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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Zweifeln an der Authenticität einer Aeußerung der deutschen Regierung gegen¬
über den großen Höfen, dahingehend, daß die deutsche Regierung, wenn sie
die Ueberzeugung der Unvermeidlichkeit eines Zusammenstoßes mit Frankreich
gewinnen müsse, es nicht mit ihrem Gewissen vereinigen könne, Frankreich die
Wahl des ihm passenden Momentes zu überlassen.

Die Thronrede nun lautet durchaus friedlich, so hat es wenigstens den
Anschein, und es giebt immer Leute, für welche der grobe Schein Alles ist. Sollte
man sie nicht dabei lassen ? Es ist nicht unser Beruf. Besorgnisse aufzuregen, zu denen
die wirkliche Lage für den Augenblick nicht einmal Anlaß giebt, aber wir haben uns
allerdings zu bemühen, die Anzeichen der Lage zu verstehen und in Einklang
zu bringen. Jene Aeußerung ist echt, gleichviel ob sie auf dem Wege einer
Cirkulardepesche oder sonst wie erfolgt ist. Die Thronrede widerspricht jener
diplomatischen Kundgebung nicht. Die Thronrede drückt nur ihre Zuversicht
auf die Friedensliebe aller Regierungen aus, sie sagt aber nicht, und kann
nicht sagen, wie lange in einem Lande von so schwankenden Regierungszu-
ständen, wie Frankreich, die dortige Regierung friedliebend sein wird. Als
wollte sie diesen Zweifel selbst bekunden, macht die Thronrede als zweite Bürg¬
schaft des Friedens die erfreulichen Beziehungen Deutschlands zu den uns
durch geschichtliche Tradition befreundeten Völkern namhaft. Aber eine un¬
zweifelhafte Bürgschaft kann auch dieses Verhältniß nicht sein, denn wir ver¬
langen nicht, daß unsere Freunde für uns und mit uns das Schwert
ziehen. Wenn Frankreich den Durst nach Vergeltung nicht länger zähmen
kann, so weiß es, daß wir ihm allein entgegentreten wollen, und wenn es
sich stark genug glaubt, den Streit mit uns allein zu wagen, so wird er un¬
vermeidlich sein. Dann tritt der Fall ein, von welchem jene diplomatische
Eröffnung spricht, daß es für die deutsche Regierung ein Gebot sein
wird, den französischen Angriff übst abzuwarten, sondern ihm zuvorzu¬
kommen.

Diese Auffassung mag der stille Gedanke aller Welt sein, daß aber die deutsche
Regierung derselben in einer Erklärung an die großen Höfe Ausdruck geliehen,
dies kann ohne wohl überlegte Absicht nicht geschehen sein. Die deutsche Re¬
gierung hat in jener Eröffnung die Möglichkeit des Friedens hauptsächlich
auch von der Entscheidung der französischen Regierung darüber abhängig er¬
klärt, ob die französische Politik von den Interessen des Ultramontanismus
zu trennen sei. So viel ist also deutlich, daß der fortgesetzte Bund zwischen
der französischen Regierung und dem Ultramontanismus zum easus delli zwischen
Frankreich und Deutschland werden kann. Aber was soll die französische
Regierung thun, um sich von dem Ultramontanismus abzuwenden? Ganz ge-


Zweifeln an der Authenticität einer Aeußerung der deutschen Regierung gegen¬
über den großen Höfen, dahingehend, daß die deutsche Regierung, wenn sie
die Ueberzeugung der Unvermeidlichkeit eines Zusammenstoßes mit Frankreich
gewinnen müsse, es nicht mit ihrem Gewissen vereinigen könne, Frankreich die
Wahl des ihm passenden Momentes zu überlassen.

Die Thronrede nun lautet durchaus friedlich, so hat es wenigstens den
Anschein, und es giebt immer Leute, für welche der grobe Schein Alles ist. Sollte
man sie nicht dabei lassen ? Es ist nicht unser Beruf. Besorgnisse aufzuregen, zu denen
die wirkliche Lage für den Augenblick nicht einmal Anlaß giebt, aber wir haben uns
allerdings zu bemühen, die Anzeichen der Lage zu verstehen und in Einklang
zu bringen. Jene Aeußerung ist echt, gleichviel ob sie auf dem Wege einer
Cirkulardepesche oder sonst wie erfolgt ist. Die Thronrede widerspricht jener
diplomatischen Kundgebung nicht. Die Thronrede drückt nur ihre Zuversicht
auf die Friedensliebe aller Regierungen aus, sie sagt aber nicht, und kann
nicht sagen, wie lange in einem Lande von so schwankenden Regierungszu-
ständen, wie Frankreich, die dortige Regierung friedliebend sein wird. Als
wollte sie diesen Zweifel selbst bekunden, macht die Thronrede als zweite Bürg¬
schaft des Friedens die erfreulichen Beziehungen Deutschlands zu den uns
durch geschichtliche Tradition befreundeten Völkern namhaft. Aber eine un¬
zweifelhafte Bürgschaft kann auch dieses Verhältniß nicht sein, denn wir ver¬
langen nicht, daß unsere Freunde für uns und mit uns das Schwert
ziehen. Wenn Frankreich den Durst nach Vergeltung nicht länger zähmen
kann, so weiß es, daß wir ihm allein entgegentreten wollen, und wenn es
sich stark genug glaubt, den Streit mit uns allein zu wagen, so wird er un¬
vermeidlich sein. Dann tritt der Fall ein, von welchem jene diplomatische
Eröffnung spricht, daß es für die deutsche Regierung ein Gebot sein
wird, den französischen Angriff übst abzuwarten, sondern ihm zuvorzu¬
kommen.

Diese Auffassung mag der stille Gedanke aller Welt sein, daß aber die deutsche
Regierung derselben in einer Erklärung an die großen Höfe Ausdruck geliehen,
dies kann ohne wohl überlegte Absicht nicht geschehen sein. Die deutsche Re¬
gierung hat in jener Eröffnung die Möglichkeit des Friedens hauptsächlich
auch von der Entscheidung der französischen Regierung darüber abhängig er¬
klärt, ob die französische Politik von den Interessen des Ultramontanismus
zu trennen sei. So viel ist also deutlich, daß der fortgesetzte Bund zwischen
der französischen Regierung und dem Ultramontanismus zum easus delli zwischen
Frankreich und Deutschland werden kann. Aber was soll die französische
Regierung thun, um sich von dem Ultramontanismus abzuwenden? Ganz ge-


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[0285] Zweifeln an der Authenticität einer Aeußerung der deutschen Regierung gegen¬ über den großen Höfen, dahingehend, daß die deutsche Regierung, wenn sie die Ueberzeugung der Unvermeidlichkeit eines Zusammenstoßes mit Frankreich gewinnen müsse, es nicht mit ihrem Gewissen vereinigen könne, Frankreich die Wahl des ihm passenden Momentes zu überlassen. Die Thronrede nun lautet durchaus friedlich, so hat es wenigstens den Anschein, und es giebt immer Leute, für welche der grobe Schein Alles ist. Sollte man sie nicht dabei lassen ? Es ist nicht unser Beruf. Besorgnisse aufzuregen, zu denen die wirkliche Lage für den Augenblick nicht einmal Anlaß giebt, aber wir haben uns allerdings zu bemühen, die Anzeichen der Lage zu verstehen und in Einklang zu bringen. Jene Aeußerung ist echt, gleichviel ob sie auf dem Wege einer Cirkulardepesche oder sonst wie erfolgt ist. Die Thronrede widerspricht jener diplomatischen Kundgebung nicht. Die Thronrede drückt nur ihre Zuversicht auf die Friedensliebe aller Regierungen aus, sie sagt aber nicht, und kann nicht sagen, wie lange in einem Lande von so schwankenden Regierungszu- ständen, wie Frankreich, die dortige Regierung friedliebend sein wird. Als wollte sie diesen Zweifel selbst bekunden, macht die Thronrede als zweite Bürg¬ schaft des Friedens die erfreulichen Beziehungen Deutschlands zu den uns durch geschichtliche Tradition befreundeten Völkern namhaft. Aber eine un¬ zweifelhafte Bürgschaft kann auch dieses Verhältniß nicht sein, denn wir ver¬ langen nicht, daß unsere Freunde für uns und mit uns das Schwert ziehen. Wenn Frankreich den Durst nach Vergeltung nicht länger zähmen kann, so weiß es, daß wir ihm allein entgegentreten wollen, und wenn es sich stark genug glaubt, den Streit mit uns allein zu wagen, so wird er un¬ vermeidlich sein. Dann tritt der Fall ein, von welchem jene diplomatische Eröffnung spricht, daß es für die deutsche Regierung ein Gebot sein wird, den französischen Angriff übst abzuwarten, sondern ihm zuvorzu¬ kommen. Diese Auffassung mag der stille Gedanke aller Welt sein, daß aber die deutsche Regierung derselben in einer Erklärung an die großen Höfe Ausdruck geliehen, dies kann ohne wohl überlegte Absicht nicht geschehen sein. Die deutsche Re¬ gierung hat in jener Eröffnung die Möglichkeit des Friedens hauptsächlich auch von der Entscheidung der französischen Regierung darüber abhängig er¬ klärt, ob die französische Politik von den Interessen des Ultramontanismus zu trennen sei. So viel ist also deutlich, daß der fortgesetzte Bund zwischen der französischen Regierung und dem Ultramontanismus zum easus delli zwischen Frankreich und Deutschland werden kann. Aber was soll die französische Regierung thun, um sich von dem Ultramontanismus abzuwenden? Ganz ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/285>, abgerufen am 09.05.2024.