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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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brauchte Cavour häufig den eben so harmlosen wie wohlberechneten Kunst¬
griff, sie in wichtigen Angelegenheiten vertraulich zu Rathe zu ziehen. -- Die
Preßfreiheit war ihm ein politischer Glaubenssatz und die Staatspolizei ein
Gegenstand des aufrichtigen Widerwillens; in der Beschränkung der ersteren
und der Pflege der zweiten erkannte er nur eine Herausforderung der öffent¬
lichen Uebelstände und Gefahren, denen dadurch angeblich vorgebeugt
werden solle.

Ueber seinen vielfältigen einheimischen Geschäften verlor Cavour die aus¬
wärtigen Interessen Sardiniens und Italiens keinen Augenblick aus dem Ge¬
sichte. Ein von Mazzini 1853 angestifteter widersinniger Aufstand in Mai¬
land gab der österreichischen Regierung den Anlaß, die Güter der seit dem
letzten Kriege mit Sardinien nach Turin ausgewanderten Lombarden, unter
Anklage der Mitschuld, mit Beschlag zu belegen. Cavour erhob nachdrück¬
liche Einsprache gegen diese Maßregel im Namen des Mailänder Friedens,
welcher den lombardischen Flüchtlingen volle Straflosigkeit gewährleistete, und
als Oesterreich seinen Protest mit heftigen Beschuldigungen nicht nur der
Ausgewanderten, sondern auch der Turiner Presse und mit Verdächtigungen
der Turiner Regierung beantwortete, erfolgte die Abberufung des sardinischen
Gesandten aus Wien. -- Ganz Italien jauchzte der Regierung zu, die, so
bald nach der erlittenen jüngsten Niederlage, ihre Unversöhnlichkett gegen den
übermüthigen Landesfeind aufs neue zu bethätigen wagte.

Zwei Jahre später bot sich Cavour eine Gelegenheit, den großen euro¬
päischen Schauplatz zu beschreiten, um seinem wichtigsten Lebenszwecke auf
weitem Umwege einen Schritt näher zu kommen. Der Krimkrieg brach aus,
England warb, wahrscheinlich auf Anregung von Turin aus, um die Bundes¬
genossenschaft Piemonts, und Cavour versprach sich großen Nutzen für Sardi¬
nien von der Betheiligung an einer den Interessen seiner Politik scheinbar
ganz fremden Sache, welche ihm den Vorwand gab, als selbständige Macht
in die Welthändel einzutreten und sich im Gegensatz zu Oesterreich, das in
zaghafter Neutralität verharrte, wesentliche Verdienste um England und Frank¬
reich zu erwerben, indem es sich zugleich in die Lage setzte, das kriegerische
Selbstgefühl des Landes und des Heeres wieder herzustellen.

Die Ansprüche Cavour's auf Gegenleistungen von Seiten der Westmächte
waren vorläufig sehr bescheidene; er verlangte, daß die Stimme der italieni¬
schen Nationalinteressen im Rathe der europäischen Diplomatie zum Worte
gelassen, und daß eine Gewähr für die Rückgabe der Güter der lombardischen
Flüchtlinge geleistet werde, konnte jedoch keine bestimmte Zusage zu diesen
Forderungen erlangen. Gleichwohl schloß er, gegen den Widerspruch der
übrigen Minister, selbst des Kriegsministers Lamarmora und des verwegenen
Ratazzi und kräftig unterstützt nur von Victor Emanuel, im Vertrauen auf


brauchte Cavour häufig den eben so harmlosen wie wohlberechneten Kunst¬
griff, sie in wichtigen Angelegenheiten vertraulich zu Rathe zu ziehen. — Die
Preßfreiheit war ihm ein politischer Glaubenssatz und die Staatspolizei ein
Gegenstand des aufrichtigen Widerwillens; in der Beschränkung der ersteren
und der Pflege der zweiten erkannte er nur eine Herausforderung der öffent¬
lichen Uebelstände und Gefahren, denen dadurch angeblich vorgebeugt
werden solle.

Ueber seinen vielfältigen einheimischen Geschäften verlor Cavour die aus¬
wärtigen Interessen Sardiniens und Italiens keinen Augenblick aus dem Ge¬
sichte. Ein von Mazzini 1853 angestifteter widersinniger Aufstand in Mai¬
land gab der österreichischen Regierung den Anlaß, die Güter der seit dem
letzten Kriege mit Sardinien nach Turin ausgewanderten Lombarden, unter
Anklage der Mitschuld, mit Beschlag zu belegen. Cavour erhob nachdrück¬
liche Einsprache gegen diese Maßregel im Namen des Mailänder Friedens,
welcher den lombardischen Flüchtlingen volle Straflosigkeit gewährleistete, und
als Oesterreich seinen Protest mit heftigen Beschuldigungen nicht nur der
Ausgewanderten, sondern auch der Turiner Presse und mit Verdächtigungen
der Turiner Regierung beantwortete, erfolgte die Abberufung des sardinischen
Gesandten aus Wien. — Ganz Italien jauchzte der Regierung zu, die, so
bald nach der erlittenen jüngsten Niederlage, ihre Unversöhnlichkett gegen den
übermüthigen Landesfeind aufs neue zu bethätigen wagte.

Zwei Jahre später bot sich Cavour eine Gelegenheit, den großen euro¬
päischen Schauplatz zu beschreiten, um seinem wichtigsten Lebenszwecke auf
weitem Umwege einen Schritt näher zu kommen. Der Krimkrieg brach aus,
England warb, wahrscheinlich auf Anregung von Turin aus, um die Bundes¬
genossenschaft Piemonts, und Cavour versprach sich großen Nutzen für Sardi¬
nien von der Betheiligung an einer den Interessen seiner Politik scheinbar
ganz fremden Sache, welche ihm den Vorwand gab, als selbständige Macht
in die Welthändel einzutreten und sich im Gegensatz zu Oesterreich, das in
zaghafter Neutralität verharrte, wesentliche Verdienste um England und Frank¬
reich zu erwerben, indem es sich zugleich in die Lage setzte, das kriegerische
Selbstgefühl des Landes und des Heeres wieder herzustellen.

Die Ansprüche Cavour's auf Gegenleistungen von Seiten der Westmächte
waren vorläufig sehr bescheidene; er verlangte, daß die Stimme der italieni¬
schen Nationalinteressen im Rathe der europäischen Diplomatie zum Worte
gelassen, und daß eine Gewähr für die Rückgabe der Güter der lombardischen
Flüchtlinge geleistet werde, konnte jedoch keine bestimmte Zusage zu diesen
Forderungen erlangen. Gleichwohl schloß er, gegen den Widerspruch der
übrigen Minister, selbst des Kriegsministers Lamarmora und des verwegenen
Ratazzi und kräftig unterstützt nur von Victor Emanuel, im Vertrauen auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/184>, abgerufen am 14.05.2024.