von Ray¬ monde aufs Bielersee gehaßt. Octave nun will sich verheirathen, und zwar mit einer Madame Guichard, deren Liebhaber er schon lange ist; Madame Guichard ist eine dermalige Bauernmagd, die ihr Herz zwischen Octave und einem reichen Wirthshaus¬ besitzer, bei dem sie diente, getheilt hat, und die von diesem letzteren auf seinem Todtenbette in extremis geheirathet, und zur Erbin einer Million gemacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/112>, abgerufen am 28.05.2024.