Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mistische Rechte, mit Ausnahme der Herren v. Franelieu, du Temple und
Cazenove de Pradine, für das Ministerium.

Nicht leicht versteht man die Motive dieser Komödie. Daß die Linke
die Gelegenheit zum Sturze Broglie's mit Vergnügen ergriff, ist freilich selbst¬
verständlich. Aber wie die legitimistische Rechte -- wie sehr sie auch das in
orleanistischem Geiste geleitete Cabinet hassen mochte -- diesen Angriff gegen
dasselbe ins Werk richten konnte, ist schwer erklärlich. MacMahon hat sich
gleich beim Antritt seiner Präsidentschaft als allzeit gefügiges Werkzeug der
Majorität der Nationalversammlung erklärt. Wie nun, wenn es gelungen
wäre,^das Cabinet Broglie zu stürzen, wenn Mac-Mahon, den Regeln
des Parlamentarismus gehorchend, aus der siegreichen Majorität ein
neues Ministerium gebildet hätte, würde nicht der Löwenantheil der Linken,
als dem überwiegenden Theile der Coalition haben zufallen müssen? Oder
hofften die Chevauxlegers des Grafen von Chambord, in diesem Falle werde
der Marschall sein parlamentarisches Gewissen bekämpfen und seine Rathgeber
ausschließlich aus ihrer Reihe wählen? Einzelne Heißsporne vielleicht, nicht
aber die ganze Partei hätte so verblendet sein können. Vielmehr ist mög¬
licherweise die Vermuthung nicht unberechtigt, daß es der Rechten von vorn¬
herein mit dem Sturze Broglie's gar nicht ernst war, sondern daß sie die
Ueberrumpelung vom 8. nur unternahm, um ihm einige Concessionen abzu¬
pressen. Mit anerkennenswerther Offenheit stellte ihm das Hauptorgan der
Legitimisten, die "Union", die Bedingung, daß er "das Septennat nicht zum
Dogma erhebe." Und wirklich gab Broglie in der Kammer ziemlich unver¬
blümt zu verstehen, daß trotz der siebenjährigen Präsidentschaft die Frage der
Regierungsform bereits bei der Berathung der constitutionellen Gesetze zur
Discussion kommen dürfen werde. Jetzt nach erlangtem Siege, wollen die
officiösen Organe die Concessionen freilich nicht Wort haben. Sie beweisen
damit aber nur aufs neue die Doppelzüngigkeit der Broglie'schen Politik.

Die nächste Folge des ganzen Handels kann nur eine abermalige Erschüt¬
terung des öffentlichen Vertrauens sein. Unwiderleglich ist nunmehr darge¬
than, daß jene Krisen, welche während der letzten drei Jahre so oft den
Paeifieationsprozeß des, Landes störten, den Aufschwung der Volkswirthschaft
hemmten, auch durch die Errichtung des Septennats nicht verhütet sind.
Wenn die Ministerkrisen heute nicht wie früher zugleich Existenzfragen für
das ganze Regierungssystem werden, so ist das keineswegs das Verdienst der
sieben Jahre, sondern der Bajonette, auf welche der Präsident sich stützt. Da
allein liegt der feste Punkt inmitten der Fluctuationen der hadernden Par¬
teien. Der parlamentarische Charakter des Mac Mahon'schen Regimes ist,
bei Licht betrachtet, niemals eine Wahrheit gewesen. Es giebt keine Partei
in der Nationalversammlung, die dem Präsidenten diente; sie alle verfolgen


mistische Rechte, mit Ausnahme der Herren v. Franelieu, du Temple und
Cazenove de Pradine, für das Ministerium.

Nicht leicht versteht man die Motive dieser Komödie. Daß die Linke
die Gelegenheit zum Sturze Broglie's mit Vergnügen ergriff, ist freilich selbst¬
verständlich. Aber wie die legitimistische Rechte — wie sehr sie auch das in
orleanistischem Geiste geleitete Cabinet hassen mochte — diesen Angriff gegen
dasselbe ins Werk richten konnte, ist schwer erklärlich. MacMahon hat sich
gleich beim Antritt seiner Präsidentschaft als allzeit gefügiges Werkzeug der
Majorität der Nationalversammlung erklärt. Wie nun, wenn es gelungen
wäre,^das Cabinet Broglie zu stürzen, wenn Mac-Mahon, den Regeln
des Parlamentarismus gehorchend, aus der siegreichen Majorität ein
neues Ministerium gebildet hätte, würde nicht der Löwenantheil der Linken,
als dem überwiegenden Theile der Coalition haben zufallen müssen? Oder
hofften die Chevauxlegers des Grafen von Chambord, in diesem Falle werde
der Marschall sein parlamentarisches Gewissen bekämpfen und seine Rathgeber
ausschließlich aus ihrer Reihe wählen? Einzelne Heißsporne vielleicht, nicht
aber die ganze Partei hätte so verblendet sein können. Vielmehr ist mög¬
licherweise die Vermuthung nicht unberechtigt, daß es der Rechten von vorn¬
herein mit dem Sturze Broglie's gar nicht ernst war, sondern daß sie die
Ueberrumpelung vom 8. nur unternahm, um ihm einige Concessionen abzu¬
pressen. Mit anerkennenswerther Offenheit stellte ihm das Hauptorgan der
Legitimisten, die „Union", die Bedingung, daß er „das Septennat nicht zum
Dogma erhebe." Und wirklich gab Broglie in der Kammer ziemlich unver¬
blümt zu verstehen, daß trotz der siebenjährigen Präsidentschaft die Frage der
Regierungsform bereits bei der Berathung der constitutionellen Gesetze zur
Discussion kommen dürfen werde. Jetzt nach erlangtem Siege, wollen die
officiösen Organe die Concessionen freilich nicht Wort haben. Sie beweisen
damit aber nur aufs neue die Doppelzüngigkeit der Broglie'schen Politik.

Die nächste Folge des ganzen Handels kann nur eine abermalige Erschüt¬
terung des öffentlichen Vertrauens sein. Unwiderleglich ist nunmehr darge¬
than, daß jene Krisen, welche während der letzten drei Jahre so oft den
Paeifieationsprozeß des, Landes störten, den Aufschwung der Volkswirthschaft
hemmten, auch durch die Errichtung des Septennats nicht verhütet sind.
Wenn die Ministerkrisen heute nicht wie früher zugleich Existenzfragen für
das ganze Regierungssystem werden, so ist das keineswegs das Verdienst der
sieben Jahre, sondern der Bajonette, auf welche der Präsident sich stützt. Da
allein liegt der feste Punkt inmitten der Fluctuationen der hadernden Par¬
teien. Der parlamentarische Charakter des Mac Mahon'schen Regimes ist,
bei Licht betrachtet, niemals eine Wahrheit gewesen. Es giebt keine Partei
in der Nationalversammlung, die dem Präsidenten diente; sie alle verfolgen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130841"/>
          <p xml:id="ID_593" prev="#ID_592"> mistische Rechte, mit Ausnahme der Herren v. Franelieu, du Temple und<lb/>
Cazenove de Pradine, für das Ministerium.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_594"> Nicht leicht versteht man die Motive dieser Komödie. Daß die Linke<lb/>
die Gelegenheit zum Sturze Broglie's mit Vergnügen ergriff, ist freilich selbst¬<lb/>
verständlich. Aber wie die legitimistische Rechte &#x2014; wie sehr sie auch das in<lb/>
orleanistischem Geiste geleitete Cabinet hassen mochte &#x2014; diesen Angriff gegen<lb/>
dasselbe ins Werk richten konnte, ist schwer erklärlich. MacMahon hat sich<lb/>
gleich beim Antritt seiner Präsidentschaft als allzeit gefügiges Werkzeug der<lb/>
Majorität der Nationalversammlung erklärt. Wie nun, wenn es gelungen<lb/>
wäre,^das Cabinet Broglie zu stürzen, wenn Mac-Mahon, den Regeln<lb/>
des Parlamentarismus gehorchend, aus der siegreichen Majorität ein<lb/>
neues Ministerium gebildet hätte, würde nicht der Löwenantheil der Linken,<lb/>
als dem überwiegenden Theile der Coalition haben zufallen müssen? Oder<lb/>
hofften die Chevauxlegers des Grafen von Chambord, in diesem Falle werde<lb/>
der Marschall sein parlamentarisches Gewissen bekämpfen und seine Rathgeber<lb/>
ausschließlich aus ihrer Reihe wählen? Einzelne Heißsporne vielleicht, nicht<lb/>
aber die ganze Partei hätte so verblendet sein können. Vielmehr ist mög¬<lb/>
licherweise die Vermuthung nicht unberechtigt, daß es der Rechten von vorn¬<lb/>
herein mit dem Sturze Broglie's gar nicht ernst war, sondern daß sie die<lb/>
Ueberrumpelung vom 8. nur unternahm, um ihm einige Concessionen abzu¬<lb/>
pressen. Mit anerkennenswerther Offenheit stellte ihm das Hauptorgan der<lb/>
Legitimisten, die &#x201E;Union", die Bedingung, daß er &#x201E;das Septennat nicht zum<lb/>
Dogma erhebe." Und wirklich gab Broglie in der Kammer ziemlich unver¬<lb/>
blümt zu verstehen, daß trotz der siebenjährigen Präsidentschaft die Frage der<lb/>
Regierungsform bereits bei der Berathung der constitutionellen Gesetze zur<lb/>
Discussion kommen dürfen werde. Jetzt nach erlangtem Siege, wollen die<lb/>
officiösen Organe die Concessionen freilich nicht Wort haben. Sie beweisen<lb/>
damit aber nur aufs neue die Doppelzüngigkeit der Broglie'schen Politik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_595" next="#ID_596"> Die nächste Folge des ganzen Handels kann nur eine abermalige Erschüt¬<lb/>
terung des öffentlichen Vertrauens sein. Unwiderleglich ist nunmehr darge¬<lb/>
than, daß jene Krisen, welche während der letzten drei Jahre so oft den<lb/>
Paeifieationsprozeß des, Landes störten, den Aufschwung der Volkswirthschaft<lb/>
hemmten, auch durch die Errichtung des Septennats nicht verhütet sind.<lb/>
Wenn die Ministerkrisen heute nicht wie früher zugleich Existenzfragen für<lb/>
das ganze Regierungssystem werden, so ist das keineswegs das Verdienst der<lb/>
sieben Jahre, sondern der Bajonette, auf welche der Präsident sich stützt. Da<lb/>
allein liegt der feste Punkt inmitten der Fluctuationen der hadernden Par¬<lb/>
teien. Der parlamentarische Charakter des Mac Mahon'schen Regimes ist,<lb/>
bei Licht betrachtet, niemals eine Wahrheit gewesen. Es giebt keine Partei<lb/>
in der Nationalversammlung, die dem Präsidenten diente; sie alle verfolgen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] mistische Rechte, mit Ausnahme der Herren v. Franelieu, du Temple und Cazenove de Pradine, für das Ministerium. Nicht leicht versteht man die Motive dieser Komödie. Daß die Linke die Gelegenheit zum Sturze Broglie's mit Vergnügen ergriff, ist freilich selbst¬ verständlich. Aber wie die legitimistische Rechte — wie sehr sie auch das in orleanistischem Geiste geleitete Cabinet hassen mochte — diesen Angriff gegen dasselbe ins Werk richten konnte, ist schwer erklärlich. MacMahon hat sich gleich beim Antritt seiner Präsidentschaft als allzeit gefügiges Werkzeug der Majorität der Nationalversammlung erklärt. Wie nun, wenn es gelungen wäre,^das Cabinet Broglie zu stürzen, wenn Mac-Mahon, den Regeln des Parlamentarismus gehorchend, aus der siegreichen Majorität ein neues Ministerium gebildet hätte, würde nicht der Löwenantheil der Linken, als dem überwiegenden Theile der Coalition haben zufallen müssen? Oder hofften die Chevauxlegers des Grafen von Chambord, in diesem Falle werde der Marschall sein parlamentarisches Gewissen bekämpfen und seine Rathgeber ausschließlich aus ihrer Reihe wählen? Einzelne Heißsporne vielleicht, nicht aber die ganze Partei hätte so verblendet sein können. Vielmehr ist mög¬ licherweise die Vermuthung nicht unberechtigt, daß es der Rechten von vorn¬ herein mit dem Sturze Broglie's gar nicht ernst war, sondern daß sie die Ueberrumpelung vom 8. nur unternahm, um ihm einige Concessionen abzu¬ pressen. Mit anerkennenswerther Offenheit stellte ihm das Hauptorgan der Legitimisten, die „Union", die Bedingung, daß er „das Septennat nicht zum Dogma erhebe." Und wirklich gab Broglie in der Kammer ziemlich unver¬ blümt zu verstehen, daß trotz der siebenjährigen Präsidentschaft die Frage der Regierungsform bereits bei der Berathung der constitutionellen Gesetze zur Discussion kommen dürfen werde. Jetzt nach erlangtem Siege, wollen die officiösen Organe die Concessionen freilich nicht Wort haben. Sie beweisen damit aber nur aufs neue die Doppelzüngigkeit der Broglie'schen Politik. Die nächste Folge des ganzen Handels kann nur eine abermalige Erschüt¬ terung des öffentlichen Vertrauens sein. Unwiderleglich ist nunmehr darge¬ than, daß jene Krisen, welche während der letzten drei Jahre so oft den Paeifieationsprozeß des, Landes störten, den Aufschwung der Volkswirthschaft hemmten, auch durch die Errichtung des Septennats nicht verhütet sind. Wenn die Ministerkrisen heute nicht wie früher zugleich Existenzfragen für das ganze Regierungssystem werden, so ist das keineswegs das Verdienst der sieben Jahre, sondern der Bajonette, auf welche der Präsident sich stützt. Da allein liegt der feste Punkt inmitten der Fluctuationen der hadernden Par¬ teien. Der parlamentarische Charakter des Mac Mahon'schen Regimes ist, bei Licht betrachtet, niemals eine Wahrheit gewesen. Es giebt keine Partei in der Nationalversammlung, die dem Präsidenten diente; sie alle verfolgen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/197>, abgerufen am 13.05.2024.