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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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täglich zweimal erscheinenden politischen Zeitung stehe, gegen sprachliche Vorzüge
und Mängel wesentlich gleichgültiger geworden sei, als früher.

Wie soll man dem Uebel steuern? Offenbar ist es nicht genug, daß man
in allgemeinen Klagen sich ergehe über das sichtlich zunehmende Ungeschick und
die immer mehr um sich greifende Nachlässigkeit in sprachlichen Dingen. Da¬
mit wird nichts erreicht. Vielmehr gilt es, die Fehler jeden einzeln in Sa-
grar>ti beim Schöpfe zu nehmen und an den Pranger zu stellen. Worin
hauptsächlich gesündigt wird, das muß gezeigt werden; daß abstracte Lob¬
sprüche, wie "fließender, leichter, gefälliger Stil" sich auf ganz concrete, im
einzelnen nachweisbare Vorzüge gründen lassen, ein allgemein gehaltener Tadel,
wie "eckige, schwerfällige, schleppende Ausdrucksweise" sich auf eben so be¬
stimmte und im einzelnen nachweisbare grammatische oder stilistische Mängel
zurückführen läßt, das muß den Leuten gezeigt und immer wieder vor Augen
geführt werden. Leider thut unsre literarische Kritik in diesem Punkte wie
in so manchen andern Punkten nicht gehörig ihre Schuldigkeit. Während
wir den Franzosen vorwerfen, daß sie über ein Buch nie etwas andres zu
sagen wissen, als: e'est Kien ecrit, e'est uns belle ItMAue oder ce u'k8t Ms
6d-it, könnte man uns gerade den entgegengesetzten Vorwurf machen. Was
in einem Buche steht, und ob der Autor durch seine Kenntnisse auch befähigt
gewesen sei dies Buch zu schreiben, das liest man, wenigstens in den besseren
deutschen Bücheranzeigen, jederzeit; aber ob der Verfasser auch das Geschick
gehabt, seine Sache darzustellen, darüber erfährt man in der Regel nicht eine
Silbe. Es müssen schon ganz tolle und haarsträubende sprachliche Undinge
in einem Buche vorkommen, wenn der Berichterstatter -- und dann mehr
zur Belustigung als zur Belehrung seiner Leser -- Notiz davon nehmen soll.

Wir haben daher alle Ursache, jeder Stimme Gehör zu schenken, die sich
eben nicht mit allgemeinen Tadelsprüchen begnügt, sondern auf bestimmte
Schäden und Mißbräuche, die sich in unsre Sprache einzuschleichen drohen
oder vielleicht gar schon eingeschlichen haben, mit überzeugenden Beweismaterial
ausgerüstet aufmerksam macht. Zu diesen Schäden aber gehört die neuer¬
dings in wahrhaft besorgnißerregender Weise zunehmende Verwischung oder,
wie Johannes Scherr wahrscheinlich sagen würde, "Verfranzosung" der deut¬
schen Sprache; und das Verdienst, den gefahrdrohenden epidemischen Charakter
dieses Uebels nachgewiesen zu haben, hat sich Prof. Brandstäter in Danzig
in einem kürzlich von ihm veröffentlichten Buche erworben.*)

Es wird uns wohl niemand fanatischer Deutschtümelei zeihen, wenn



") Die Gallicismen in der deutschen Schriftsprache mit besonderer Rücksicht auf unsre
neuere schonwissenschaftliche Literatur. Eine patriotische Mahnung von Dr. F. A. Brandstäter,
Prof. am Gymnasium zu Danzig. Leipzig. Hartknoch. 1874.

täglich zweimal erscheinenden politischen Zeitung stehe, gegen sprachliche Vorzüge
und Mängel wesentlich gleichgültiger geworden sei, als früher.

Wie soll man dem Uebel steuern? Offenbar ist es nicht genug, daß man
in allgemeinen Klagen sich ergehe über das sichtlich zunehmende Ungeschick und
die immer mehr um sich greifende Nachlässigkeit in sprachlichen Dingen. Da¬
mit wird nichts erreicht. Vielmehr gilt es, die Fehler jeden einzeln in Sa-
grar>ti beim Schöpfe zu nehmen und an den Pranger zu stellen. Worin
hauptsächlich gesündigt wird, das muß gezeigt werden; daß abstracte Lob¬
sprüche, wie „fließender, leichter, gefälliger Stil" sich auf ganz concrete, im
einzelnen nachweisbare Vorzüge gründen lassen, ein allgemein gehaltener Tadel,
wie „eckige, schwerfällige, schleppende Ausdrucksweise" sich auf eben so be¬
stimmte und im einzelnen nachweisbare grammatische oder stilistische Mängel
zurückführen läßt, das muß den Leuten gezeigt und immer wieder vor Augen
geführt werden. Leider thut unsre literarische Kritik in diesem Punkte wie
in so manchen andern Punkten nicht gehörig ihre Schuldigkeit. Während
wir den Franzosen vorwerfen, daß sie über ein Buch nie etwas andres zu
sagen wissen, als: e'est Kien ecrit, e'est uns belle ItMAue oder ce u'k8t Ms
6d-it, könnte man uns gerade den entgegengesetzten Vorwurf machen. Was
in einem Buche steht, und ob der Autor durch seine Kenntnisse auch befähigt
gewesen sei dies Buch zu schreiben, das liest man, wenigstens in den besseren
deutschen Bücheranzeigen, jederzeit; aber ob der Verfasser auch das Geschick
gehabt, seine Sache darzustellen, darüber erfährt man in der Regel nicht eine
Silbe. Es müssen schon ganz tolle und haarsträubende sprachliche Undinge
in einem Buche vorkommen, wenn der Berichterstatter — und dann mehr
zur Belustigung als zur Belehrung seiner Leser — Notiz davon nehmen soll.

Wir haben daher alle Ursache, jeder Stimme Gehör zu schenken, die sich
eben nicht mit allgemeinen Tadelsprüchen begnügt, sondern auf bestimmte
Schäden und Mißbräuche, die sich in unsre Sprache einzuschleichen drohen
oder vielleicht gar schon eingeschlichen haben, mit überzeugenden Beweismaterial
ausgerüstet aufmerksam macht. Zu diesen Schäden aber gehört die neuer¬
dings in wahrhaft besorgnißerregender Weise zunehmende Verwischung oder,
wie Johannes Scherr wahrscheinlich sagen würde, „Verfranzosung" der deut¬
schen Sprache; und das Verdienst, den gefahrdrohenden epidemischen Charakter
dieses Uebels nachgewiesen zu haben, hat sich Prof. Brandstäter in Danzig
in einem kürzlich von ihm veröffentlichten Buche erworben.*)

Es wird uns wohl niemand fanatischer Deutschtümelei zeihen, wenn



") Die Gallicismen in der deutschen Schriftsprache mit besonderer Rücksicht auf unsre
neuere schonwissenschaftliche Literatur. Eine patriotische Mahnung von Dr. F. A. Brandstäter,
Prof. am Gymnasium zu Danzig. Leipzig. Hartknoch. 1874.
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[0328] täglich zweimal erscheinenden politischen Zeitung stehe, gegen sprachliche Vorzüge und Mängel wesentlich gleichgültiger geworden sei, als früher. Wie soll man dem Uebel steuern? Offenbar ist es nicht genug, daß man in allgemeinen Klagen sich ergehe über das sichtlich zunehmende Ungeschick und die immer mehr um sich greifende Nachlässigkeit in sprachlichen Dingen. Da¬ mit wird nichts erreicht. Vielmehr gilt es, die Fehler jeden einzeln in Sa- grar>ti beim Schöpfe zu nehmen und an den Pranger zu stellen. Worin hauptsächlich gesündigt wird, das muß gezeigt werden; daß abstracte Lob¬ sprüche, wie „fließender, leichter, gefälliger Stil" sich auf ganz concrete, im einzelnen nachweisbare Vorzüge gründen lassen, ein allgemein gehaltener Tadel, wie „eckige, schwerfällige, schleppende Ausdrucksweise" sich auf eben so be¬ stimmte und im einzelnen nachweisbare grammatische oder stilistische Mängel zurückführen läßt, das muß den Leuten gezeigt und immer wieder vor Augen geführt werden. Leider thut unsre literarische Kritik in diesem Punkte wie in so manchen andern Punkten nicht gehörig ihre Schuldigkeit. Während wir den Franzosen vorwerfen, daß sie über ein Buch nie etwas andres zu sagen wissen, als: e'est Kien ecrit, e'est uns belle ItMAue oder ce u'k8t Ms 6d-it, könnte man uns gerade den entgegengesetzten Vorwurf machen. Was in einem Buche steht, und ob der Autor durch seine Kenntnisse auch befähigt gewesen sei dies Buch zu schreiben, das liest man, wenigstens in den besseren deutschen Bücheranzeigen, jederzeit; aber ob der Verfasser auch das Geschick gehabt, seine Sache darzustellen, darüber erfährt man in der Regel nicht eine Silbe. Es müssen schon ganz tolle und haarsträubende sprachliche Undinge in einem Buche vorkommen, wenn der Berichterstatter — und dann mehr zur Belustigung als zur Belehrung seiner Leser — Notiz davon nehmen soll. Wir haben daher alle Ursache, jeder Stimme Gehör zu schenken, die sich eben nicht mit allgemeinen Tadelsprüchen begnügt, sondern auf bestimmte Schäden und Mißbräuche, die sich in unsre Sprache einzuschleichen drohen oder vielleicht gar schon eingeschlichen haben, mit überzeugenden Beweismaterial ausgerüstet aufmerksam macht. Zu diesen Schäden aber gehört die neuer¬ dings in wahrhaft besorgnißerregender Weise zunehmende Verwischung oder, wie Johannes Scherr wahrscheinlich sagen würde, „Verfranzosung" der deut¬ schen Sprache; und das Verdienst, den gefahrdrohenden epidemischen Charakter dieses Uebels nachgewiesen zu haben, hat sich Prof. Brandstäter in Danzig in einem kürzlich von ihm veröffentlichten Buche erworben.*) Es wird uns wohl niemand fanatischer Deutschtümelei zeihen, wenn ") Die Gallicismen in der deutschen Schriftsprache mit besonderer Rücksicht auf unsre neuere schonwissenschaftliche Literatur. Eine patriotische Mahnung von Dr. F. A. Brandstäter, Prof. am Gymnasium zu Danzig. Leipzig. Hartknoch. 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/328>, abgerufen am 12.05.2024.