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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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rial nicht leisten konnte; statt nun aber auf die Verbesserung desselben zu
sinnen und sich wahrhaft praktische Aufgaben zu stellen, gefiel sich das zunft¬
mäßige Konstablerthum in artilleristischen Spielereien. Seltsame Orgelgeschütze
und Zwillingsfalkaunen, übermäßig riesenhafte und lächerlich kleine Kaliber
finden sich grade aus dieser Zeit noch in vielen Zeughäusern und Artillerie-
Museen vor.

Wie man frivolen Witzes einzelne furchtbare Geschütze bald mit Na¬
men der Heiligen, bald mit komischen Spitznamen, wie "Nachtigall" oder
"Singerin" taufte, so bezeichnete man auch die Gattungen mehr nach
irgend einer sinnbildlichen Vorstellung, als nach mechanischem Princip. --
Die "Scharfmetze" wog hundert Centner, schoß eine eiserne Kugel von hundert
Pfund und bedürfte 33 Pferde zu ihrer Fortschaffung so wie 32 sechsspännige
Wagen mit 163 Pferden, sollte sie auf acht Tage zu täglich acht Schüssen
mit Munition versehen sein! Der "Basilisk", 2S Centner schwer zu einer
Kugel von 70 Pfund, hatte 2" Pferde und 17 Wagen nöthig. Die "Roth¬
schlange", wegen ihrer Länge SO Centner wiegend, trieb Is Pfund und hatte
statt des Büchsenmeisters einen "Schlangenknecht"; die "halbe Rothschlange",
welche nur zwei Pfund schoß, bedürfte für die Munition zu hundert Schüssen
gleichwohl 13 Pferde. Eine gemeine Gattung leichterer Geschütze, welche für
Steinkugeln geeignet war, und "Sau, Affe, Bauer, Ochs, Wittmann" und
noch wunderlicher genannt wurde, brauchte doch immer noch eine Bespannung
von acht Pferden. Am beweglichsten, und einigermaßen unserer reitenden Ar¬
tillerie ähnlich, waren die Falkoner zu S Pfund Cisen mit drei Pferden.
Nur zwei Pferde endlich brauchte das "Falkonet". welches, zwei Pfund Blei
oder Eisen treibend, auf wandelbaren Kriegstheatern vielfache Anwen¬
dung fand.

Die bedeutendste technische Weiterentwicklung des Geschützwesens in dieser
Zeit ist offenbar die allgemeine Einführung der Schildzapfen. -- Eine Feld¬
artillerie, welche auf je 1000 Mann des Heeres ein Geschütz besaß, galt
für stark.

Was das deutsche Fußvolk betrifft, so war für die Gestaltung
seiner taktischen Formen in erster Reihe die Verbesserung und Vermehrung der
Handfeuerwaffen entscheidend. Im Jahre 1617 war zu Nürnberg das
Rabschloß erfunden worden, bei welchem die Entzündung des Pulvers auf
der Pfanne durch die Reibung des rauhen Randes eines sich schnell drehenden
Rades an einem zwischen die Lippen eines Hahnes geklemmten Stücke Schwe¬
felkieses bewirkt wurde. Dieser Kies, der in Würfeln von glänzendem Gold¬
gelb gefunden wird, ist schon seit sehr alter Zeit in Gebrauch der Pyrotech¬
nik; schon die Patrouillen der Römer führten ihn stets bei sich, um schnell


rial nicht leisten konnte; statt nun aber auf die Verbesserung desselben zu
sinnen und sich wahrhaft praktische Aufgaben zu stellen, gefiel sich das zunft¬
mäßige Konstablerthum in artilleristischen Spielereien. Seltsame Orgelgeschütze
und Zwillingsfalkaunen, übermäßig riesenhafte und lächerlich kleine Kaliber
finden sich grade aus dieser Zeit noch in vielen Zeughäusern und Artillerie-
Museen vor.

Wie man frivolen Witzes einzelne furchtbare Geschütze bald mit Na¬
men der Heiligen, bald mit komischen Spitznamen, wie „Nachtigall" oder
„Singerin" taufte, so bezeichnete man auch die Gattungen mehr nach
irgend einer sinnbildlichen Vorstellung, als nach mechanischem Princip. —
Die „Scharfmetze" wog hundert Centner, schoß eine eiserne Kugel von hundert
Pfund und bedürfte 33 Pferde zu ihrer Fortschaffung so wie 32 sechsspännige
Wagen mit 163 Pferden, sollte sie auf acht Tage zu täglich acht Schüssen
mit Munition versehen sein! Der „Basilisk", 2S Centner schwer zu einer
Kugel von 70 Pfund, hatte 2» Pferde und 17 Wagen nöthig. Die „Roth¬
schlange", wegen ihrer Länge SO Centner wiegend, trieb Is Pfund und hatte
statt des Büchsenmeisters einen „Schlangenknecht"; die „halbe Rothschlange",
welche nur zwei Pfund schoß, bedürfte für die Munition zu hundert Schüssen
gleichwohl 13 Pferde. Eine gemeine Gattung leichterer Geschütze, welche für
Steinkugeln geeignet war, und „Sau, Affe, Bauer, Ochs, Wittmann" und
noch wunderlicher genannt wurde, brauchte doch immer noch eine Bespannung
von acht Pferden. Am beweglichsten, und einigermaßen unserer reitenden Ar¬
tillerie ähnlich, waren die Falkoner zu S Pfund Cisen mit drei Pferden.
Nur zwei Pferde endlich brauchte das „Falkonet". welches, zwei Pfund Blei
oder Eisen treibend, auf wandelbaren Kriegstheatern vielfache Anwen¬
dung fand.

Die bedeutendste technische Weiterentwicklung des Geschützwesens in dieser
Zeit ist offenbar die allgemeine Einführung der Schildzapfen. — Eine Feld¬
artillerie, welche auf je 1000 Mann des Heeres ein Geschütz besaß, galt
für stark.

Was das deutsche Fußvolk betrifft, so war für die Gestaltung
seiner taktischen Formen in erster Reihe die Verbesserung und Vermehrung der
Handfeuerwaffen entscheidend. Im Jahre 1617 war zu Nürnberg das
Rabschloß erfunden worden, bei welchem die Entzündung des Pulvers auf
der Pfanne durch die Reibung des rauhen Randes eines sich schnell drehenden
Rades an einem zwischen die Lippen eines Hahnes geklemmten Stücke Schwe¬
felkieses bewirkt wurde. Dieser Kies, der in Würfeln von glänzendem Gold¬
gelb gefunden wird, ist schon seit sehr alter Zeit in Gebrauch der Pyrotech¬
nik; schon die Patrouillen der Römer führten ihn stets bei sich, um schnell


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/17>, abgerufen am 13.05.2024.