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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ein ein Conzil mit dem Banne zu belegen; man unterließ nichts, zweifellos
und unbestreitbar das Papalsystem als das geltende Kirchenrecht für alle
Zeiten aufzustellen. Zuletzt drückte ein ökumenisches Conzil. das sogenannte
V. Lateranconzil, im Dezember des Jahres is16 durch förmliche Gutheißung
der berufenen Unfehlbarkeitsbulle Bonifaz' VIII. sein Siegel endgültig auf
den Zustand, wie er als Resultat der mittelalterlichen Kirchengeschichte bis
dahin sich herausgebildet hatte. Der Versuch einer Aenderung der kirchlichen
Ordnungen durfte damals, im Anfange des 16. Jahrhunderts, als gründlich
fehlgeschlagen und beseitigt gelten.

Das war damals durch die Geschichte des letzten Jahrhunderts nur zu
deutlich erwiesen: eine Reformation der Gesammtkirche war von der conziliaren
Doctrin nicht zu erwarten, noch zu erhoffen. Die Kirche, die auf den Prinzi¬
pien, wie sie historisch geworden, beruhte, hatte gegen alle Reformanläufe ihren
alten historischen Charakter bewahrt.

Wer in der Kirche mit ihren mittelalterlichen Prinzipien seiner Seele
Befriedigung damals nicht zu finden vermochte, dem war durch eine Ver¬
fassungsänderung der Kirche nicht mehr zu helfen: er mußte den Bruch mit
dieser Kirche und ihren Prinzipien wagen. Das religiöse Gefühl und der
religiöse Charakter Martin Luther's wagte den Bruch. Nach langen und
schweren Kämpfen fand Luther die neue Idee, daß weder Papst noch
Conzil ihm seine Seligkeit zu schaffen geeignet wären: er verwarf die mittel¬
alterliche Kirche überhaupt. .

Der gläubige Protestant preist mit dankbarem Herzen Luther's Entschluß
als den Anfang einer neuen kirchlichen Entwickelung, für welche jene Contro-
verse zwischen Papst und Conzil keine Bedeutung mehr hat.

Und der Historiker, dem Katholicismus und Protestantismus nichts als
historische Erscheinungsformen sind, der beide studirt und beide behandelt, ohne
seine subjektive Zuneigung zu der einen oder zu der andern Kirche zu ver-
rathen, auch der Historiker wird den Schritt Luther's über Conzil und über
Papstthum hinaus als einen der folgenreichsten und segenvollsten Fortschritte
der Menschheit freudig begrüßen.

Conzil und Papstthum und Kirche des Mittelalters sind durch den Geist
der Neuzeit überwunden. Die Prinzipien des Mittelalters ragen nur noch als
Ruinen in unsere Tage hinein. Wer dem Geiste der Neuzeit vertraut --
und ohne ein solches Vertrauen ist der Beruf des Historikers ein trauriges
Loos -- der weiß, daß die Gespenster des Mittelalters nur da ihren Spuk
noch zu treiben vermögen, wo die Menschen selbst noch im Banne mittelalter¬
licher Vorstellungen und Ideen leben. Es wird die Aufgabe unseres Staates
und unserer Nation sein, dem Lichtstrahle modernen Geisteslebens auch in
diese Regionen die Straße zu eröffnen!




ein ein Conzil mit dem Banne zu belegen; man unterließ nichts, zweifellos
und unbestreitbar das Papalsystem als das geltende Kirchenrecht für alle
Zeiten aufzustellen. Zuletzt drückte ein ökumenisches Conzil. das sogenannte
V. Lateranconzil, im Dezember des Jahres is16 durch förmliche Gutheißung
der berufenen Unfehlbarkeitsbulle Bonifaz' VIII. sein Siegel endgültig auf
den Zustand, wie er als Resultat der mittelalterlichen Kirchengeschichte bis
dahin sich herausgebildet hatte. Der Versuch einer Aenderung der kirchlichen
Ordnungen durfte damals, im Anfange des 16. Jahrhunderts, als gründlich
fehlgeschlagen und beseitigt gelten.

Das war damals durch die Geschichte des letzten Jahrhunderts nur zu
deutlich erwiesen: eine Reformation der Gesammtkirche war von der conziliaren
Doctrin nicht zu erwarten, noch zu erhoffen. Die Kirche, die auf den Prinzi¬
pien, wie sie historisch geworden, beruhte, hatte gegen alle Reformanläufe ihren
alten historischen Charakter bewahrt.

Wer in der Kirche mit ihren mittelalterlichen Prinzipien seiner Seele
Befriedigung damals nicht zu finden vermochte, dem war durch eine Ver¬
fassungsänderung der Kirche nicht mehr zu helfen: er mußte den Bruch mit
dieser Kirche und ihren Prinzipien wagen. Das religiöse Gefühl und der
religiöse Charakter Martin Luther's wagte den Bruch. Nach langen und
schweren Kämpfen fand Luther die neue Idee, daß weder Papst noch
Conzil ihm seine Seligkeit zu schaffen geeignet wären: er verwarf die mittel¬
alterliche Kirche überhaupt. .

Der gläubige Protestant preist mit dankbarem Herzen Luther's Entschluß
als den Anfang einer neuen kirchlichen Entwickelung, für welche jene Contro-
verse zwischen Papst und Conzil keine Bedeutung mehr hat.

Und der Historiker, dem Katholicismus und Protestantismus nichts als
historische Erscheinungsformen sind, der beide studirt und beide behandelt, ohne
seine subjektive Zuneigung zu der einen oder zu der andern Kirche zu ver-
rathen, auch der Historiker wird den Schritt Luther's über Conzil und über
Papstthum hinaus als einen der folgenreichsten und segenvollsten Fortschritte
der Menschheit freudig begrüßen.

Conzil und Papstthum und Kirche des Mittelalters sind durch den Geist
der Neuzeit überwunden. Die Prinzipien des Mittelalters ragen nur noch als
Ruinen in unsere Tage hinein. Wer dem Geiste der Neuzeit vertraut —
und ohne ein solches Vertrauen ist der Beruf des Historikers ein trauriges
Loos — der weiß, daß die Gespenster des Mittelalters nur da ihren Spuk
noch zu treiben vermögen, wo die Menschen selbst noch im Banne mittelalter¬
licher Vorstellungen und Ideen leben. Es wird die Aufgabe unseres Staates
und unserer Nation sein, dem Lichtstrahle modernen Geisteslebens auch in
diese Regionen die Straße zu eröffnen!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/182>, abgerufen am 14.05.2024.