Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die langen Spieße und das Feuergewehr, dessen "Gepolter". wie Götz
von Berlichingen meint, "nicht jeglicher leiden mochte", begannen so sehr das
Uebergewicht zu bekommen, daß die adligen Vasallenlanzen, die oft schlecht
genug ausgestattet sein mochten, bald die Spottlust der Landsknechte reizten,
die allerdings sehr lose Mäuler hatten. Wenn die altfränkischen Eisenmän¬
ner so geputzt, feierlich und langsam daherrückten, frugen die Landsknechte
wohl die Geharnischten, ob vielleicht heute Festtag wäre? lobten die steifen,
mageren Streithengste als stattliche Füllen. Solche Schmach mußten die Rit¬
tersleute verschlucken, weil das Recht des Krieges sichtlich auf den angebla.
selten Lunten der Hakenschützen beruhte. -- Hier mußte also Rath geschafft
werden! Die ersten Schritte dazu hatte noch Kaiser Max I. gethan. --
Noch als römischer König errichtete er nach dem Vorbilde der französischen
Gensdarmes eine besoldete Neitertruppe aus dem österreichischen Adel,
die zum Muster für alle derartigen Formationen im deutschen Reiche wurde.
Jeder adlige "Kyrisser" hatte in diesen Reiterfcchnen einige leichte Reiter
als Begleiter und Diener bei sich, sodaß in dieser Beziehung die alte "Lanze"
noch immer Grundlage der inneren Organisation blieb. Außerdem aber ge¬
hörte zu jeder Reiterfahne eine sogenannte "Nennfahne" von 200 einspänni¬
gen Knechten, die keinen vollen Harnisch trugen und mit leichten Spießen,
den sogenannten "Schäfelin", bewaffnet waren. In dieser Einrichtung tritt
die allgemeine Neigung der Zeit zur Aufstellung leichter Kavallerie deutlich
hervor, und zwar ist es wahrscheinlich das unmittelbare Vorbild der spani¬
schen Glucken, welche ebenfalls kurze Spieße trugen, das hierbei für Max
leitend war. -- Zur selben Zeit als dann Frundsberg den Landsknechten
ihre berühmte Organisation verlieh, ordnete der Ritter Löffelholz die
baierischen Ritter in einer Gestaltung, die der neuen Taktik entsprach und in
der sich schon ein gewissermaßen moderner Kavalleriegeist entwickelte. Bei
Aufstellung dieser Reiterei konnte, so höhnisch und anmaßungsvoll auch der
Adel darüber murrte, die edle Geburt nicht mehr in Anschlag kommen; es
mußte sich endlich unter dem Drange der Umstände die Thatsache vollziehen,
daß auch der Reiterdienst, wie der der Landsknechte in eine auf gewisse Zeit
bestehende Soldatenrepublik sich umbildete. Ließ sich auch wol eine gute
Zahl ritterbürgiger, einspänniger Knechte unter dem Regiments "mustern", so
war doch ein großer Theil, ja endlich sogar die Mehrzahl niederer Herkunft.
-- Der Sold eines Reisigen betrug nicht selten 15 Currentgulden, etwa
30 Thaler heutigen Geldes. -- So verwandelte sich die Reiterei, indem sie
den Charakter der Ritterschaft verlor, nach und nach in eine Truppe rei-
tender Landsknechte; die Spannung zwischen ihr und dem Fußvolk er¬
losch allmählig ; die Kavallerie trat neben die Infanterie wie eine Waffe ne¬
ben die andere. -- Bei den Werbungen von Reitern, welche zumeist ein


Die langen Spieße und das Feuergewehr, dessen „Gepolter". wie Götz
von Berlichingen meint, „nicht jeglicher leiden mochte", begannen so sehr das
Uebergewicht zu bekommen, daß die adligen Vasallenlanzen, die oft schlecht
genug ausgestattet sein mochten, bald die Spottlust der Landsknechte reizten,
die allerdings sehr lose Mäuler hatten. Wenn die altfränkischen Eisenmän¬
ner so geputzt, feierlich und langsam daherrückten, frugen die Landsknechte
wohl die Geharnischten, ob vielleicht heute Festtag wäre? lobten die steifen,
mageren Streithengste als stattliche Füllen. Solche Schmach mußten die Rit¬
tersleute verschlucken, weil das Recht des Krieges sichtlich auf den angebla.
selten Lunten der Hakenschützen beruhte. — Hier mußte also Rath geschafft
werden! Die ersten Schritte dazu hatte noch Kaiser Max I. gethan. —
Noch als römischer König errichtete er nach dem Vorbilde der französischen
Gensdarmes eine besoldete Neitertruppe aus dem österreichischen Adel,
die zum Muster für alle derartigen Formationen im deutschen Reiche wurde.
Jeder adlige „Kyrisser" hatte in diesen Reiterfcchnen einige leichte Reiter
als Begleiter und Diener bei sich, sodaß in dieser Beziehung die alte „Lanze"
noch immer Grundlage der inneren Organisation blieb. Außerdem aber ge¬
hörte zu jeder Reiterfahne eine sogenannte „Nennfahne" von 200 einspänni¬
gen Knechten, die keinen vollen Harnisch trugen und mit leichten Spießen,
den sogenannten „Schäfelin", bewaffnet waren. In dieser Einrichtung tritt
die allgemeine Neigung der Zeit zur Aufstellung leichter Kavallerie deutlich
hervor, und zwar ist es wahrscheinlich das unmittelbare Vorbild der spani¬
schen Glucken, welche ebenfalls kurze Spieße trugen, das hierbei für Max
leitend war. — Zur selben Zeit als dann Frundsberg den Landsknechten
ihre berühmte Organisation verlieh, ordnete der Ritter Löffelholz die
baierischen Ritter in einer Gestaltung, die der neuen Taktik entsprach und in
der sich schon ein gewissermaßen moderner Kavalleriegeist entwickelte. Bei
Aufstellung dieser Reiterei konnte, so höhnisch und anmaßungsvoll auch der
Adel darüber murrte, die edle Geburt nicht mehr in Anschlag kommen; es
mußte sich endlich unter dem Drange der Umstände die Thatsache vollziehen,
daß auch der Reiterdienst, wie der der Landsknechte in eine auf gewisse Zeit
bestehende Soldatenrepublik sich umbildete. Ließ sich auch wol eine gute
Zahl ritterbürgiger, einspänniger Knechte unter dem Regiments „mustern", so
war doch ein großer Theil, ja endlich sogar die Mehrzahl niederer Herkunft.
— Der Sold eines Reisigen betrug nicht selten 15 Currentgulden, etwa
30 Thaler heutigen Geldes. — So verwandelte sich die Reiterei, indem sie
den Charakter der Ritterschaft verlor, nach und nach in eine Truppe rei-
tender Landsknechte; die Spannung zwischen ihr und dem Fußvolk er¬
losch allmählig ; die Kavallerie trat neben die Infanterie wie eine Waffe ne¬
ben die andere. — Bei den Werbungen von Reitern, welche zumeist ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130658"/>
          <p xml:id="ID_27" next="#ID_28"> Die langen Spieße und das Feuergewehr, dessen &#x201E;Gepolter". wie Götz<lb/>
von Berlichingen meint, &#x201E;nicht jeglicher leiden mochte", begannen so sehr das<lb/>
Uebergewicht zu bekommen, daß die adligen Vasallenlanzen, die oft schlecht<lb/>
genug ausgestattet sein mochten, bald die Spottlust der Landsknechte reizten,<lb/>
die allerdings sehr lose Mäuler hatten.  Wenn die altfränkischen Eisenmän¬<lb/>
ner so geputzt, feierlich und langsam daherrückten, frugen die Landsknechte<lb/>
wohl die Geharnischten, ob vielleicht heute Festtag wäre? lobten die steifen,<lb/>
mageren Streithengste als stattliche Füllen. Solche Schmach mußten die Rit¬<lb/>
tersleute verschlucken, weil das Recht des Krieges sichtlich auf den angebla.<lb/>
selten Lunten der Hakenschützen beruhte. &#x2014; Hier mußte also Rath geschafft<lb/>
werden! Die ersten Schritte dazu hatte noch Kaiser Max I. gethan. &#x2014;<lb/>
Noch als römischer König errichtete er nach dem Vorbilde der französischen<lb/>
Gensdarmes eine besoldete Neitertruppe aus dem österreichischen Adel,<lb/>
die zum Muster für alle derartigen Formationen im deutschen Reiche wurde.<lb/>
Jeder adlige &#x201E;Kyrisser" hatte in diesen Reiterfcchnen einige leichte Reiter<lb/>
als Begleiter und Diener bei sich, sodaß in dieser Beziehung die alte &#x201E;Lanze"<lb/>
noch immer Grundlage der inneren Organisation blieb.  Außerdem aber ge¬<lb/>
hörte zu jeder Reiterfahne eine sogenannte &#x201E;Nennfahne" von 200 einspänni¬<lb/>
gen Knechten, die keinen vollen Harnisch trugen und mit leichten Spießen,<lb/>
den sogenannten &#x201E;Schäfelin", bewaffnet waren. In dieser Einrichtung tritt<lb/>
die allgemeine Neigung der Zeit zur Aufstellung leichter Kavallerie deutlich<lb/>
hervor, und zwar ist es wahrscheinlich das unmittelbare Vorbild der spani¬<lb/>
schen Glucken, welche ebenfalls kurze Spieße trugen, das hierbei für Max<lb/>
leitend war. &#x2014; Zur selben Zeit als dann Frundsberg den Landsknechten<lb/>
ihre berühmte Organisation verlieh, ordnete der Ritter Löffelholz die<lb/>
baierischen Ritter in einer Gestaltung, die der neuen Taktik entsprach und in<lb/>
der sich schon ein gewissermaßen moderner Kavalleriegeist entwickelte. Bei<lb/>
Aufstellung dieser Reiterei konnte, so höhnisch und anmaßungsvoll auch der<lb/>
Adel darüber murrte, die edle Geburt nicht mehr in Anschlag kommen; es<lb/>
mußte sich endlich unter dem Drange der Umstände die Thatsache vollziehen,<lb/>
daß auch der Reiterdienst, wie der der Landsknechte in eine auf gewisse Zeit<lb/>
bestehende Soldatenrepublik sich umbildete.  Ließ sich auch wol eine gute<lb/>
Zahl ritterbürgiger, einspänniger Knechte unter dem Regiments &#x201E;mustern", so<lb/>
war doch ein großer Theil, ja endlich sogar die Mehrzahl niederer Herkunft.<lb/>
&#x2014; Der Sold eines Reisigen betrug nicht selten 15 Currentgulden, etwa<lb/>
30 Thaler heutigen Geldes. &#x2014; So verwandelte sich die Reiterei, indem sie<lb/>
den Charakter der Ritterschaft verlor, nach und nach in eine Truppe rei-<lb/>
tender Landsknechte; die Spannung zwischen ihr und dem Fußvolk er¬<lb/>
losch allmählig ; die Kavallerie trat neben die Infanterie wie eine Waffe ne¬<lb/>
ben die andere. &#x2014; Bei den Werbungen von Reitern, welche zumeist ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Die langen Spieße und das Feuergewehr, dessen „Gepolter". wie Götz von Berlichingen meint, „nicht jeglicher leiden mochte", begannen so sehr das Uebergewicht zu bekommen, daß die adligen Vasallenlanzen, die oft schlecht genug ausgestattet sein mochten, bald die Spottlust der Landsknechte reizten, die allerdings sehr lose Mäuler hatten. Wenn die altfränkischen Eisenmän¬ ner so geputzt, feierlich und langsam daherrückten, frugen die Landsknechte wohl die Geharnischten, ob vielleicht heute Festtag wäre? lobten die steifen, mageren Streithengste als stattliche Füllen. Solche Schmach mußten die Rit¬ tersleute verschlucken, weil das Recht des Krieges sichtlich auf den angebla. selten Lunten der Hakenschützen beruhte. — Hier mußte also Rath geschafft werden! Die ersten Schritte dazu hatte noch Kaiser Max I. gethan. — Noch als römischer König errichtete er nach dem Vorbilde der französischen Gensdarmes eine besoldete Neitertruppe aus dem österreichischen Adel, die zum Muster für alle derartigen Formationen im deutschen Reiche wurde. Jeder adlige „Kyrisser" hatte in diesen Reiterfcchnen einige leichte Reiter als Begleiter und Diener bei sich, sodaß in dieser Beziehung die alte „Lanze" noch immer Grundlage der inneren Organisation blieb. Außerdem aber ge¬ hörte zu jeder Reiterfahne eine sogenannte „Nennfahne" von 200 einspänni¬ gen Knechten, die keinen vollen Harnisch trugen und mit leichten Spießen, den sogenannten „Schäfelin", bewaffnet waren. In dieser Einrichtung tritt die allgemeine Neigung der Zeit zur Aufstellung leichter Kavallerie deutlich hervor, und zwar ist es wahrscheinlich das unmittelbare Vorbild der spani¬ schen Glucken, welche ebenfalls kurze Spieße trugen, das hierbei für Max leitend war. — Zur selben Zeit als dann Frundsberg den Landsknechten ihre berühmte Organisation verlieh, ordnete der Ritter Löffelholz die baierischen Ritter in einer Gestaltung, die der neuen Taktik entsprach und in der sich schon ein gewissermaßen moderner Kavalleriegeist entwickelte. Bei Aufstellung dieser Reiterei konnte, so höhnisch und anmaßungsvoll auch der Adel darüber murrte, die edle Geburt nicht mehr in Anschlag kommen; es mußte sich endlich unter dem Drange der Umstände die Thatsache vollziehen, daß auch der Reiterdienst, wie der der Landsknechte in eine auf gewisse Zeit bestehende Soldatenrepublik sich umbildete. Ließ sich auch wol eine gute Zahl ritterbürgiger, einspänniger Knechte unter dem Regiments „mustern", so war doch ein großer Theil, ja endlich sogar die Mehrzahl niederer Herkunft. — Der Sold eines Reisigen betrug nicht selten 15 Currentgulden, etwa 30 Thaler heutigen Geldes. — So verwandelte sich die Reiterei, indem sie den Charakter der Ritterschaft verlor, nach und nach in eine Truppe rei- tender Landsknechte; die Spannung zwischen ihr und dem Fußvolk er¬ losch allmählig ; die Kavallerie trat neben die Infanterie wie eine Waffe ne¬ ben die andere. — Bei den Werbungen von Reitern, welche zumeist ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/14>, abgerufen am 13.05.2024.