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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Wählerschaft in ihren politischen Handlungen andern Mächten unterworfen,
als der eigenen Ueberlegung, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß sie
diesem Einflüsse so bald zu entziehen wäre. Eine Aenderung wird also kaum
eher eintreten, als diese Mächte die Feindseligkeit gegen die Reichsregierung
abgelegt haben. Nun, die Organe der katholischen Kirche in Elsaßlothringen
sind bisher von Seiten der Regierung mit ausgesuchter Schonung, ja Zuvor¬
kommenheit behandelt worden; wenn nichtsdestoweniger der Klerus jetzt der
Regierung eine so schroffe Kriegserklärung ins Gesicht schleudert, so ist das
nicht anders zu erklären, als daß er einem von Rom an ihn ergangenen Be¬
fehle gehorcht. Und er wird diesem Befehle gehorchen, so lange, bis ein
Gegenbefehl eintrifft, d. h. bis der Papst mit dem deutschen Kaiser Frieden
geschlossen hat; und das steht leider in weitem Felde.

Angesichts des auf diese Weise durch die klerikale Agitation angerichteten
Unheils Ist es freilich irrelevant, ob die feierliche Erklärung der Protestler vom
Stapel gelassen wird, oder nicht. Verderben kann sie nichts mehr; so sieht
man denn mit Gemüthsruhe oder auch mit einiger Neugierde dem großen
Augenblicke entgegen. Herr Ernst Lauts. der vor 2^ Jahren aus einem
Municipalrathe als Maire hervorging, welcher soeben im erbittertsten Kampfe
gegen die ultramontane Partei gewählt worden war, wird heute, unter dem
Widerspruche eines großen Theils seiner damaligen Freunde, auf den Schul¬
tern seiner ausgesprochensten Feinde in den Reichstag getragen. Gewiß eine
seltsame Erscheinung. Noch seltsamer aber wird es sich ausnehmen, wenn der
ehemalige Bürgermeister einer Stadt, die sich in den letzten Jahren materiell
und geistig gehoben hat, wie keine einzige Stadt in Frankreich, wie kaum
eine zweitem Deutschland, sein Klagelied anhebt über das grausame Schicksal
dieses Landes. Und was dann, wenn der Protest abgethan ist? Werden die
Herren Protestler dem Reichstage auf immer den Rücken kehren? Oder werden
sie nach vier Wochen aufs neue protestiren? Oder werden sie sich gar, trotz
Gambetta, die Mühe nehmen, zu sehen, was sich wohl sonst im Reichstage
noch thun ließe? Mögen sie thun, was sie nicht lassen können. Das deutsche
Reich wird sich herzlich wenig um sie kümmern, und der Nutzen, den ihre
Thätigkeit für Elsaßlothringen haben könnte, wird auf die eine wie aus die
andere Weise ziemlich gleich groß sein, nämlich gleich Null.


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Wählerschaft in ihren politischen Handlungen andern Mächten unterworfen,
als der eigenen Ueberlegung, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß sie
diesem Einflüsse so bald zu entziehen wäre. Eine Aenderung wird also kaum
eher eintreten, als diese Mächte die Feindseligkeit gegen die Reichsregierung
abgelegt haben. Nun, die Organe der katholischen Kirche in Elsaßlothringen
sind bisher von Seiten der Regierung mit ausgesuchter Schonung, ja Zuvor¬
kommenheit behandelt worden; wenn nichtsdestoweniger der Klerus jetzt der
Regierung eine so schroffe Kriegserklärung ins Gesicht schleudert, so ist das
nicht anders zu erklären, als daß er einem von Rom an ihn ergangenen Be¬
fehle gehorcht. Und er wird diesem Befehle gehorchen, so lange, bis ein
Gegenbefehl eintrifft, d. h. bis der Papst mit dem deutschen Kaiser Frieden
geschlossen hat; und das steht leider in weitem Felde.

Angesichts des auf diese Weise durch die klerikale Agitation angerichteten
Unheils Ist es freilich irrelevant, ob die feierliche Erklärung der Protestler vom
Stapel gelassen wird, oder nicht. Verderben kann sie nichts mehr; so sieht
man denn mit Gemüthsruhe oder auch mit einiger Neugierde dem großen
Augenblicke entgegen. Herr Ernst Lauts. der vor 2^ Jahren aus einem
Municipalrathe als Maire hervorging, welcher soeben im erbittertsten Kampfe
gegen die ultramontane Partei gewählt worden war, wird heute, unter dem
Widerspruche eines großen Theils seiner damaligen Freunde, auf den Schul¬
tern seiner ausgesprochensten Feinde in den Reichstag getragen. Gewiß eine
seltsame Erscheinung. Noch seltsamer aber wird es sich ausnehmen, wenn der
ehemalige Bürgermeister einer Stadt, die sich in den letzten Jahren materiell
und geistig gehoben hat, wie keine einzige Stadt in Frankreich, wie kaum
eine zweitem Deutschland, sein Klagelied anhebt über das grausame Schicksal
dieses Landes. Und was dann, wenn der Protest abgethan ist? Werden die
Herren Protestler dem Reichstage auf immer den Rücken kehren? Oder werden
sie nach vier Wochen aufs neue protestiren? Oder werden sie sich gar, trotz
Gambetta, die Mühe nehmen, zu sehen, was sich wohl sonst im Reichstage
noch thun ließe? Mögen sie thun, was sie nicht lassen können. Das deutsche
Reich wird sich herzlich wenig um sie kümmern, und der Nutzen, den ihre
Thätigkeit für Elsaßlothringen haben könnte, wird auf die eine wie aus die
andere Weise ziemlich gleich groß sein, nämlich gleich Null.


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[0283] Wählerschaft in ihren politischen Handlungen andern Mächten unterworfen, als der eigenen Ueberlegung, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß sie diesem Einflüsse so bald zu entziehen wäre. Eine Aenderung wird also kaum eher eintreten, als diese Mächte die Feindseligkeit gegen die Reichsregierung abgelegt haben. Nun, die Organe der katholischen Kirche in Elsaßlothringen sind bisher von Seiten der Regierung mit ausgesuchter Schonung, ja Zuvor¬ kommenheit behandelt worden; wenn nichtsdestoweniger der Klerus jetzt der Regierung eine so schroffe Kriegserklärung ins Gesicht schleudert, so ist das nicht anders zu erklären, als daß er einem von Rom an ihn ergangenen Be¬ fehle gehorcht. Und er wird diesem Befehle gehorchen, so lange, bis ein Gegenbefehl eintrifft, d. h. bis der Papst mit dem deutschen Kaiser Frieden geschlossen hat; und das steht leider in weitem Felde. Angesichts des auf diese Weise durch die klerikale Agitation angerichteten Unheils Ist es freilich irrelevant, ob die feierliche Erklärung der Protestler vom Stapel gelassen wird, oder nicht. Verderben kann sie nichts mehr; so sieht man denn mit Gemüthsruhe oder auch mit einiger Neugierde dem großen Augenblicke entgegen. Herr Ernst Lauts. der vor 2^ Jahren aus einem Municipalrathe als Maire hervorging, welcher soeben im erbittertsten Kampfe gegen die ultramontane Partei gewählt worden war, wird heute, unter dem Widerspruche eines großen Theils seiner damaligen Freunde, auf den Schul¬ tern seiner ausgesprochensten Feinde in den Reichstag getragen. Gewiß eine seltsame Erscheinung. Noch seltsamer aber wird es sich ausnehmen, wenn der ehemalige Bürgermeister einer Stadt, die sich in den letzten Jahren materiell und geistig gehoben hat, wie keine einzige Stadt in Frankreich, wie kaum eine zweitem Deutschland, sein Klagelied anhebt über das grausame Schicksal dieses Landes. Und was dann, wenn der Protest abgethan ist? Werden die Herren Protestler dem Reichstage auf immer den Rücken kehren? Oder werden sie nach vier Wochen aufs neue protestiren? Oder werden sie sich gar, trotz Gambetta, die Mühe nehmen, zu sehen, was sich wohl sonst im Reichstage noch thun ließe? Mögen sie thun, was sie nicht lassen können. Das deutsche Reich wird sich herzlich wenig um sie kümmern, und der Nutzen, den ihre Thätigkeit für Elsaßlothringen haben könnte, wird auf die eine wie aus die andere Weise ziemlich gleich groß sein, nämlich gleich Null. S>. /?-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/283>, abgerufen am 13.05.2024.