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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Eingang ist. Wenn man die Menge in Ruhe halten will, so muß man
die erste Unart nicht leiden. Gleich beim Eintritt in den Saal sollte jeder
genöthigt werden den Hut abzuziehen, damit er erinnert würde, daß er dem
Orte Achtung schuldig sey. Ich habe bey übervollen Hause, als Jffland's
Spiel in den Räubern erwartet wurde, mit ein paar ernsten und derben
Worten den Tumult im ersten Augenblick zum Schweigen gebracht, hätte ich
nicbt den Entschluß gefaßt, damals gleich bet der mindesten Bewegung drein
zu fahren, so würde jene Aufführung gewiß eine der unruhigsten gewesen
seyn. Ich zweifle nicht, daß die beyden Vorstellungen ruhig vorüber gehen
werden und bis künftigen Winter kann sich viel verändern. Verzeihe Ew.
Wohlgeboren mir meine Empfindlichkeit! Bey unserm engen Verhältniß aber
ist Aufrichtigkeit das beste.

Wegen der kleinen Götzin finde ich die Einrichtung. die Sie machen
wollen, recht passend, nur glaube ich, ist es billig, daß man ihr ein kleines
Geschenk zu ihrer Entwicklung macht und daß man ihr ein kleines Taschen¬
geld wöchentlich aussetzt.

Jena, d. 9. Juni 97.

Eben als ich den Brief siegeln will, kommt Goetze, der Vater in großer
Agitation zu mir. Ich weiß nicht, was ihm für Gespenster erschienen sind,
daß man seine Tochter nicht mit nach Lauchstädt schicken wollte. Da ich
aber aus Ihren Briefen Ihre Gesinnung weiß, mit welcher die meinige
übereinstimmt und er mir noch überdies erzählte: daß sie ihm bey dem Juden
und Schuster Credit gemacht haben, so sah ich wohl, daß es nur eine Confussion
war, in die er, Gott weiß wie, verfallen ist, und die ich ihm nicht übel nehme,
weil ein jeder Mensch in Fällen, die ihm so wichtig scheinen, gar leicht ängst¬
lich und verlegen wird. Beendigen Sie daher das Geschäft, sobald es ihre
Zeit erlaubt und setzen Sie doch eine Art von Contract mit der Beckin auf,
damit man wisse, was man von ihr erwarten kann. Ich wünsche indessen
recht wohl zu leben.

Ein Goethe'sches Promemoria
über das Weimarische Theater.
1812. 5. Januar.

Diejenigen Personen, welchen die Führung eines Hof-Theaters anvertraut
worden und besonders die, deren Obliegenheit es ist zu beurtheilen, ob ein
Stück ausführbar sey, haben sich seit geraumer Zeit in einer sehr unangeneh¬
men Lage befunden, in dem die deutsche Bühne sich nicht nur von den Streu"
gen Geschmacksregeln, sondern auch von manchen andern Verhältnissen und
Betrachtungen losgesagt und sowohl in Kunst, als bürgerlichen Sinne die
Gränzen weit überschritten hat.


Eingang ist. Wenn man die Menge in Ruhe halten will, so muß man
die erste Unart nicht leiden. Gleich beim Eintritt in den Saal sollte jeder
genöthigt werden den Hut abzuziehen, damit er erinnert würde, daß er dem
Orte Achtung schuldig sey. Ich habe bey übervollen Hause, als Jffland's
Spiel in den Räubern erwartet wurde, mit ein paar ernsten und derben
Worten den Tumult im ersten Augenblick zum Schweigen gebracht, hätte ich
nicbt den Entschluß gefaßt, damals gleich bet der mindesten Bewegung drein
zu fahren, so würde jene Aufführung gewiß eine der unruhigsten gewesen
seyn. Ich zweifle nicht, daß die beyden Vorstellungen ruhig vorüber gehen
werden und bis künftigen Winter kann sich viel verändern. Verzeihe Ew.
Wohlgeboren mir meine Empfindlichkeit! Bey unserm engen Verhältniß aber
ist Aufrichtigkeit das beste.

Wegen der kleinen Götzin finde ich die Einrichtung. die Sie machen
wollen, recht passend, nur glaube ich, ist es billig, daß man ihr ein kleines
Geschenk zu ihrer Entwicklung macht und daß man ihr ein kleines Taschen¬
geld wöchentlich aussetzt.

Jena, d. 9. Juni 97.

Eben als ich den Brief siegeln will, kommt Goetze, der Vater in großer
Agitation zu mir. Ich weiß nicht, was ihm für Gespenster erschienen sind,
daß man seine Tochter nicht mit nach Lauchstädt schicken wollte. Da ich
aber aus Ihren Briefen Ihre Gesinnung weiß, mit welcher die meinige
übereinstimmt und er mir noch überdies erzählte: daß sie ihm bey dem Juden
und Schuster Credit gemacht haben, so sah ich wohl, daß es nur eine Confussion
war, in die er, Gott weiß wie, verfallen ist, und die ich ihm nicht übel nehme,
weil ein jeder Mensch in Fällen, die ihm so wichtig scheinen, gar leicht ängst¬
lich und verlegen wird. Beendigen Sie daher das Geschäft, sobald es ihre
Zeit erlaubt und setzen Sie doch eine Art von Contract mit der Beckin auf,
damit man wisse, was man von ihr erwarten kann. Ich wünsche indessen
recht wohl zu leben.

Ein Goethe'sches Promemoria
über das Weimarische Theater.
1812. 5. Januar.

Diejenigen Personen, welchen die Führung eines Hof-Theaters anvertraut
worden und besonders die, deren Obliegenheit es ist zu beurtheilen, ob ein
Stück ausführbar sey, haben sich seit geraumer Zeit in einer sehr unangeneh¬
men Lage befunden, in dem die deutsche Bühne sich nicht nur von den Streu«
gen Geschmacksregeln, sondern auch von manchen andern Verhältnissen und
Betrachtungen losgesagt und sowohl in Kunst, als bürgerlichen Sinne die
Gränzen weit überschritten hat.


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[0213] Eingang ist. Wenn man die Menge in Ruhe halten will, so muß man die erste Unart nicht leiden. Gleich beim Eintritt in den Saal sollte jeder genöthigt werden den Hut abzuziehen, damit er erinnert würde, daß er dem Orte Achtung schuldig sey. Ich habe bey übervollen Hause, als Jffland's Spiel in den Räubern erwartet wurde, mit ein paar ernsten und derben Worten den Tumult im ersten Augenblick zum Schweigen gebracht, hätte ich nicbt den Entschluß gefaßt, damals gleich bet der mindesten Bewegung drein zu fahren, so würde jene Aufführung gewiß eine der unruhigsten gewesen seyn. Ich zweifle nicht, daß die beyden Vorstellungen ruhig vorüber gehen werden und bis künftigen Winter kann sich viel verändern. Verzeihe Ew. Wohlgeboren mir meine Empfindlichkeit! Bey unserm engen Verhältniß aber ist Aufrichtigkeit das beste. Wegen der kleinen Götzin finde ich die Einrichtung. die Sie machen wollen, recht passend, nur glaube ich, ist es billig, daß man ihr ein kleines Geschenk zu ihrer Entwicklung macht und daß man ihr ein kleines Taschen¬ geld wöchentlich aussetzt. Jena, d. 9. Juni 97. Eben als ich den Brief siegeln will, kommt Goetze, der Vater in großer Agitation zu mir. Ich weiß nicht, was ihm für Gespenster erschienen sind, daß man seine Tochter nicht mit nach Lauchstädt schicken wollte. Da ich aber aus Ihren Briefen Ihre Gesinnung weiß, mit welcher die meinige übereinstimmt und er mir noch überdies erzählte: daß sie ihm bey dem Juden und Schuster Credit gemacht haben, so sah ich wohl, daß es nur eine Confussion war, in die er, Gott weiß wie, verfallen ist, und die ich ihm nicht übel nehme, weil ein jeder Mensch in Fällen, die ihm so wichtig scheinen, gar leicht ängst¬ lich und verlegen wird. Beendigen Sie daher das Geschäft, sobald es ihre Zeit erlaubt und setzen Sie doch eine Art von Contract mit der Beckin auf, damit man wisse, was man von ihr erwarten kann. Ich wünsche indessen recht wohl zu leben. Ein Goethe'sches Promemoria über das Weimarische Theater. 1812. 5. Januar. Diejenigen Personen, welchen die Führung eines Hof-Theaters anvertraut worden und besonders die, deren Obliegenheit es ist zu beurtheilen, ob ein Stück ausführbar sey, haben sich seit geraumer Zeit in einer sehr unangeneh¬ men Lage befunden, in dem die deutsche Bühne sich nicht nur von den Streu« gen Geschmacksregeln, sondern auch von manchen andern Verhältnissen und Betrachtungen losgesagt und sowohl in Kunst, als bürgerlichen Sinne die Gränzen weit überschritten hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/213>, abgerufen am 13.05.2024.