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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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das Kind mit uns nehmen, statt es fremden Leuten aufzubürden. Das paßt
Octave nicht, aber er muß seiner gebieterischen Flamme doch versprechen, das
Kind den Montaiglins wieder abzunehmen, und darauf verschwindet die
Guichard unter dem Verwände eines Geschäftes.

Octave theilt nun den Wunsch seiner Braut Herrn Montaiglin mit, und
findet bei diesem.natürlich vollkommene Beistimmung und Montaiglin über¬
nimmt es. es seiner Frau zu sagen. Dies führt zur große Scene des Stückes.
Als Montaiglin die Rückgabe des Kindes als etwas ganz natürliches vor¬
bringt, stößt er bei seiner Frau auf ganz unerwarteten Widerstand, und als
er diesen durch Vernunftgründe bekämpfen will, kommt Raymonde so in
Eifer, daß sie alle Zurückhaltung vergißt, und so zu sagen durchgeht. Er¬
staunt sieht sie Montaiglin erst an. und als sie immer fort predigt, und an¬
fängt zu weinen und zu schluchzen, da wird ihm die Wahrheit klar, und er
springt mit dem Schrei auf: "Das Mädchen ist Deine Tochter!" Sie sieht,
daß sie sich verrathen hat, fällt auf die Knie -- die Frauen weinen, die
Männer klatschen und der Erfolg des Stückes ist entschieden.

Montaiglin ist durch die Entdeckung vielleicht unangenehm berührt, be¬
sonders wohl, weil er ja den Vater des Kindes schon kennt, nichtsdestoweni¬
ger aber schluckt er es hinunter, schüttelt sich und verzeiht seiner reuigen
Magdalene. Es geht noch weiter. Um das Kind behalten zu können, trotz
der Reclamation des Vaters, beschließt er sogleich, es als sein Kind anzu¬
erkennen. (Adrienne ist auf der Mairie als Kind unbekannter Eltern einge¬
schrieben, und, wie es scheint, kann nach dem Code Napoleon der Erste Beste
sich durch Anerkennung eines solchen Kindes bemächtigen.) Er läßt schnell
einen Notar kommen, einen Äneikerinungsakt vorbereiten, und diesen in Ge¬
genwart von Raymonde und Ocwve vorlesen. Beim noch unausgefüllten
Namen des Vaters angekommen, fragt er Octave, ob er sein Kind anerkennen
wolle, und auf dessen ausweichende Antwort giebt er seinen Namen an.
Octave will protestiren. aber Montaiglin sagt ihm: "Ich weiß jetzt, daß
Adrienne das Kind meiner Frau ist, und ein Kind meiner Frau kann doch keinen
andern Vater als mich haben; jetzt unterschreib Du den Akt als Zeuge!"
Und so thut Octave, ziemlich niedergeschmettert.

Hiermit könnte das Stück zu Ende sein, wenn Madame Guichard nicht
wäre. Diese hat, um ihrem lieben Octave eine Ueberraschung zu machen,
den Entschluß gefaßt und sofort ausgeführt, ihrerseits Adrienne's Mutter
zu sein, hat dies auf der Mairie vollbracht, und kommt nun triumphirend mit
ihrem Papier zurück, und verlangt von Montaiglin ihre Tochter zurück.
"Adrienne ist meine Tochter," sagt Montaiglin, und nun zeigen sie sich ge¬
genseitig ihre Papiere. Große Heiterkeit nach den Thränen des vorhergehen¬
den Actes.


das Kind mit uns nehmen, statt es fremden Leuten aufzubürden. Das paßt
Octave nicht, aber er muß seiner gebieterischen Flamme doch versprechen, das
Kind den Montaiglins wieder abzunehmen, und darauf verschwindet die
Guichard unter dem Verwände eines Geschäftes.

Octave theilt nun den Wunsch seiner Braut Herrn Montaiglin mit, und
findet bei diesem.natürlich vollkommene Beistimmung und Montaiglin über¬
nimmt es. es seiner Frau zu sagen. Dies führt zur große Scene des Stückes.
Als Montaiglin die Rückgabe des Kindes als etwas ganz natürliches vor¬
bringt, stößt er bei seiner Frau auf ganz unerwarteten Widerstand, und als
er diesen durch Vernunftgründe bekämpfen will, kommt Raymonde so in
Eifer, daß sie alle Zurückhaltung vergißt, und so zu sagen durchgeht. Er¬
staunt sieht sie Montaiglin erst an. und als sie immer fort predigt, und an¬
fängt zu weinen und zu schluchzen, da wird ihm die Wahrheit klar, und er
springt mit dem Schrei auf: „Das Mädchen ist Deine Tochter!" Sie sieht,
daß sie sich verrathen hat, fällt auf die Knie — die Frauen weinen, die
Männer klatschen und der Erfolg des Stückes ist entschieden.

Montaiglin ist durch die Entdeckung vielleicht unangenehm berührt, be¬
sonders wohl, weil er ja den Vater des Kindes schon kennt, nichtsdestoweni¬
ger aber schluckt er es hinunter, schüttelt sich und verzeiht seiner reuigen
Magdalene. Es geht noch weiter. Um das Kind behalten zu können, trotz
der Reclamation des Vaters, beschließt er sogleich, es als sein Kind anzu¬
erkennen. (Adrienne ist auf der Mairie als Kind unbekannter Eltern einge¬
schrieben, und, wie es scheint, kann nach dem Code Napoleon der Erste Beste
sich durch Anerkennung eines solchen Kindes bemächtigen.) Er läßt schnell
einen Notar kommen, einen Äneikerinungsakt vorbereiten, und diesen in Ge¬
genwart von Raymonde und Ocwve vorlesen. Beim noch unausgefüllten
Namen des Vaters angekommen, fragt er Octave, ob er sein Kind anerkennen
wolle, und auf dessen ausweichende Antwort giebt er seinen Namen an.
Octave will protestiren. aber Montaiglin sagt ihm: „Ich weiß jetzt, daß
Adrienne das Kind meiner Frau ist, und ein Kind meiner Frau kann doch keinen
andern Vater als mich haben; jetzt unterschreib Du den Akt als Zeuge!"
Und so thut Octave, ziemlich niedergeschmettert.

Hiermit könnte das Stück zu Ende sein, wenn Madame Guichard nicht
wäre. Diese hat, um ihrem lieben Octave eine Ueberraschung zu machen,
den Entschluß gefaßt und sofort ausgeführt, ihrerseits Adrienne's Mutter
zu sein, hat dies auf der Mairie vollbracht, und kommt nun triumphirend mit
ihrem Papier zurück, und verlangt von Montaiglin ihre Tochter zurück.
„Adrienne ist meine Tochter," sagt Montaiglin, und nun zeigen sie sich ge¬
genseitig ihre Papiere. Große Heiterkeit nach den Thränen des vorhergehen¬
den Actes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/114>, abgerufen am 13.05.2024.