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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Wer sich die Geschichte der mittelalterlichen Kirche im Ganzen und
Großen vergegenwärtigt, der gewahrt ein wenig unterbrochenes, fast wunderbar
stetiges Wachsthum des päpstlichen Systemes. Aus einer Stellung heraus,
die anfangs vor den anderen Bischöfen nicht viel voraushatte, brachte schon
früh der Bischof von Rom es dahin, daß ein Ehrenprimat an der Spitze der
Kirche ihm zu Theil wurde: aus dem Ehrenprimate machte er allmälig die
wirkliche Herrschaft in der Kirche. In jenen ältesten Jahrhunderten der
Kirchengeschichte aber fand die Gesammtheit der Kirche ihren Ausdruck, gleich¬
sam ihr Organ, in einer Versammlung der Bischöfe. Lag es doch im In¬
teresse der Kirche, die Einheit des Glaubens und der Lehre und die Ueberein¬
stimmung kirchlicher Einrichtungen und Ordnungen zu bewahren und zu
schützen; dazu eben diente das Conzil der Bischöfe. Bald nachdem die christ¬
liche Religion vom römischen Reiche anerkannt und zur Staatsreligion ge¬
macht war, geschah die Berufung des allgemeinen Conziles durch den Kaiser
und fungirte das Conzil unter den Ausspielen des Staatsoberhauptes. Ja,
in vollster Abhängigkeit von der Laune und der Willkür der Kaiser erscheinen
jene großen geistlichen Versammlungen, welche kraft der Inspiration des
heiligen Geistes die Fundamentaldogmen der kirchlichen Dogmatik fabricirt
haben. Das ist gewiß eine tendenziöse Erfindung späterer Doctrinäre zu
nennen, wenn man päpstliche Privilegien oder Ehrenrechte in jener Zeit schon
entdeckt zu haben verkündet; -- aber auch die episcopalistische Idealisirung jener
Conzile hält vor geschichtlicher Prüfung nicht stand, die Vorstellung, als ob
die Geistlichkeit der Kirche in voller Autonomie nach geistlichen Tendenzen
und Motiven die dogmatische Arbeit gethan und die dogmatischen Entschei¬
dungen gefällt habe. Ein sehr weltliches Treiben vielmehr erfüllte jene Ver¬
sammlungen, und in sehr wenig würdevoller Unterordnung und Abhängigkeit
von dem despotischen Kaiserthume der Byzantiner verharrte die Kirche vom
4. bis 8. Jahrhundert. Man kann hier beobachten und verfolgen, mit wie
feinem Instinkte, mit wie gut berechneter Diplomatie das Papstthum die Keime
seiner späteren Stellung ins Erdreich eingesenkt hat; so setzte Papst Leo I. es
451 schon durch, daß seine Legaten der Synode von Chalcedon präsidirten;
damals eine vorübergehende Conzession. aus der sich aber bei günstiger Ge¬
legenheit weitere Folgerungen ziehen ließen.

Es ist nicht meine Absicht an dieser Stelle, durch die Einzelmomente
hindurch der päpstlichen Machtentwickluug nachzugehen. In den politischen
Händeln Italiens und in den kirchlichen Controversen des 8. Jahrhunderts
fand das Papstthum die Mittel, vom oströmischen Kaiserthume sich zu eman-
cipiren: es trat als Haupt des Abendlandes gegen Byzanz auf. Dann aber
erwuchsen ihm im Abendlande neue Gebieter. Zuerst das karolingische und


Wer sich die Geschichte der mittelalterlichen Kirche im Ganzen und
Großen vergegenwärtigt, der gewahrt ein wenig unterbrochenes, fast wunderbar
stetiges Wachsthum des päpstlichen Systemes. Aus einer Stellung heraus,
die anfangs vor den anderen Bischöfen nicht viel voraushatte, brachte schon
früh der Bischof von Rom es dahin, daß ein Ehrenprimat an der Spitze der
Kirche ihm zu Theil wurde: aus dem Ehrenprimate machte er allmälig die
wirkliche Herrschaft in der Kirche. In jenen ältesten Jahrhunderten der
Kirchengeschichte aber fand die Gesammtheit der Kirche ihren Ausdruck, gleich¬
sam ihr Organ, in einer Versammlung der Bischöfe. Lag es doch im In¬
teresse der Kirche, die Einheit des Glaubens und der Lehre und die Ueberein¬
stimmung kirchlicher Einrichtungen und Ordnungen zu bewahren und zu
schützen; dazu eben diente das Conzil der Bischöfe. Bald nachdem die christ¬
liche Religion vom römischen Reiche anerkannt und zur Staatsreligion ge¬
macht war, geschah die Berufung des allgemeinen Conziles durch den Kaiser
und fungirte das Conzil unter den Ausspielen des Staatsoberhauptes. Ja,
in vollster Abhängigkeit von der Laune und der Willkür der Kaiser erscheinen
jene großen geistlichen Versammlungen, welche kraft der Inspiration des
heiligen Geistes die Fundamentaldogmen der kirchlichen Dogmatik fabricirt
haben. Das ist gewiß eine tendenziöse Erfindung späterer Doctrinäre zu
nennen, wenn man päpstliche Privilegien oder Ehrenrechte in jener Zeit schon
entdeckt zu haben verkündet; — aber auch die episcopalistische Idealisirung jener
Conzile hält vor geschichtlicher Prüfung nicht stand, die Vorstellung, als ob
die Geistlichkeit der Kirche in voller Autonomie nach geistlichen Tendenzen
und Motiven die dogmatische Arbeit gethan und die dogmatischen Entschei¬
dungen gefällt habe. Ein sehr weltliches Treiben vielmehr erfüllte jene Ver¬
sammlungen, und in sehr wenig würdevoller Unterordnung und Abhängigkeit
von dem despotischen Kaiserthume der Byzantiner verharrte die Kirche vom
4. bis 8. Jahrhundert. Man kann hier beobachten und verfolgen, mit wie
feinem Instinkte, mit wie gut berechneter Diplomatie das Papstthum die Keime
seiner späteren Stellung ins Erdreich eingesenkt hat; so setzte Papst Leo I. es
451 schon durch, daß seine Legaten der Synode von Chalcedon präsidirten;
damals eine vorübergehende Conzession. aus der sich aber bei günstiger Ge¬
legenheit weitere Folgerungen ziehen ließen.

Es ist nicht meine Absicht an dieser Stelle, durch die Einzelmomente
hindurch der päpstlichen Machtentwickluug nachzugehen. In den politischen
Händeln Italiens und in den kirchlichen Controversen des 8. Jahrhunderts
fand das Papstthum die Mittel, vom oströmischen Kaiserthume sich zu eman-
cipiren: es trat als Haupt des Abendlandes gegen Byzanz auf. Dann aber
erwuchsen ihm im Abendlande neue Gebieter. Zuerst das karolingische und


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[0171] Wer sich die Geschichte der mittelalterlichen Kirche im Ganzen und Großen vergegenwärtigt, der gewahrt ein wenig unterbrochenes, fast wunderbar stetiges Wachsthum des päpstlichen Systemes. Aus einer Stellung heraus, die anfangs vor den anderen Bischöfen nicht viel voraushatte, brachte schon früh der Bischof von Rom es dahin, daß ein Ehrenprimat an der Spitze der Kirche ihm zu Theil wurde: aus dem Ehrenprimate machte er allmälig die wirkliche Herrschaft in der Kirche. In jenen ältesten Jahrhunderten der Kirchengeschichte aber fand die Gesammtheit der Kirche ihren Ausdruck, gleich¬ sam ihr Organ, in einer Versammlung der Bischöfe. Lag es doch im In¬ teresse der Kirche, die Einheit des Glaubens und der Lehre und die Ueberein¬ stimmung kirchlicher Einrichtungen und Ordnungen zu bewahren und zu schützen; dazu eben diente das Conzil der Bischöfe. Bald nachdem die christ¬ liche Religion vom römischen Reiche anerkannt und zur Staatsreligion ge¬ macht war, geschah die Berufung des allgemeinen Conziles durch den Kaiser und fungirte das Conzil unter den Ausspielen des Staatsoberhauptes. Ja, in vollster Abhängigkeit von der Laune und der Willkür der Kaiser erscheinen jene großen geistlichen Versammlungen, welche kraft der Inspiration des heiligen Geistes die Fundamentaldogmen der kirchlichen Dogmatik fabricirt haben. Das ist gewiß eine tendenziöse Erfindung späterer Doctrinäre zu nennen, wenn man päpstliche Privilegien oder Ehrenrechte in jener Zeit schon entdeckt zu haben verkündet; — aber auch die episcopalistische Idealisirung jener Conzile hält vor geschichtlicher Prüfung nicht stand, die Vorstellung, als ob die Geistlichkeit der Kirche in voller Autonomie nach geistlichen Tendenzen und Motiven die dogmatische Arbeit gethan und die dogmatischen Entschei¬ dungen gefällt habe. Ein sehr weltliches Treiben vielmehr erfüllte jene Ver¬ sammlungen, und in sehr wenig würdevoller Unterordnung und Abhängigkeit von dem despotischen Kaiserthume der Byzantiner verharrte die Kirche vom 4. bis 8. Jahrhundert. Man kann hier beobachten und verfolgen, mit wie feinem Instinkte, mit wie gut berechneter Diplomatie das Papstthum die Keime seiner späteren Stellung ins Erdreich eingesenkt hat; so setzte Papst Leo I. es 451 schon durch, daß seine Legaten der Synode von Chalcedon präsidirten; damals eine vorübergehende Conzession. aus der sich aber bei günstiger Ge¬ legenheit weitere Folgerungen ziehen ließen. Es ist nicht meine Absicht an dieser Stelle, durch die Einzelmomente hindurch der päpstlichen Machtentwickluug nachzugehen. In den politischen Händeln Italiens und in den kirchlichen Controversen des 8. Jahrhunderts fand das Papstthum die Mittel, vom oströmischen Kaiserthume sich zu eman- cipiren: es trat als Haupt des Abendlandes gegen Byzanz auf. Dann aber erwuchsen ihm im Abendlande neue Gebieter. Zuerst das karolingische und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/171>, abgerufen am 26.05.2024.