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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ein halbes Jahrtausend früher lebenden sonnenhellen Polybios als Kriegs¬
schriftsteller nicht anders verhält wie die rococoartigen Verzerrungen des 4,
Jahrhunderts zu den edlen Bauten des augusteischen Zeitalters.

Aus dem gleichen Grunde, aus welchem das italische Land der günstigste
Boden für die Aufnahme der antiken Tradition in den schönen Künsten war,
ist es auch zur Wiege der modernen Kriegskunst geworden. War dort die
Gothik niemals so heimisch wie in Deutschland, Frankreich und Spanien, so
galt ganz dasselbe in Bezug auf das Vassallenheer. Hier bei den Italienern
herrschte am frühesten das dem Feudalsystem so feindliche Söldnerwesen vor,
das ganz andere Lebensbedingungen hat als jenes; und wie bei dem mit der
Rennaissanee verbundenen Hange nach Durchbildung der freien Individualität
die Geschichte der schonen Künste sich damals umzuwandeln begann in eine
Geschichte der einzelnen Meister, so bildet sich auch unter jenen Söldner¬
führern die Persönlichkeit, das Talent, die Meisterschaft zur höchsten Blüthe
ans. Die Armeen der Condottieren sind die ersten der neueren Geschichte,
in denen der persönliche Credit des Anführers als Kriegskünstler ohne weitere
Nebengedanken zur bewegenden Kraft wird, Glänzend zeigt sich das z. B> im
Leben des Francesco Sforza. Kam es doch vor, daß bei seinem Anblick
Feinde die Waffen niederlegten und ihn mit entblößtem Haupte ehrerbietig
grüßten, weil ihn jeder als den gemeinsamen Vater der Kriegerschaft aner¬
kannte. -- In Italien zuerst entwickelt sich eine Wissenschaft des gesammten
im Zusammenhange behandelten Kriegswesens; hier zuerst begegnet man einer
neutralen Freude an der Kriegskunst, d. h. an der corvecten Kriegführung
als solcher, wie das zu der rein sachlichen Handlungsweise und dem häufigen
Parteiwechsel der Condottieren ja auch trefflich paßte.

In ganz gleicher Weise wie unter den Baumeistern, den Bildhauern,
den Malern, bildeten sich auch unter den Kriegs-Künstlern förmliche Schulen,
von denen sich namentlich die des Alberico Barbicmo hervorthat. Ein Zeit¬
genosse versichert, daß aus Barbianvs Schule wie aus dem trojanischen Pferde
unzählige Feldherren hervorgegangen seien. Militärische Kennerschaft und
Liebhaberei fingen an zu einer vornehmen Modesache zu werden; Fürsten wie
Federigo von Urbino und Alfonso von Ferrara eigneten sich eine wirkliche
Kennerschaft des Kriegswesens an, und der größte Dilettant, d. h. der aus¬
gezeichnetste wissenschaftliche Liebhaber, der wohl je im Kriegsfach aufgetreten
ist, Niccolo Machiavelli, schrieb damals seine "arte äollg, Zuerr.i./

Aber neben so vielem Lichte sehlt es auch keinesweges an Schatten; und
der schlimmste derselben ist das militärische Virtuosenthum. Er fällt in
reichstem Maße auf die Condottieren. Denn der Zweck dieser Männer war



") Jacob Burckhardt a. a. O.

ein halbes Jahrtausend früher lebenden sonnenhellen Polybios als Kriegs¬
schriftsteller nicht anders verhält wie die rococoartigen Verzerrungen des 4,
Jahrhunderts zu den edlen Bauten des augusteischen Zeitalters.

Aus dem gleichen Grunde, aus welchem das italische Land der günstigste
Boden für die Aufnahme der antiken Tradition in den schönen Künsten war,
ist es auch zur Wiege der modernen Kriegskunst geworden. War dort die
Gothik niemals so heimisch wie in Deutschland, Frankreich und Spanien, so
galt ganz dasselbe in Bezug auf das Vassallenheer. Hier bei den Italienern
herrschte am frühesten das dem Feudalsystem so feindliche Söldnerwesen vor,
das ganz andere Lebensbedingungen hat als jenes; und wie bei dem mit der
Rennaissanee verbundenen Hange nach Durchbildung der freien Individualität
die Geschichte der schonen Künste sich damals umzuwandeln begann in eine
Geschichte der einzelnen Meister, so bildet sich auch unter jenen Söldner¬
führern die Persönlichkeit, das Talent, die Meisterschaft zur höchsten Blüthe
ans. Die Armeen der Condottieren sind die ersten der neueren Geschichte,
in denen der persönliche Credit des Anführers als Kriegskünstler ohne weitere
Nebengedanken zur bewegenden Kraft wird, Glänzend zeigt sich das z. B> im
Leben des Francesco Sforza. Kam es doch vor, daß bei seinem Anblick
Feinde die Waffen niederlegten und ihn mit entblößtem Haupte ehrerbietig
grüßten, weil ihn jeder als den gemeinsamen Vater der Kriegerschaft aner¬
kannte. — In Italien zuerst entwickelt sich eine Wissenschaft des gesammten
im Zusammenhange behandelten Kriegswesens; hier zuerst begegnet man einer
neutralen Freude an der Kriegskunst, d. h. an der corvecten Kriegführung
als solcher, wie das zu der rein sachlichen Handlungsweise und dem häufigen
Parteiwechsel der Condottieren ja auch trefflich paßte.

In ganz gleicher Weise wie unter den Baumeistern, den Bildhauern,
den Malern, bildeten sich auch unter den Kriegs-Künstlern förmliche Schulen,
von denen sich namentlich die des Alberico Barbicmo hervorthat. Ein Zeit¬
genosse versichert, daß aus Barbianvs Schule wie aus dem trojanischen Pferde
unzählige Feldherren hervorgegangen seien. Militärische Kennerschaft und
Liebhaberei fingen an zu einer vornehmen Modesache zu werden; Fürsten wie
Federigo von Urbino und Alfonso von Ferrara eigneten sich eine wirkliche
Kennerschaft des Kriegswesens an, und der größte Dilettant, d. h. der aus¬
gezeichnetste wissenschaftliche Liebhaber, der wohl je im Kriegsfach aufgetreten
ist, Niccolo Machiavelli, schrieb damals seine „arte äollg, Zuerr.i./

Aber neben so vielem Lichte sehlt es auch keinesweges an Schatten; und
der schlimmste derselben ist das militärische Virtuosenthum. Er fällt in
reichstem Maße auf die Condottieren. Denn der Zweck dieser Männer war



") Jacob Burckhardt a. a. O.
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[0301] ein halbes Jahrtausend früher lebenden sonnenhellen Polybios als Kriegs¬ schriftsteller nicht anders verhält wie die rococoartigen Verzerrungen des 4, Jahrhunderts zu den edlen Bauten des augusteischen Zeitalters. Aus dem gleichen Grunde, aus welchem das italische Land der günstigste Boden für die Aufnahme der antiken Tradition in den schönen Künsten war, ist es auch zur Wiege der modernen Kriegskunst geworden. War dort die Gothik niemals so heimisch wie in Deutschland, Frankreich und Spanien, so galt ganz dasselbe in Bezug auf das Vassallenheer. Hier bei den Italienern herrschte am frühesten das dem Feudalsystem so feindliche Söldnerwesen vor, das ganz andere Lebensbedingungen hat als jenes; und wie bei dem mit der Rennaissanee verbundenen Hange nach Durchbildung der freien Individualität die Geschichte der schonen Künste sich damals umzuwandeln begann in eine Geschichte der einzelnen Meister, so bildet sich auch unter jenen Söldner¬ führern die Persönlichkeit, das Talent, die Meisterschaft zur höchsten Blüthe ans. Die Armeen der Condottieren sind die ersten der neueren Geschichte, in denen der persönliche Credit des Anführers als Kriegskünstler ohne weitere Nebengedanken zur bewegenden Kraft wird, Glänzend zeigt sich das z. B> im Leben des Francesco Sforza. Kam es doch vor, daß bei seinem Anblick Feinde die Waffen niederlegten und ihn mit entblößtem Haupte ehrerbietig grüßten, weil ihn jeder als den gemeinsamen Vater der Kriegerschaft aner¬ kannte. — In Italien zuerst entwickelt sich eine Wissenschaft des gesammten im Zusammenhange behandelten Kriegswesens; hier zuerst begegnet man einer neutralen Freude an der Kriegskunst, d. h. an der corvecten Kriegführung als solcher, wie das zu der rein sachlichen Handlungsweise und dem häufigen Parteiwechsel der Condottieren ja auch trefflich paßte. In ganz gleicher Weise wie unter den Baumeistern, den Bildhauern, den Malern, bildeten sich auch unter den Kriegs-Künstlern förmliche Schulen, von denen sich namentlich die des Alberico Barbicmo hervorthat. Ein Zeit¬ genosse versichert, daß aus Barbianvs Schule wie aus dem trojanischen Pferde unzählige Feldherren hervorgegangen seien. Militärische Kennerschaft und Liebhaberei fingen an zu einer vornehmen Modesache zu werden; Fürsten wie Federigo von Urbino und Alfonso von Ferrara eigneten sich eine wirkliche Kennerschaft des Kriegswesens an, und der größte Dilettant, d. h. der aus¬ gezeichnetste wissenschaftliche Liebhaber, der wohl je im Kriegsfach aufgetreten ist, Niccolo Machiavelli, schrieb damals seine „arte äollg, Zuerr.i./ Aber neben so vielem Lichte sehlt es auch keinesweges an Schatten; und der schlimmste derselben ist das militärische Virtuosenthum. Er fällt in reichstem Maße auf die Condottieren. Denn der Zweck dieser Männer war ") Jacob Burckhardt a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/301>, abgerufen am 11.05.2024.