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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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leidenschast gezogen. Dadurch endlich sind zwischen Staat und Kirche jene
Kämpfe nothwendig geworden, in welche unser Volk sich so plötzlich hinein¬
geworfen sieht. Unbequem und unangenehm mögen manchem Deutschen diese
Kämpfe sein: sie müssen nichtsdestoweniger durchgefochten werden. Und
sollte ihr Ende vielleicht noch nicht in nächster Aussicht stehen, wir vertrauen
auf die Kraft des deutschen Geistes und auf die Gewalt des deutschen Staa¬
tes, welchen es gelingen wird, des neu erwachten Gegners Herr zu werden
und Herr zu bleiben. Wir sind der zuversichtlichen Hoffnung, daß unsere Re¬
gierung und unser leitender Staatsmann die Römlinge mit derselben Energie
schlagen wird, mit der er die alten Feinde unseres Volkes, Oesterreicher und
Franzosen und deutsche Particularisten. geschlagen.

Auch auf dem Standpunkt, dem ich so eben Worte gegeben, wird man
die Frage aufwerfen und ihrer Erörterung einiges Interesse beimessen wollen,
wie es sich mit der Begründung der in unserer Gegenwart neu ins Feld ge¬
führten Theorien des Papstthums verhalte? Dogmatische und historische
Gründe werden dafür geltend gemacht. Was die dogmatische Motivirung
angeht, so dürfen wir es ablehnen, in eine Erörterung über die Stichhaltig¬
keit derselben einzutreten. In der Kirchengeschichte entscheidet mehr wie auf
irgend einem anderen Gebiete der Geschichte der Erfolg: orthodox und ma߬
gebend ist diejenige Richtung, die sich im Streite der Meinungen und Ten¬
denzen behauptet und die Gegensätze sich unterworfen hat. Weniger mit
Rechtsfragen als mit Machtfragen hat es die Kirchengeschichte zu thun. Und"
somit ist für uns die Frage der päpstlichen Herrschaftsansprüche eine vor¬
nehmlich historische; und als eine solche dürfen wir sie einer historischen Be¬
leuchtung und Prüfung unterziehen. Bekanntlich ist innerhalb der katholi¬
schen Kirche selbst aufs lebhafteste gestritten worden über Berechtigung und
Begründung der Vaticanischen Decrete. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl
schwerwiegender katholischer Stimmen hat sich mit sittlicher Entrüstung und
wissenschaftlicher Energie gegen die in unserer Gegenwart firirten und procla-
mirten Dogmen erklärt; 'zu dieser Seite zählen sogar diejenigen Männer, welche
mehr als alle anderen zur Stärkung des Papismus, zur Vorbereitung der
jetzt von ihnen bekämpften Lehrsätze in Deutschland beigesteuert haben: ein
Schisma im Katholicismus selbst ist die erste Blüthe der Erhebung des Papst¬
thums geworden. Da eben werfen wir unsere Frage auf: Welche Partei
steht auf dem historischen Boden? Giebt die Geschichte der katholischen Kirche
den sogenannten Altkatholiken oder giebt sie den vatikanischen Glaubensge¬
nossen Recht?

Ich meine, wir müssen in beiden gegenwärtigen Parteien Fortsetzer und
Ausläufer sehen zweier nebeneinander hergehender Strömungen in der neueren
Geschichte des Katholicismus. Schon seit mehreren Jahrhunderten stehen sich


leidenschast gezogen. Dadurch endlich sind zwischen Staat und Kirche jene
Kämpfe nothwendig geworden, in welche unser Volk sich so plötzlich hinein¬
geworfen sieht. Unbequem und unangenehm mögen manchem Deutschen diese
Kämpfe sein: sie müssen nichtsdestoweniger durchgefochten werden. Und
sollte ihr Ende vielleicht noch nicht in nächster Aussicht stehen, wir vertrauen
auf die Kraft des deutschen Geistes und auf die Gewalt des deutschen Staa¬
tes, welchen es gelingen wird, des neu erwachten Gegners Herr zu werden
und Herr zu bleiben. Wir sind der zuversichtlichen Hoffnung, daß unsere Re¬
gierung und unser leitender Staatsmann die Römlinge mit derselben Energie
schlagen wird, mit der er die alten Feinde unseres Volkes, Oesterreicher und
Franzosen und deutsche Particularisten. geschlagen.

Auch auf dem Standpunkt, dem ich so eben Worte gegeben, wird man
die Frage aufwerfen und ihrer Erörterung einiges Interesse beimessen wollen,
wie es sich mit der Begründung der in unserer Gegenwart neu ins Feld ge¬
führten Theorien des Papstthums verhalte? Dogmatische und historische
Gründe werden dafür geltend gemacht. Was die dogmatische Motivirung
angeht, so dürfen wir es ablehnen, in eine Erörterung über die Stichhaltig¬
keit derselben einzutreten. In der Kirchengeschichte entscheidet mehr wie auf
irgend einem anderen Gebiete der Geschichte der Erfolg: orthodox und ma߬
gebend ist diejenige Richtung, die sich im Streite der Meinungen und Ten¬
denzen behauptet und die Gegensätze sich unterworfen hat. Weniger mit
Rechtsfragen als mit Machtfragen hat es die Kirchengeschichte zu thun. Und"
somit ist für uns die Frage der päpstlichen Herrschaftsansprüche eine vor¬
nehmlich historische; und als eine solche dürfen wir sie einer historischen Be¬
leuchtung und Prüfung unterziehen. Bekanntlich ist innerhalb der katholi¬
schen Kirche selbst aufs lebhafteste gestritten worden über Berechtigung und
Begründung der Vaticanischen Decrete. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl
schwerwiegender katholischer Stimmen hat sich mit sittlicher Entrüstung und
wissenschaftlicher Energie gegen die in unserer Gegenwart firirten und procla-
mirten Dogmen erklärt; 'zu dieser Seite zählen sogar diejenigen Männer, welche
mehr als alle anderen zur Stärkung des Papismus, zur Vorbereitung der
jetzt von ihnen bekämpften Lehrsätze in Deutschland beigesteuert haben: ein
Schisma im Katholicismus selbst ist die erste Blüthe der Erhebung des Papst¬
thums geworden. Da eben werfen wir unsere Frage auf: Welche Partei
steht auf dem historischen Boden? Giebt die Geschichte der katholischen Kirche
den sogenannten Altkatholiken oder giebt sie den vatikanischen Glaubensge¬
nossen Recht?

Ich meine, wir müssen in beiden gegenwärtigen Parteien Fortsetzer und
Ausläufer sehen zweier nebeneinander hergehender Strömungen in der neueren
Geschichte des Katholicismus. Schon seit mehreren Jahrhunderten stehen sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/168>, abgerufen am 13.05.2024.