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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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von Frankreich gefangen wurde, wie einst der Franzosenkönig Johann bei
Maupertuis, wie später Kaiser Napoleon bei Sedan.

Die italienischen Kriege zwischen Karl V. und Franz I. setzten sich jedoch
auch nach jenem großen Tage noch fast 2 Dezennien lang fort; denn der
scheinbar alle Streitpunkte erledigende Friede von Madrid war ja eben nur
ein Scheinfriede. Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen ge¬
halten wurde und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Be¬
dingungen unterwarf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehren¬
wort sogleich ausdrücklich gebrochen und wie harmlos das französische Volk
diesem unrühmlichen Handel zugestimmt hat. -- Der zweite italienische Krieg
1627 -- 29 führte zur Eroberung von Rom durch die deutschen Landsknechte;
der dritte 1536 bis 38 wurde nur durch einen Waffenstillstand vertagt, der
vierte endlich war der ausgedehnteste von allen und wurde außer in Italien
namentlich in Frankreich selbst geführt. -- Im Bunde mit England drang
der Kaiser an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxemburg
her in die Champagne ein; aber anstatt gradewegs auf Chalons loszugehn,
belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII. von
England, der indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam vorwärts;
denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen besorgte, er
möchte mit seinen Kräften des andern Zwecke fördern. Man berechnete, daß
wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit 100,000 Mann da¬
vor erscheinen könnten und die größte Bestürzung herrschte in der üppigen
höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser Epernay und Chateau
Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte, so war doch Heinrich,
dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, nicht zu bewegen, sich mit
ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frankreich, wie sie ihm dann
auch in der Folge noch oftmals nützlich geworden ist; denn nur eine einheit¬
liche Kraft hat vollen Willen. -- Da nun am Ostermontage 1644 die Kai¬
serlichen in Italien bei Cerisolles eine Niederlage erlitten, so kam es nach
einem so großen Anlaufe, ohne daß irgend etwas E n tscheidendes geschehn,
zum Frieden von Crespy,") Halbheit und Abneigung gegen entscheidende
Schläge wird von nun an überhaupt die Signatur der Zeit.

Der Anfang des 10. Jahrhunderts hatte verhältnißmäßig viel große
Schlachten gesehn; die zweite Hälfte desselben hat deren weit weniger aufzu¬
weisen. Mit den früh alternden Königen Karl und Franz alterte auch der
Krieg; den deutschen Kaiser nahmen die Türken und die Reformation in An¬
spruch; Frankreich litt unter der unsinnigen Verschwendung des Hofes und
an der Zersplitterung seiner Kräfte. In allen folgenden Kriegen traten ab"



") Vergl. Max Jähns- Deutsche Feldzüge in Frankreich. Leipzig t871.

von Frankreich gefangen wurde, wie einst der Franzosenkönig Johann bei
Maupertuis, wie später Kaiser Napoleon bei Sedan.

Die italienischen Kriege zwischen Karl V. und Franz I. setzten sich jedoch
auch nach jenem großen Tage noch fast 2 Dezennien lang fort; denn der
scheinbar alle Streitpunkte erledigende Friede von Madrid war ja eben nur
ein Scheinfriede. Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen ge¬
halten wurde und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Be¬
dingungen unterwarf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehren¬
wort sogleich ausdrücklich gebrochen und wie harmlos das französische Volk
diesem unrühmlichen Handel zugestimmt hat. — Der zweite italienische Krieg
1627 — 29 führte zur Eroberung von Rom durch die deutschen Landsknechte;
der dritte 1536 bis 38 wurde nur durch einen Waffenstillstand vertagt, der
vierte endlich war der ausgedehnteste von allen und wurde außer in Italien
namentlich in Frankreich selbst geführt. — Im Bunde mit England drang
der Kaiser an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxemburg
her in die Champagne ein; aber anstatt gradewegs auf Chalons loszugehn,
belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII. von
England, der indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam vorwärts;
denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen besorgte, er
möchte mit seinen Kräften des andern Zwecke fördern. Man berechnete, daß
wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit 100,000 Mann da¬
vor erscheinen könnten und die größte Bestürzung herrschte in der üppigen
höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser Epernay und Chateau
Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte, so war doch Heinrich,
dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, nicht zu bewegen, sich mit
ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frankreich, wie sie ihm dann
auch in der Folge noch oftmals nützlich geworden ist; denn nur eine einheit¬
liche Kraft hat vollen Willen. — Da nun am Ostermontage 1644 die Kai¬
serlichen in Italien bei Cerisolles eine Niederlage erlitten, so kam es nach
einem so großen Anlaufe, ohne daß irgend etwas E n tscheidendes geschehn,
zum Frieden von Crespy,") Halbheit und Abneigung gegen entscheidende
Schläge wird von nun an überhaupt die Signatur der Zeit.

Der Anfang des 10. Jahrhunderts hatte verhältnißmäßig viel große
Schlachten gesehn; die zweite Hälfte desselben hat deren weit weniger aufzu¬
weisen. Mit den früh alternden Königen Karl und Franz alterte auch der
Krieg; den deutschen Kaiser nahmen die Türken und die Reformation in An¬
spruch; Frankreich litt unter der unsinnigen Verschwendung des Hofes und
an der Zersplitterung seiner Kräfte. In allen folgenden Kriegen traten ab»



") Vergl. Max Jähns- Deutsche Feldzüge in Frankreich. Leipzig t871.
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[0022] von Frankreich gefangen wurde, wie einst der Franzosenkönig Johann bei Maupertuis, wie später Kaiser Napoleon bei Sedan. Die italienischen Kriege zwischen Karl V. und Franz I. setzten sich jedoch auch nach jenem großen Tage noch fast 2 Dezennien lang fort; denn der scheinbar alle Streitpunkte erledigende Friede von Madrid war ja eben nur ein Scheinfriede. Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen ge¬ halten wurde und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Be¬ dingungen unterwarf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehren¬ wort sogleich ausdrücklich gebrochen und wie harmlos das französische Volk diesem unrühmlichen Handel zugestimmt hat. — Der zweite italienische Krieg 1627 — 29 führte zur Eroberung von Rom durch die deutschen Landsknechte; der dritte 1536 bis 38 wurde nur durch einen Waffenstillstand vertagt, der vierte endlich war der ausgedehnteste von allen und wurde außer in Italien namentlich in Frankreich selbst geführt. — Im Bunde mit England drang der Kaiser an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxemburg her in die Champagne ein; aber anstatt gradewegs auf Chalons loszugehn, belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII. von England, der indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam vorwärts; denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen besorgte, er möchte mit seinen Kräften des andern Zwecke fördern. Man berechnete, daß wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit 100,000 Mann da¬ vor erscheinen könnten und die größte Bestürzung herrschte in der üppigen höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser Epernay und Chateau Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte, so war doch Heinrich, dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, nicht zu bewegen, sich mit ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frankreich, wie sie ihm dann auch in der Folge noch oftmals nützlich geworden ist; denn nur eine einheit¬ liche Kraft hat vollen Willen. — Da nun am Ostermontage 1644 die Kai¬ serlichen in Italien bei Cerisolles eine Niederlage erlitten, so kam es nach einem so großen Anlaufe, ohne daß irgend etwas E n tscheidendes geschehn, zum Frieden von Crespy,") Halbheit und Abneigung gegen entscheidende Schläge wird von nun an überhaupt die Signatur der Zeit. Der Anfang des 10. Jahrhunderts hatte verhältnißmäßig viel große Schlachten gesehn; die zweite Hälfte desselben hat deren weit weniger aufzu¬ weisen. Mit den früh alternden Königen Karl und Franz alterte auch der Krieg; den deutschen Kaiser nahmen die Türken und die Reformation in An¬ spruch; Frankreich litt unter der unsinnigen Verschwendung des Hofes und an der Zersplitterung seiner Kräfte. In allen folgenden Kriegen traten ab» ") Vergl. Max Jähns- Deutsche Feldzüge in Frankreich. Leipzig t871.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/22>, abgerufen am 13.05.2024.