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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wenden: Ist das, was im Deutschen unlogisch ist, es nicht auch im Fran"
zöfischen? Haben denn die Franzosen ihre besondere Logik? Diese haben sie
nun freilich nicht; aber sie haben eine gewisse quecksilberartige Volubilität des
Denkens, die ihnen mitunter sehr liebenswürdig steht, die aber in der Sprache
oft zur Confuston anstatt zur Klarheit führt. Und wenn wir ruhig denken¬
den Deutschen diese Confusion nachahmen, so steht uns das durchaus nicht
liebenswürdig, dagegen sehr assises zu Gesicht. Dahin gehört z. B. der Pleo¬
nasmus in den Negationen. Wenn der Franzose sagt: "Wir sind in einer
größeren Gefahr, als ihr alle nicht seht", so schweben ihm dabei gleichsam
zwei Sätze vor, der eine: "Wir sind in einer größeren Gefahr, als ihr alle
seht", der andere: "Ihr alle seht nicht, in wie großer Gefahr wir sind."
Aus diesen beiden Sätzen, von denen jeder für sich allein richtig wäre, wählt
er nun nicht etwa den einen aus, sondern er wirft sie mit taschenspielerartiger
Geschwindigkeit durch einander, amalgamirt sie gleichsam -- und das Resul¬
tat? Genau genommen, der pure Unsinn. Für die Nachahmung solcher
Dinge im Deutschen läßt sich schlechterdings keine Entschuldigung finden. Jede
Verwälschung nach dieser Richtung ist allemal zugleich eine Verfälschung
unserer Sprache und unseres Denkens.

Dem grammatischen Theile seines Buches hat Brandstäter einen literar-
geschichtlichen vorausgeschickt, in welchem er zu schildern versucht, wie seit den
frühesten Zeiten schon, namentlich aber seit dem 16. Jahrhundert bis in unsre
Zeit herein, romanische und speciell französische Elemente in unsre Sprache
eingedrungen sind, wie dann zu wiederholten Malen gegen diese Verwälschung
angekämpft worden ist, und wie diese puristischen Bestrebungen zu einer solchen
Uebertreibung ausarteten, daß sie nun ihrerseits wieder bekämpft und auf das
rechte Maaß beschränkt werden mußten. Die Zugabe dieses literargeschicht-
lichen Theiles verdenken wir dem Verfasser einigermaßen, und zwar aus einem
doppelten Grunde. Erstens ist die Uebersicht, die er giebt, viel zu skizzenhaft
und in ihren einzelnen Partieen zu ungleich. Wo Brandstäter gerade das
Material bequem zur Hand gehabt hat, wie bei Hans Lauremberg, da giebt
er eine seitenlange Darstellung, wogegen z. B. Klopstock mit neun, Wieland
mit fünf, Rückert mit - drei Zeilen abgethan ist! Man weiß wahrlich nicht,
für wen diese ganze Skizze überhaupt bestimmt ist. Für den in der deutschen
Literatur bewanderten ist sie entschieden zu oberflächlich, er kann so gut wie
nichts daraus lernen; und für den Laien -- ja, ehrlich gesagt, selbst für ihn
ist sie noch zu oberflächlich. In mancher Literaturgeschichte könnte er sich
gründlicher über den Gegenstand belehren. Auch die Charakteristiken einzelner
Dichter, die Brandstäter hie und da einfließen läßt, sind mitunter doch gar
zu simpel und naiv, wie wenn z. B. der Dichter der "Luise" kurzweg als
"der Bauer Voß" bezeichnet wird. Dazu kommt aber zweitens, daß in


wenden: Ist das, was im Deutschen unlogisch ist, es nicht auch im Fran»
zöfischen? Haben denn die Franzosen ihre besondere Logik? Diese haben sie
nun freilich nicht; aber sie haben eine gewisse quecksilberartige Volubilität des
Denkens, die ihnen mitunter sehr liebenswürdig steht, die aber in der Sprache
oft zur Confuston anstatt zur Klarheit führt. Und wenn wir ruhig denken¬
den Deutschen diese Confusion nachahmen, so steht uns das durchaus nicht
liebenswürdig, dagegen sehr assises zu Gesicht. Dahin gehört z. B. der Pleo¬
nasmus in den Negationen. Wenn der Franzose sagt: „Wir sind in einer
größeren Gefahr, als ihr alle nicht seht", so schweben ihm dabei gleichsam
zwei Sätze vor, der eine: „Wir sind in einer größeren Gefahr, als ihr alle
seht", der andere: „Ihr alle seht nicht, in wie großer Gefahr wir sind."
Aus diesen beiden Sätzen, von denen jeder für sich allein richtig wäre, wählt
er nun nicht etwa den einen aus, sondern er wirft sie mit taschenspielerartiger
Geschwindigkeit durch einander, amalgamirt sie gleichsam — und das Resul¬
tat? Genau genommen, der pure Unsinn. Für die Nachahmung solcher
Dinge im Deutschen läßt sich schlechterdings keine Entschuldigung finden. Jede
Verwälschung nach dieser Richtung ist allemal zugleich eine Verfälschung
unserer Sprache und unseres Denkens.

Dem grammatischen Theile seines Buches hat Brandstäter einen literar-
geschichtlichen vorausgeschickt, in welchem er zu schildern versucht, wie seit den
frühesten Zeiten schon, namentlich aber seit dem 16. Jahrhundert bis in unsre
Zeit herein, romanische und speciell französische Elemente in unsre Sprache
eingedrungen sind, wie dann zu wiederholten Malen gegen diese Verwälschung
angekämpft worden ist, und wie diese puristischen Bestrebungen zu einer solchen
Uebertreibung ausarteten, daß sie nun ihrerseits wieder bekämpft und auf das
rechte Maaß beschränkt werden mußten. Die Zugabe dieses literargeschicht-
lichen Theiles verdenken wir dem Verfasser einigermaßen, und zwar aus einem
doppelten Grunde. Erstens ist die Uebersicht, die er giebt, viel zu skizzenhaft
und in ihren einzelnen Partieen zu ungleich. Wo Brandstäter gerade das
Material bequem zur Hand gehabt hat, wie bei Hans Lauremberg, da giebt
er eine seitenlange Darstellung, wogegen z. B. Klopstock mit neun, Wieland
mit fünf, Rückert mit - drei Zeilen abgethan ist! Man weiß wahrlich nicht,
für wen diese ganze Skizze überhaupt bestimmt ist. Für den in der deutschen
Literatur bewanderten ist sie entschieden zu oberflächlich, er kann so gut wie
nichts daraus lernen; und für den Laien — ja, ehrlich gesagt, selbst für ihn
ist sie noch zu oberflächlich. In mancher Literaturgeschichte könnte er sich
gründlicher über den Gegenstand belehren. Auch die Charakteristiken einzelner
Dichter, die Brandstäter hie und da einfließen läßt, sind mitunter doch gar
zu simpel und naiv, wie wenn z. B. der Dichter der „Luise" kurzweg als
„der Bauer Voß" bezeichnet wird. Dazu kommt aber zweitens, daß in


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[0339] wenden: Ist das, was im Deutschen unlogisch ist, es nicht auch im Fran» zöfischen? Haben denn die Franzosen ihre besondere Logik? Diese haben sie nun freilich nicht; aber sie haben eine gewisse quecksilberartige Volubilität des Denkens, die ihnen mitunter sehr liebenswürdig steht, die aber in der Sprache oft zur Confuston anstatt zur Klarheit führt. Und wenn wir ruhig denken¬ den Deutschen diese Confusion nachahmen, so steht uns das durchaus nicht liebenswürdig, dagegen sehr assises zu Gesicht. Dahin gehört z. B. der Pleo¬ nasmus in den Negationen. Wenn der Franzose sagt: „Wir sind in einer größeren Gefahr, als ihr alle nicht seht", so schweben ihm dabei gleichsam zwei Sätze vor, der eine: „Wir sind in einer größeren Gefahr, als ihr alle seht", der andere: „Ihr alle seht nicht, in wie großer Gefahr wir sind." Aus diesen beiden Sätzen, von denen jeder für sich allein richtig wäre, wählt er nun nicht etwa den einen aus, sondern er wirft sie mit taschenspielerartiger Geschwindigkeit durch einander, amalgamirt sie gleichsam — und das Resul¬ tat? Genau genommen, der pure Unsinn. Für die Nachahmung solcher Dinge im Deutschen läßt sich schlechterdings keine Entschuldigung finden. Jede Verwälschung nach dieser Richtung ist allemal zugleich eine Verfälschung unserer Sprache und unseres Denkens. Dem grammatischen Theile seines Buches hat Brandstäter einen literar- geschichtlichen vorausgeschickt, in welchem er zu schildern versucht, wie seit den frühesten Zeiten schon, namentlich aber seit dem 16. Jahrhundert bis in unsre Zeit herein, romanische und speciell französische Elemente in unsre Sprache eingedrungen sind, wie dann zu wiederholten Malen gegen diese Verwälschung angekämpft worden ist, und wie diese puristischen Bestrebungen zu einer solchen Uebertreibung ausarteten, daß sie nun ihrerseits wieder bekämpft und auf das rechte Maaß beschränkt werden mußten. Die Zugabe dieses literargeschicht- lichen Theiles verdenken wir dem Verfasser einigermaßen, und zwar aus einem doppelten Grunde. Erstens ist die Uebersicht, die er giebt, viel zu skizzenhaft und in ihren einzelnen Partieen zu ungleich. Wo Brandstäter gerade das Material bequem zur Hand gehabt hat, wie bei Hans Lauremberg, da giebt er eine seitenlange Darstellung, wogegen z. B. Klopstock mit neun, Wieland mit fünf, Rückert mit - drei Zeilen abgethan ist! Man weiß wahrlich nicht, für wen diese ganze Skizze überhaupt bestimmt ist. Für den in der deutschen Literatur bewanderten ist sie entschieden zu oberflächlich, er kann so gut wie nichts daraus lernen; und für den Laien — ja, ehrlich gesagt, selbst für ihn ist sie noch zu oberflächlich. In mancher Literaturgeschichte könnte er sich gründlicher über den Gegenstand belehren. Auch die Charakteristiken einzelner Dichter, die Brandstäter hie und da einfließen läßt, sind mitunter doch gar zu simpel und naiv, wie wenn z. B. der Dichter der „Luise" kurzweg als „der Bauer Voß" bezeichnet wird. Dazu kommt aber zweitens, daß in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/339>, abgerufen am 06.06.2024.