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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Am 18. Februar fand die vielbesprochene Verhandlung über den Antrag
der Abgeordneten aus Elsaß-Lothringen statt: der Reichstag solle darauf hin¬
wirken, daß die Bevölkerung Elsaß-Lothringens über den Anschluß an das
deutsche Reich befragt werde. Wir wollen nach der unfreiwilligen Verspätung
unseres Berichtes über diese Sitzung auf die genugsam bekannte Verhandlung
selbst nicht zurückkommen. Wohl aber scheint uns eine Bemerkung am Platze
über die Kritik, welche das Verhalten des Reichstags nachträglich von vielen
Seiten erfahren hat. Man weiß, daß, als der Wortführer von Elsaß-Loth¬
ringen, Herr Teutsch, seinen comödienhaften Vortrag unter dem Gelächter
der Versammlung beendigt, der Schluß der Verhandlung sofort beantragt
und angenommen wurde. Darüber erhebt sich nun ein vielfacher Tadel, der
häufig aus Elsaß-Lothringen, mit Recht oder Unrecht, datirt ist. Bei dieser
Gelegenheit, so heißt es, hätten die ersten Redner des Reichstags auf den
Platz treten sollen, um noch einmal aller Welt die Nothwendigkett der Zu¬
rücknahme Elsaß-Lothringens im Gewände glänzender Beredsamkeit zu zeigen.

Wer nicht die Gewohnheit hat, mit vorlauten Tadel über alles herzu¬
fallen, was nicht mit einem glänzenden Abgang beendigt worden, der kann
nicht anders, als jene Kritik recht unverständig finden. Was in aller Welt
soll denn noch über diese Zurücknahme gesagt werden, was nicht jedem
ehrlichen Verstände klar wäre, wie die Sonne? Und was soll denn gesagt
werden, um diejenigen zu belehren, die nicht belehrt sein wollen, in einer
Sache, deren Rechtfertigung gar keiner Belehrung bedarf. Sollte Moltke das
Wort ergreifen, um der Welt zu versichern, daß der Besitz sogenannter natür¬
licher Grenzen nie den Krieg rechtfertigt und daß wir längst darauf verzichtet
hatten, unsere natürlichen Grenzen wieder zu gewinnen, die zugleich unsere
ethnischen Grenzen sind! Sollte er hinzufügen, daß es den Gipfel des Un¬
sinns ersteigen heißt, wenn das Verbot, Krieg anzufangen um die natürlichen
Grenzen, verkehrt werden soll in das Gebot der Unverletzlichkeit eines Feindes,
der ohne Aufhören den friedlichen Nachbar mit muthwilligen Krieg über¬
zieht ! -- Bei dieser Gelegenheit wird es angemessen sein, mit allem Nachdruck
gegen die, selbst in deutschen Blättern vernommene Ansicht zu Protestiren,
als sei der unerklärte Kriegszustand, oder wenn man lieber will, der bewaff¬
nete Friede zwischen Deutschland und Frankreich eine Folge der Eroberung
Elsaß-Lothringens. Wir leben allerdings mit Frankreich nur in einem
Waffenstillstand, dessen Dauer aber noch weit kürzer sein würde, wenn wir
Elsaß-Lothringen nicht genommen hätten. Je schlechter unsere Grenze, desto
unzähmbarer die Revanchezuverficht unserer Nachbarn. Metz und Straßburg
sind unsere Friedenshüter, so lange der Frieden eben zu hüten ist. Wären
sie in französischen Händen, wer weiß, ob wir nicht schon in diesem Jahre
den Kampf hätten erneuern müssen! Denn unsere Resignation hätten die
Franzosen überdies nur als Furcht ausgelegt. --


Am 18. Februar fand die vielbesprochene Verhandlung über den Antrag
der Abgeordneten aus Elsaß-Lothringen statt: der Reichstag solle darauf hin¬
wirken, daß die Bevölkerung Elsaß-Lothringens über den Anschluß an das
deutsche Reich befragt werde. Wir wollen nach der unfreiwilligen Verspätung
unseres Berichtes über diese Sitzung auf die genugsam bekannte Verhandlung
selbst nicht zurückkommen. Wohl aber scheint uns eine Bemerkung am Platze
über die Kritik, welche das Verhalten des Reichstags nachträglich von vielen
Seiten erfahren hat. Man weiß, daß, als der Wortführer von Elsaß-Loth¬
ringen, Herr Teutsch, seinen comödienhaften Vortrag unter dem Gelächter
der Versammlung beendigt, der Schluß der Verhandlung sofort beantragt
und angenommen wurde. Darüber erhebt sich nun ein vielfacher Tadel, der
häufig aus Elsaß-Lothringen, mit Recht oder Unrecht, datirt ist. Bei dieser
Gelegenheit, so heißt es, hätten die ersten Redner des Reichstags auf den
Platz treten sollen, um noch einmal aller Welt die Nothwendigkett der Zu¬
rücknahme Elsaß-Lothringens im Gewände glänzender Beredsamkeit zu zeigen.

Wer nicht die Gewohnheit hat, mit vorlauten Tadel über alles herzu¬
fallen, was nicht mit einem glänzenden Abgang beendigt worden, der kann
nicht anders, als jene Kritik recht unverständig finden. Was in aller Welt
soll denn noch über diese Zurücknahme gesagt werden, was nicht jedem
ehrlichen Verstände klar wäre, wie die Sonne? Und was soll denn gesagt
werden, um diejenigen zu belehren, die nicht belehrt sein wollen, in einer
Sache, deren Rechtfertigung gar keiner Belehrung bedarf. Sollte Moltke das
Wort ergreifen, um der Welt zu versichern, daß der Besitz sogenannter natür¬
licher Grenzen nie den Krieg rechtfertigt und daß wir längst darauf verzichtet
hatten, unsere natürlichen Grenzen wieder zu gewinnen, die zugleich unsere
ethnischen Grenzen sind! Sollte er hinzufügen, daß es den Gipfel des Un¬
sinns ersteigen heißt, wenn das Verbot, Krieg anzufangen um die natürlichen
Grenzen, verkehrt werden soll in das Gebot der Unverletzlichkeit eines Feindes,
der ohne Aufhören den friedlichen Nachbar mit muthwilligen Krieg über¬
zieht ! — Bei dieser Gelegenheit wird es angemessen sein, mit allem Nachdruck
gegen die, selbst in deutschen Blättern vernommene Ansicht zu Protestiren,
als sei der unerklärte Kriegszustand, oder wenn man lieber will, der bewaff¬
nete Friede zwischen Deutschland und Frankreich eine Folge der Eroberung
Elsaß-Lothringens. Wir leben allerdings mit Frankreich nur in einem
Waffenstillstand, dessen Dauer aber noch weit kürzer sein würde, wenn wir
Elsaß-Lothringen nicht genommen hätten. Je schlechter unsere Grenze, desto
unzähmbarer die Revanchezuverficht unserer Nachbarn. Metz und Straßburg
sind unsere Friedenshüter, so lange der Frieden eben zu hüten ist. Wären
sie in französischen Händen, wer weiß, ob wir nicht schon in diesem Jahre
den Kampf hätten erneuern müssen! Denn unsere Resignation hätten die
Franzosen überdies nur als Furcht ausgelegt. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/400>, abgerufen am 17.06.2024.