Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

endlich das Schisma aus der Welt schaffte. Von dem widerstrebenden Papste
Johann XXIII. erzwang man Gehorsam und Unterwerfung, und man setzte
die Proclamation einiger inhaltschwerer und weitreichender Grundsätze durch,
welche geeignet waren, die Stellung der kirchlichen Faktoren wesentlich zu ver¬
ändern. Das Conzil behauptete, unmittelbar seine Gewalt von Jesu Christo
zu besitzen; es forderte Gehorsam von jedem Christen, ausdrücklich auch vom
Papste, in allen die Einheit, den Glauben und die Reformation der Kirche
betreffenden Fragen. Und diese Forderungen des Conziles wurden damals
von aller Welt gutgeheißen: mehr als zwei Jahre hindurch existirte gar kein
Papst. Das Conzil war in dieser Zeit die sichtbare Spitze und der Einheits¬
punkt der Christenheit. Als man endlich, Ende 1417, wieder einen Papst
wählte, legte man vor der Wahl gewisse Verpflichtungen dem zu wählenden
auf, die auch der neue Papst Martin V. gewissenhaft einzulösen sich bemühte.
Daran konnte kein Zweifel aufkommen, daß die berufenen Constanze? Decrete
ins kirchliche Recht damals neu aufgenommen waren, -- die regelmäßige
Wiederkehr der ökumenischen Synoden, ihre Competenz für die bezeichneten
Gebiete, und auch die theoretische Grundlage selbst, die conziliare Hoheit und
Autorität: alle diese Sätze waren von Papst und Conzil, von der Kirche
selbst, als gültige Normen angenommen worden.

War aber der hiermit geschaffene Zustand ein zweifellos klarer, ein halt¬
barer, oder auch nur ein möglicher? Man wird diese Frage nicht zu bejahen
im Stande sein.

Die conziliare Partei hatte das seiner Bedeutung und seiner Auslegung
nach neue Prinzip der conziliare" Autorität ausgesprochen und momentan ihm
auch praktische Nachachtung verschafft. Aber das war alles, was man gethan.
Man hatte die allerdings unendlich schwierigere, aber durchaus nöthige Aus¬
gestaltung und Durchführung und Anwendung des neuen Prinzipes für Ver¬
fassung und Verwaltung der Kirche nicht zu Stande gebracht. An theore¬
tischen Monologen war aber weit weniger gelegen, als an praktischen Be¬
schränkungen und detaillirten Maßregeln. Was konnte den Schäden und Ge¬
brechen der Kirche aus der doctrinären Behauptung conziliarer Hoheit an
Hülfe und Besserung erwachsen? Nicht auf allgemeine Behauptungen und
prinzipielle Deklamationen kam es an, sondern auf eine Reihe von einzelnen
faktischen Modificationen der päpstlichen Kirchenregierung und päpstlichen
Verwaltungspraris.

Sieht man von den prinzipiellen Phrasen ab, so hat das Costnitzer Con¬
zil die ganze schmachvolle Wirthschaft des Papalsystemes aufs neue eingeführt
und gutgeheißen. Die Concordate, die das Papstthum 1418 mit den einzel-
nen Nationen abschloß, gewährten einige kleinere Erleichterungen, einige
kleinere Verbesserungen des früheren Zustandes, -- auf die nächsten fünf


endlich das Schisma aus der Welt schaffte. Von dem widerstrebenden Papste
Johann XXIII. erzwang man Gehorsam und Unterwerfung, und man setzte
die Proclamation einiger inhaltschwerer und weitreichender Grundsätze durch,
welche geeignet waren, die Stellung der kirchlichen Faktoren wesentlich zu ver¬
ändern. Das Conzil behauptete, unmittelbar seine Gewalt von Jesu Christo
zu besitzen; es forderte Gehorsam von jedem Christen, ausdrücklich auch vom
Papste, in allen die Einheit, den Glauben und die Reformation der Kirche
betreffenden Fragen. Und diese Forderungen des Conziles wurden damals
von aller Welt gutgeheißen: mehr als zwei Jahre hindurch existirte gar kein
Papst. Das Conzil war in dieser Zeit die sichtbare Spitze und der Einheits¬
punkt der Christenheit. Als man endlich, Ende 1417, wieder einen Papst
wählte, legte man vor der Wahl gewisse Verpflichtungen dem zu wählenden
auf, die auch der neue Papst Martin V. gewissenhaft einzulösen sich bemühte.
Daran konnte kein Zweifel aufkommen, daß die berufenen Constanze? Decrete
ins kirchliche Recht damals neu aufgenommen waren, — die regelmäßige
Wiederkehr der ökumenischen Synoden, ihre Competenz für die bezeichneten
Gebiete, und auch die theoretische Grundlage selbst, die conziliare Hoheit und
Autorität: alle diese Sätze waren von Papst und Conzil, von der Kirche
selbst, als gültige Normen angenommen worden.

War aber der hiermit geschaffene Zustand ein zweifellos klarer, ein halt¬
barer, oder auch nur ein möglicher? Man wird diese Frage nicht zu bejahen
im Stande sein.

Die conziliare Partei hatte das seiner Bedeutung und seiner Auslegung
nach neue Prinzip der conziliare» Autorität ausgesprochen und momentan ihm
auch praktische Nachachtung verschafft. Aber das war alles, was man gethan.
Man hatte die allerdings unendlich schwierigere, aber durchaus nöthige Aus¬
gestaltung und Durchführung und Anwendung des neuen Prinzipes für Ver¬
fassung und Verwaltung der Kirche nicht zu Stande gebracht. An theore¬
tischen Monologen war aber weit weniger gelegen, als an praktischen Be¬
schränkungen und detaillirten Maßregeln. Was konnte den Schäden und Ge¬
brechen der Kirche aus der doctrinären Behauptung conziliarer Hoheit an
Hülfe und Besserung erwachsen? Nicht auf allgemeine Behauptungen und
prinzipielle Deklamationen kam es an, sondern auf eine Reihe von einzelnen
faktischen Modificationen der päpstlichen Kirchenregierung und päpstlichen
Verwaltungspraris.

Sieht man von den prinzipiellen Phrasen ab, so hat das Costnitzer Con¬
zil die ganze schmachvolle Wirthschaft des Papalsystemes aufs neue eingeführt
und gutgeheißen. Die Concordate, die das Papstthum 1418 mit den einzel-
nen Nationen abschloß, gewährten einige kleinere Erleichterungen, einige
kleinere Verbesserungen des früheren Zustandes, — auf die nächsten fünf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130823"/>
          <p xml:id="ID_531" prev="#ID_530"> endlich das Schisma aus der Welt schaffte. Von dem widerstrebenden Papste<lb/>
Johann XXIII. erzwang man Gehorsam und Unterwerfung, und man setzte<lb/>
die Proclamation einiger inhaltschwerer und weitreichender Grundsätze durch,<lb/>
welche geeignet waren, die Stellung der kirchlichen Faktoren wesentlich zu ver¬<lb/>
ändern. Das Conzil behauptete, unmittelbar seine Gewalt von Jesu Christo<lb/>
zu besitzen; es forderte Gehorsam von jedem Christen, ausdrücklich auch vom<lb/>
Papste, in allen die Einheit, den Glauben und die Reformation der Kirche<lb/>
betreffenden Fragen. Und diese Forderungen des Conziles wurden damals<lb/>
von aller Welt gutgeheißen: mehr als zwei Jahre hindurch existirte gar kein<lb/>
Papst. Das Conzil war in dieser Zeit die sichtbare Spitze und der Einheits¬<lb/>
punkt der Christenheit. Als man endlich, Ende 1417, wieder einen Papst<lb/>
wählte, legte man vor der Wahl gewisse Verpflichtungen dem zu wählenden<lb/>
auf, die auch der neue Papst Martin V. gewissenhaft einzulösen sich bemühte.<lb/>
Daran konnte kein Zweifel aufkommen, daß die berufenen Constanze? Decrete<lb/>
ins kirchliche Recht damals neu aufgenommen waren, &#x2014; die regelmäßige<lb/>
Wiederkehr der ökumenischen Synoden, ihre Competenz für die bezeichneten<lb/>
Gebiete, und auch die theoretische Grundlage selbst, die conziliare Hoheit und<lb/>
Autorität: alle diese Sätze waren von Papst und Conzil, von der Kirche<lb/>
selbst, als gültige Normen angenommen worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_532"> War aber der hiermit geschaffene Zustand ein zweifellos klarer, ein halt¬<lb/>
barer, oder auch nur ein möglicher? Man wird diese Frage nicht zu bejahen<lb/>
im Stande sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_533"> Die conziliare Partei hatte das seiner Bedeutung und seiner Auslegung<lb/>
nach neue Prinzip der conziliare» Autorität ausgesprochen und momentan ihm<lb/>
auch praktische Nachachtung verschafft. Aber das war alles, was man gethan.<lb/>
Man hatte die allerdings unendlich schwierigere, aber durchaus nöthige Aus¬<lb/>
gestaltung und Durchführung und Anwendung des neuen Prinzipes für Ver¬<lb/>
fassung und Verwaltung der Kirche nicht zu Stande gebracht. An theore¬<lb/>
tischen Monologen war aber weit weniger gelegen, als an praktischen Be¬<lb/>
schränkungen und detaillirten Maßregeln. Was konnte den Schäden und Ge¬<lb/>
brechen der Kirche aus der doctrinären Behauptung conziliarer Hoheit an<lb/>
Hülfe und Besserung erwachsen? Nicht auf allgemeine Behauptungen und<lb/>
prinzipielle Deklamationen kam es an, sondern auf eine Reihe von einzelnen<lb/>
faktischen Modificationen der päpstlichen Kirchenregierung und päpstlichen<lb/>
Verwaltungspraris.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_534" next="#ID_535"> Sieht man von den prinzipiellen Phrasen ab, so hat das Costnitzer Con¬<lb/>
zil die ganze schmachvolle Wirthschaft des Papalsystemes aufs neue eingeführt<lb/>
und gutgeheißen. Die Concordate, die das Papstthum 1418 mit den einzel-<lb/>
nen Nationen abschloß, gewährten einige kleinere Erleichterungen, einige<lb/>
kleinere Verbesserungen des früheren Zustandes, &#x2014; auf die nächsten fünf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] endlich das Schisma aus der Welt schaffte. Von dem widerstrebenden Papste Johann XXIII. erzwang man Gehorsam und Unterwerfung, und man setzte die Proclamation einiger inhaltschwerer und weitreichender Grundsätze durch, welche geeignet waren, die Stellung der kirchlichen Faktoren wesentlich zu ver¬ ändern. Das Conzil behauptete, unmittelbar seine Gewalt von Jesu Christo zu besitzen; es forderte Gehorsam von jedem Christen, ausdrücklich auch vom Papste, in allen die Einheit, den Glauben und die Reformation der Kirche betreffenden Fragen. Und diese Forderungen des Conziles wurden damals von aller Welt gutgeheißen: mehr als zwei Jahre hindurch existirte gar kein Papst. Das Conzil war in dieser Zeit die sichtbare Spitze und der Einheits¬ punkt der Christenheit. Als man endlich, Ende 1417, wieder einen Papst wählte, legte man vor der Wahl gewisse Verpflichtungen dem zu wählenden auf, die auch der neue Papst Martin V. gewissenhaft einzulösen sich bemühte. Daran konnte kein Zweifel aufkommen, daß die berufenen Constanze? Decrete ins kirchliche Recht damals neu aufgenommen waren, — die regelmäßige Wiederkehr der ökumenischen Synoden, ihre Competenz für die bezeichneten Gebiete, und auch die theoretische Grundlage selbst, die conziliare Hoheit und Autorität: alle diese Sätze waren von Papst und Conzil, von der Kirche selbst, als gültige Normen angenommen worden. War aber der hiermit geschaffene Zustand ein zweifellos klarer, ein halt¬ barer, oder auch nur ein möglicher? Man wird diese Frage nicht zu bejahen im Stande sein. Die conziliare Partei hatte das seiner Bedeutung und seiner Auslegung nach neue Prinzip der conziliare» Autorität ausgesprochen und momentan ihm auch praktische Nachachtung verschafft. Aber das war alles, was man gethan. Man hatte die allerdings unendlich schwierigere, aber durchaus nöthige Aus¬ gestaltung und Durchführung und Anwendung des neuen Prinzipes für Ver¬ fassung und Verwaltung der Kirche nicht zu Stande gebracht. An theore¬ tischen Monologen war aber weit weniger gelegen, als an praktischen Be¬ schränkungen und detaillirten Maßregeln. Was konnte den Schäden und Ge¬ brechen der Kirche aus der doctrinären Behauptung conziliarer Hoheit an Hülfe und Besserung erwachsen? Nicht auf allgemeine Behauptungen und prinzipielle Deklamationen kam es an, sondern auf eine Reihe von einzelnen faktischen Modificationen der päpstlichen Kirchenregierung und päpstlichen Verwaltungspraris. Sieht man von den prinzipiellen Phrasen ab, so hat das Costnitzer Con¬ zil die ganze schmachvolle Wirthschaft des Papalsystemes aufs neue eingeführt und gutgeheißen. Die Concordate, die das Papstthum 1418 mit den einzel- nen Nationen abschloß, gewährten einige kleinere Erleichterungen, einige kleinere Verbesserungen des früheren Zustandes, — auf die nächsten fünf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/179>, abgerufen am 06.06.2024.