Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eines höchst belehrenden Vergleiches; zeigt es uns doch die Macht des deutschen
Reiches und Volkes in beginnendem Verfall, ein Versagen seiner kriegerischen
Kraft und ein schmerzliches Aufgeben an genau derselben Stelle, an welche
sich für uns Mitlebende die Auferstehung des deutschen Reiches, die kühnsten
Beweise kriegerischer Energie und vor Allem das Zeugniß entschlossener Sicher¬
heit im Ergreifen und Festhalten für alle Zeiten unauflöslich geheftet
haben! -- Wol war Karl V. jener gewaltige Monarch, in dessen Reiche die
Sonne nicht unterging; aber sein Reich selbst war eine untergehende Sonne.
Wol war er römischer Kaiser, deutscher König und König von Spanien,
Herr von Burgund und Herr von Indien; aber dem Machtum sang ent¬
sprach nicht der Machtinhalt; und um dies deutlich zu machen, um Ge¬
legenheit zu einem Vergleiche mit der Gegenwart zu geben, gilt es zunächst,
einen Blick zu thun auf die Wehrverfassung Deutschlands in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts.

Das verfassungsmäßigeWehrwesen des deutschen Reiches
zur Zeit Karl's V. beruht auf der berühmten Wormser Matrikel von
1521. Diese Matrikel ist voll von statistischen und diplomatischen Irrthü¬
mern, bleibt aber als Grundmaß der Leistung für alle Reichsstände immerhin
sehr merkwürdig. Der ältere Ansatz, daß für jeden Reiter 12 Gulden, für
jeden Fußknecht 4 Gulden monatlich zu erlegen seien, fand auch diesmal seine
Anwendung, und auf ihm beruhte die Berechnung, wie viel jeder Stand als
"Römermonat" zu stellen habe.

Unendlich gering erscheinen uns Modernen die Kontingente, zu deren Ge¬
stellung die Stände verpflichtet waren. Die Kurfürsten waren, bis auf
Böhmen, jeder zu 60 Roß und 277 Mann zu Fuß veranschlagt; Böhmen
zu 400 und 600. Von den Erzbi schufen stellte Magdeburg mit Halber¬
stadt nahezu so viel als ein Kurfürst (57 zu 266); von den Bischöfen
brachten Lüttich, Utrecht und Würzburg am meisten auf (50. 50 oder 45 zu Roß
gegen 206. 190 und 208 zu Fuß). -- Von den Laienfürsten hatte Oester¬
reich mit Burgund 240 Reiter und 600 M. zu Fuß zu stellen, Dänemark von
seinen Reichslehen, und Baierns Hauptlinie ungefähr gleich einem Kurfürsten;
Kleve und Brandenburg in Franken, Pommern und Würtemberg, wie
Hessen, Mecklenburg hatten ungefähr ebensoviel aufzubieten; nur die
Braunschweiger stellten weniger. Von den welschen Fürsten boten Loth¬
ringen und Savoyen ein verhältnißmäßig hohes Kontingent auf. Die Prä¬
laten stiegen von Fulda. dem Deutschmeister,und dem "Johanns-Meister"
an von 16, 14 zu Roß und 66, 46 zu Fuß bis auf das Simplum herab,
wobei jedoch große Abweichung in Betreff des Fußvolks vorkam. Unter den
Grafen standen die Nassauer. Zollern. Hohenlohe und Ostfriesland, sowie
die von Hanau. oben an (zu 30 bis 8 zu Roß). Die Se. Georgenschilds


eines höchst belehrenden Vergleiches; zeigt es uns doch die Macht des deutschen
Reiches und Volkes in beginnendem Verfall, ein Versagen seiner kriegerischen
Kraft und ein schmerzliches Aufgeben an genau derselben Stelle, an welche
sich für uns Mitlebende die Auferstehung des deutschen Reiches, die kühnsten
Beweise kriegerischer Energie und vor Allem das Zeugniß entschlossener Sicher¬
heit im Ergreifen und Festhalten für alle Zeiten unauflöslich geheftet
haben! — Wol war Karl V. jener gewaltige Monarch, in dessen Reiche die
Sonne nicht unterging; aber sein Reich selbst war eine untergehende Sonne.
Wol war er römischer Kaiser, deutscher König und König von Spanien,
Herr von Burgund und Herr von Indien; aber dem Machtum sang ent¬
sprach nicht der Machtinhalt; und um dies deutlich zu machen, um Ge¬
legenheit zu einem Vergleiche mit der Gegenwart zu geben, gilt es zunächst,
einen Blick zu thun auf die Wehrverfassung Deutschlands in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts.

Das verfassungsmäßigeWehrwesen des deutschen Reiches
zur Zeit Karl's V. beruht auf der berühmten Wormser Matrikel von
1521. Diese Matrikel ist voll von statistischen und diplomatischen Irrthü¬
mern, bleibt aber als Grundmaß der Leistung für alle Reichsstände immerhin
sehr merkwürdig. Der ältere Ansatz, daß für jeden Reiter 12 Gulden, für
jeden Fußknecht 4 Gulden monatlich zu erlegen seien, fand auch diesmal seine
Anwendung, und auf ihm beruhte die Berechnung, wie viel jeder Stand als
„Römermonat" zu stellen habe.

Unendlich gering erscheinen uns Modernen die Kontingente, zu deren Ge¬
stellung die Stände verpflichtet waren. Die Kurfürsten waren, bis auf
Böhmen, jeder zu 60 Roß und 277 Mann zu Fuß veranschlagt; Böhmen
zu 400 und 600. Von den Erzbi schufen stellte Magdeburg mit Halber¬
stadt nahezu so viel als ein Kurfürst (57 zu 266); von den Bischöfen
brachten Lüttich, Utrecht und Würzburg am meisten auf (50. 50 oder 45 zu Roß
gegen 206. 190 und 208 zu Fuß). — Von den Laienfürsten hatte Oester¬
reich mit Burgund 240 Reiter und 600 M. zu Fuß zu stellen, Dänemark von
seinen Reichslehen, und Baierns Hauptlinie ungefähr gleich einem Kurfürsten;
Kleve und Brandenburg in Franken, Pommern und Würtemberg, wie
Hessen, Mecklenburg hatten ungefähr ebensoviel aufzubieten; nur die
Braunschweiger stellten weniger. Von den welschen Fürsten boten Loth¬
ringen und Savoyen ein verhältnißmäßig hohes Kontingent auf. Die Prä¬
laten stiegen von Fulda. dem Deutschmeister,und dem „Johanns-Meister"
an von 16, 14 zu Roß und 66, 46 zu Fuß bis auf das Simplum herab,
wobei jedoch große Abweichung in Betreff des Fußvolks vorkam. Unter den
Grafen standen die Nassauer. Zollern. Hohenlohe und Ostfriesland, sowie
die von Hanau. oben an (zu 30 bis 8 zu Roß). Die Se. Georgenschilds


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130656"/>
          <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> eines höchst belehrenden Vergleiches; zeigt es uns doch die Macht des deutschen<lb/>
Reiches und Volkes in beginnendem Verfall, ein Versagen seiner kriegerischen<lb/>
Kraft und ein schmerzliches Aufgeben an genau derselben Stelle, an welche<lb/>
sich für uns Mitlebende die Auferstehung des deutschen Reiches, die kühnsten<lb/>
Beweise kriegerischer Energie und vor Allem das Zeugniß entschlossener Sicher¬<lb/>
heit im Ergreifen und Festhalten für alle Zeiten unauflöslich geheftet<lb/>
haben! &#x2014; Wol war Karl V. jener gewaltige Monarch, in dessen Reiche die<lb/>
Sonne nicht unterging; aber sein Reich selbst war eine untergehende Sonne.<lb/>
Wol war er römischer Kaiser, deutscher König und König von Spanien,<lb/>
Herr von Burgund und Herr von Indien; aber dem Machtum sang ent¬<lb/>
sprach nicht der Machtinhalt; und um dies deutlich zu machen, um Ge¬<lb/>
legenheit zu einem Vergleiche mit der Gegenwart zu geben, gilt es zunächst,<lb/>
einen Blick zu thun auf die Wehrverfassung Deutschlands in der ersten Hälfte<lb/>
des 16. Jahrhunderts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> Das verfassungsmäßigeWehrwesen des deutschen Reiches<lb/>
zur Zeit Karl's V. beruht auf der berühmten Wormser Matrikel von<lb/>
1521. Diese Matrikel ist voll von statistischen und diplomatischen Irrthü¬<lb/>
mern, bleibt aber als Grundmaß der Leistung für alle Reichsstände immerhin<lb/>
sehr merkwürdig. Der ältere Ansatz, daß für jeden Reiter 12 Gulden, für<lb/>
jeden Fußknecht 4 Gulden monatlich zu erlegen seien, fand auch diesmal seine<lb/>
Anwendung, und auf ihm beruhte die Berechnung, wie viel jeder Stand als<lb/>
&#x201E;Römermonat" zu stellen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22" next="#ID_23"> Unendlich gering erscheinen uns Modernen die Kontingente, zu deren Ge¬<lb/>
stellung die Stände verpflichtet waren. Die Kurfürsten waren, bis auf<lb/>
Böhmen, jeder zu 60 Roß und 277 Mann zu Fuß veranschlagt; Böhmen<lb/>
zu 400 und 600. Von den Erzbi schufen stellte Magdeburg mit Halber¬<lb/>
stadt nahezu so viel als ein Kurfürst (57 zu 266); von den Bischöfen<lb/>
brachten Lüttich, Utrecht und Würzburg am meisten auf (50. 50 oder 45 zu Roß<lb/>
gegen 206. 190 und 208 zu Fuß). &#x2014; Von den Laienfürsten hatte Oester¬<lb/>
reich mit Burgund 240 Reiter und 600 M. zu Fuß zu stellen, Dänemark von<lb/>
seinen Reichslehen, und Baierns Hauptlinie ungefähr gleich einem Kurfürsten;<lb/>
Kleve und Brandenburg in Franken, Pommern und Würtemberg, wie<lb/>
Hessen, Mecklenburg hatten ungefähr ebensoviel aufzubieten; nur die<lb/>
Braunschweiger stellten weniger. Von den welschen Fürsten boten Loth¬<lb/>
ringen und Savoyen ein verhältnißmäßig hohes Kontingent auf. Die Prä¬<lb/>
laten stiegen von Fulda. dem Deutschmeister,und dem &#x201E;Johanns-Meister"<lb/>
an von 16, 14 zu Roß und 66, 46 zu Fuß bis auf das Simplum herab,<lb/>
wobei jedoch große Abweichung in Betreff des Fußvolks vorkam. Unter den<lb/>
Grafen standen die Nassauer. Zollern. Hohenlohe und Ostfriesland, sowie<lb/>
die von Hanau. oben an (zu 30 bis 8 zu Roß). Die Se. Georgenschilds</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] eines höchst belehrenden Vergleiches; zeigt es uns doch die Macht des deutschen Reiches und Volkes in beginnendem Verfall, ein Versagen seiner kriegerischen Kraft und ein schmerzliches Aufgeben an genau derselben Stelle, an welche sich für uns Mitlebende die Auferstehung des deutschen Reiches, die kühnsten Beweise kriegerischer Energie und vor Allem das Zeugniß entschlossener Sicher¬ heit im Ergreifen und Festhalten für alle Zeiten unauflöslich geheftet haben! — Wol war Karl V. jener gewaltige Monarch, in dessen Reiche die Sonne nicht unterging; aber sein Reich selbst war eine untergehende Sonne. Wol war er römischer Kaiser, deutscher König und König von Spanien, Herr von Burgund und Herr von Indien; aber dem Machtum sang ent¬ sprach nicht der Machtinhalt; und um dies deutlich zu machen, um Ge¬ legenheit zu einem Vergleiche mit der Gegenwart zu geben, gilt es zunächst, einen Blick zu thun auf die Wehrverfassung Deutschlands in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das verfassungsmäßigeWehrwesen des deutschen Reiches zur Zeit Karl's V. beruht auf der berühmten Wormser Matrikel von 1521. Diese Matrikel ist voll von statistischen und diplomatischen Irrthü¬ mern, bleibt aber als Grundmaß der Leistung für alle Reichsstände immerhin sehr merkwürdig. Der ältere Ansatz, daß für jeden Reiter 12 Gulden, für jeden Fußknecht 4 Gulden monatlich zu erlegen seien, fand auch diesmal seine Anwendung, und auf ihm beruhte die Berechnung, wie viel jeder Stand als „Römermonat" zu stellen habe. Unendlich gering erscheinen uns Modernen die Kontingente, zu deren Ge¬ stellung die Stände verpflichtet waren. Die Kurfürsten waren, bis auf Böhmen, jeder zu 60 Roß und 277 Mann zu Fuß veranschlagt; Böhmen zu 400 und 600. Von den Erzbi schufen stellte Magdeburg mit Halber¬ stadt nahezu so viel als ein Kurfürst (57 zu 266); von den Bischöfen brachten Lüttich, Utrecht und Würzburg am meisten auf (50. 50 oder 45 zu Roß gegen 206. 190 und 208 zu Fuß). — Von den Laienfürsten hatte Oester¬ reich mit Burgund 240 Reiter und 600 M. zu Fuß zu stellen, Dänemark von seinen Reichslehen, und Baierns Hauptlinie ungefähr gleich einem Kurfürsten; Kleve und Brandenburg in Franken, Pommern und Würtemberg, wie Hessen, Mecklenburg hatten ungefähr ebensoviel aufzubieten; nur die Braunschweiger stellten weniger. Von den welschen Fürsten boten Loth¬ ringen und Savoyen ein verhältnißmäßig hohes Kontingent auf. Die Prä¬ laten stiegen von Fulda. dem Deutschmeister,und dem „Johanns-Meister" an von 16, 14 zu Roß und 66, 46 zu Fuß bis auf das Simplum herab, wobei jedoch große Abweichung in Betreff des Fußvolks vorkam. Unter den Grafen standen die Nassauer. Zollern. Hohenlohe und Ostfriesland, sowie die von Hanau. oben an (zu 30 bis 8 zu Roß). Die Se. Georgenschilds

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/12>, abgerufen am 12.05.2024.