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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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eben ein Unding ist. Die Erledigung des Throns war eine vollendete That¬
sache, die sich nicht mehr rückgängig machen ließ: es kam also darauf an,
das Erbrecht so weit zu wahren, als es eben möglich war. Leider war aber
der nächste Erbe ein Kind, und um in diesen stürmischen Zeiten die Gefahren
einer vormundschaftlichen Regentschaft zu vermeiden, ging man einen Schritt
Weiter und übertrug die Krone dem Haupte der jüngeren Linie, dem Herzog
von Orleans, der unmittelbar, nachdem der Parlamentspartei der Sieg des
Volkes die Macht in die Hände gespielt hatte, zum Generalstatthalter des
Königreichs ernannt, kein Bedenken trug, eine Krone auzunehmen, deren
Rechtstitel auf dem Princip der Quasi-Legitimität und der Quasi-Volks-
souveränetät beruhte. Er nahm sie an, weil ihre Annahme eine Nothwen¬
digkeit war, der er sich übrigens nicht mit Widerstreben unterwarf, sondern
die nur seinen lange genährten Herzenswünschen Erfüllung brachte. "Will
das Schicksal mich zum Könige, so mag mich das Schicksal krönen, thu' ich
auch Nichts dazu."

So ist das Orleans'sche Königthum aus einer Revolution hervorgegan¬
gen, die ihren Ausgang von einer parlamentarischen Opposition nahm, die
von den republikanischen Elementen durchgeführt wurde, die in einem Hand¬
streich der parlamentarischen Opposition ihren Abschluß fand. Damit war
der neuen Monarchie der streng parlamentarische Charakter aufgedrückt: der
König herrscht, aber er regiert nicht. Die Regierung soll in den Händen
der Parlamentsmehrheit liegen, die sie durch die aus ihr vom Könige zu er¬
nennenden Minister führen ließ. Was in England das thatsächliche Ergeb¬
niß einer langen Entwickelung war, wurde in Frankreich zu einem staats¬
rechtlichen Grundsatze, obgleich es hier durchaus an der Vorbedingung fehlte,
welche in England aus dem Verhältniß eine lebenskräftige, wohlgeordnete und
sichere Leitung der Staatsangelegenheiten hervorgehen ließ. Diese Vorbedin¬
gung war das Dasein zweier historischer Parteien. Allerdings herrscht auch
in Frankreich ein ungemein lebhaftes Parteitreiben; aber zur Grund¬
lage des parlamentarischen Regimes waren die populären Parteien deshalb
durchaus unbrauchbar, weil sie größtenteils einen der Dynastie, z. Th. selbst
der Monarchie feindlichen Standpunkt einnahmen. Die Parteien, welche über
das Schicksal der Ministerien entschieden, waren parlamentarische Gruppen,
die oft nur dem parlamentarischen Bedürfnisse dienten, das neben einer gou-
vernementalen eine oppositionelle Fraktion erforderte, oft selbst nur dem Ehr¬
geize einzelner Abgeordneten, die um ihre Bedeutung zu erhöhen und sich
einen Weg zur Regierung zu bahnen, kleine selbständige Gruppen um sich
sammelten, die meist die heilloseste Verwirrung anstifteten und Veranlassung
zu den unsinnigsten von keinem Interesse des Landes gebotenen Ministerkrisen
gaben.


eben ein Unding ist. Die Erledigung des Throns war eine vollendete That¬
sache, die sich nicht mehr rückgängig machen ließ: es kam also darauf an,
das Erbrecht so weit zu wahren, als es eben möglich war. Leider war aber
der nächste Erbe ein Kind, und um in diesen stürmischen Zeiten die Gefahren
einer vormundschaftlichen Regentschaft zu vermeiden, ging man einen Schritt
Weiter und übertrug die Krone dem Haupte der jüngeren Linie, dem Herzog
von Orleans, der unmittelbar, nachdem der Parlamentspartei der Sieg des
Volkes die Macht in die Hände gespielt hatte, zum Generalstatthalter des
Königreichs ernannt, kein Bedenken trug, eine Krone auzunehmen, deren
Rechtstitel auf dem Princip der Quasi-Legitimität und der Quasi-Volks-
souveränetät beruhte. Er nahm sie an, weil ihre Annahme eine Nothwen¬
digkeit war, der er sich übrigens nicht mit Widerstreben unterwarf, sondern
die nur seinen lange genährten Herzenswünschen Erfüllung brachte. „Will
das Schicksal mich zum Könige, so mag mich das Schicksal krönen, thu' ich
auch Nichts dazu."

So ist das Orleans'sche Königthum aus einer Revolution hervorgegan¬
gen, die ihren Ausgang von einer parlamentarischen Opposition nahm, die
von den republikanischen Elementen durchgeführt wurde, die in einem Hand¬
streich der parlamentarischen Opposition ihren Abschluß fand. Damit war
der neuen Monarchie der streng parlamentarische Charakter aufgedrückt: der
König herrscht, aber er regiert nicht. Die Regierung soll in den Händen
der Parlamentsmehrheit liegen, die sie durch die aus ihr vom Könige zu er¬
nennenden Minister führen ließ. Was in England das thatsächliche Ergeb¬
niß einer langen Entwickelung war, wurde in Frankreich zu einem staats¬
rechtlichen Grundsatze, obgleich es hier durchaus an der Vorbedingung fehlte,
welche in England aus dem Verhältniß eine lebenskräftige, wohlgeordnete und
sichere Leitung der Staatsangelegenheiten hervorgehen ließ. Diese Vorbedin¬
gung war das Dasein zweier historischer Parteien. Allerdings herrscht auch
in Frankreich ein ungemein lebhaftes Parteitreiben; aber zur Grund¬
lage des parlamentarischen Regimes waren die populären Parteien deshalb
durchaus unbrauchbar, weil sie größtenteils einen der Dynastie, z. Th. selbst
der Monarchie feindlichen Standpunkt einnahmen. Die Parteien, welche über
das Schicksal der Ministerien entschieden, waren parlamentarische Gruppen,
die oft nur dem parlamentarischen Bedürfnisse dienten, das neben einer gou-
vernementalen eine oppositionelle Fraktion erforderte, oft selbst nur dem Ehr¬
geize einzelner Abgeordneten, die um ihre Bedeutung zu erhöhen und sich
einen Weg zur Regierung zu bahnen, kleine selbständige Gruppen um sich
sammelten, die meist die heilloseste Verwirrung anstifteten und Veranlassung
zu den unsinnigsten von keinem Interesse des Landes gebotenen Ministerkrisen
gaben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/289>, abgerufen am 30.05.2024.