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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Kreisen vollzogen haben wird, muß zunächst zum Nachtheile der republikani¬
schen Protestler ausschlagen. Schon jetzt tauchen auch außerhalb der Reihen
der elsässisch-particularistischen Partei vielfach Zweifel auf, ob das vollständige
Verschwinden der Herren Teutsch, Lauts und Häffely aus dem Reichstage das
Richtige gewesen. Von einigem Effect hätte ein solcher Schritt jedenfalls nur
dann sein können, wenn sich alle 16 Abgeordnete des Reichslandes an dem¬
selben betheiligt hätten. Aber während das obengenannte republikanische
Dreigestirn sofort nach der verunglückten Protestation den Sitzungssaal mit
Eclat verließ, blieben die vier lothringischen Deputirten noch einen oder meh¬
rere Tage anwesend und die acht elsässischen Klerikalen, also die Majorität
der ganzen reichsländischen Deputation, haben ihre Sitze noch heutigen Tags
inne. Nicht allein ist also der Zweck der Austrittsdemonstration durchaus
verfehlt, sondern die Vertretung Elsaß-Lothringens im Reichstage ist ganz
und gar dem rücksichtslosesten Ultramontanismus überantwortet. Mit welchem
Erfolge, hat die neuliche Debatte über den Antrag auf Bestätigung der dem
Oberpräsidenten von Elsaß-Lothringen durch den Z 10 des Verwaltungs-
organisationsgesetzes vom 30. December 1871 verliehenen außerordentlichen
Vollmachten deutlich genug gezeigt. Wie laut auch der Pfarrer Winterer
aus Mülhausen über Stimmendruck und andere weltliche Dinge geklagt haben
mag, der Kern seiner an der deutschen Verwaltung geübten Kritik beruhte
doch ganz wie diejenige des Ubbo Gerber in rein klerikalen Gesichtspunkten
In erster Linie war die Einführung des obligatorischen Volksschulunterrichts
Gegenstand ihrer Beschwerden. Nun erinnert sich aber hierzulande Jeder¬
mann, daß gerade dieser Maßregel der deutschen Verwaltung auch die glühend
sten Gambettisten seiner Zeit ihre offene Anerkennung nicht versagt haben.
Aus diesem Grunde mag es für die protestantischen und freisinnigen Herren
Lauts, Häffely und Teutsch allerdings von doppeltem Interesse sein, den
Neichstagsverhandlungen nicht anzuwohnen; denn wie sollten sie dem Dilemma
entrinnen, entweder die Verdammung ihrer heiligsten Principien schweigend
über sich ergehen zu lassen oder die deutsche Regierung gegen ihre eigenen
Landsleute in Schutz zu nehmen? Aber die nichtklerikale Bevölkerung hier¬
zulande ist doch zu nüchternen und practischen Sinnes, als daß sie sich nicht
nach und nach über die Folgen dieser Politik 1^ Vogel Strauß klar werden
sollte. Auch der ärgste Chauvinist sagt sich heute, daß es mit der "Befreiung
vom deutschen Joche" doch noch eine gute Weile dauern kann, und er wird,
wenn er nicht selbst ein Werkzeug der Pfaffen ist, sich morgen sagen, daß es
sür eine möglichst erträgliche Gestaltung der politischen Lage seiner Heimath
während des Jnterimistikums bis zur "Befreiung" unmöglich von Nutzen sein
kann, wenn den klerikalen Heißspornen allein das Wort gelassen wird. Und
so wird der Makel, der den radikalen Deputirten in ihrer Eigenschaft al^


Kreisen vollzogen haben wird, muß zunächst zum Nachtheile der republikani¬
schen Protestler ausschlagen. Schon jetzt tauchen auch außerhalb der Reihen
der elsässisch-particularistischen Partei vielfach Zweifel auf, ob das vollständige
Verschwinden der Herren Teutsch, Lauts und Häffely aus dem Reichstage das
Richtige gewesen. Von einigem Effect hätte ein solcher Schritt jedenfalls nur
dann sein können, wenn sich alle 16 Abgeordnete des Reichslandes an dem¬
selben betheiligt hätten. Aber während das obengenannte republikanische
Dreigestirn sofort nach der verunglückten Protestation den Sitzungssaal mit
Eclat verließ, blieben die vier lothringischen Deputirten noch einen oder meh¬
rere Tage anwesend und die acht elsässischen Klerikalen, also die Majorität
der ganzen reichsländischen Deputation, haben ihre Sitze noch heutigen Tags
inne. Nicht allein ist also der Zweck der Austrittsdemonstration durchaus
verfehlt, sondern die Vertretung Elsaß-Lothringens im Reichstage ist ganz
und gar dem rücksichtslosesten Ultramontanismus überantwortet. Mit welchem
Erfolge, hat die neuliche Debatte über den Antrag auf Bestätigung der dem
Oberpräsidenten von Elsaß-Lothringen durch den Z 10 des Verwaltungs-
organisationsgesetzes vom 30. December 1871 verliehenen außerordentlichen
Vollmachten deutlich genug gezeigt. Wie laut auch der Pfarrer Winterer
aus Mülhausen über Stimmendruck und andere weltliche Dinge geklagt haben
mag, der Kern seiner an der deutschen Verwaltung geübten Kritik beruhte
doch ganz wie diejenige des Ubbo Gerber in rein klerikalen Gesichtspunkten
In erster Linie war die Einführung des obligatorischen Volksschulunterrichts
Gegenstand ihrer Beschwerden. Nun erinnert sich aber hierzulande Jeder¬
mann, daß gerade dieser Maßregel der deutschen Verwaltung auch die glühend
sten Gambettisten seiner Zeit ihre offene Anerkennung nicht versagt haben.
Aus diesem Grunde mag es für die protestantischen und freisinnigen Herren
Lauts, Häffely und Teutsch allerdings von doppeltem Interesse sein, den
Neichstagsverhandlungen nicht anzuwohnen; denn wie sollten sie dem Dilemma
entrinnen, entweder die Verdammung ihrer heiligsten Principien schweigend
über sich ergehen zu lassen oder die deutsche Regierung gegen ihre eigenen
Landsleute in Schutz zu nehmen? Aber die nichtklerikale Bevölkerung hier¬
zulande ist doch zu nüchternen und practischen Sinnes, als daß sie sich nicht
nach und nach über die Folgen dieser Politik 1^ Vogel Strauß klar werden
sollte. Auch der ärgste Chauvinist sagt sich heute, daß es mit der „Befreiung
vom deutschen Joche" doch noch eine gute Weile dauern kann, und er wird,
wenn er nicht selbst ein Werkzeug der Pfaffen ist, sich morgen sagen, daß es
sür eine möglichst erträgliche Gestaltung der politischen Lage seiner Heimath
während des Jnterimistikums bis zur „Befreiung" unmöglich von Nutzen sein
kann, wenn den klerikalen Heißspornen allein das Wort gelassen wird. Und
so wird der Makel, der den radikalen Deputirten in ihrer Eigenschaft al^


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[0475] Kreisen vollzogen haben wird, muß zunächst zum Nachtheile der republikani¬ schen Protestler ausschlagen. Schon jetzt tauchen auch außerhalb der Reihen der elsässisch-particularistischen Partei vielfach Zweifel auf, ob das vollständige Verschwinden der Herren Teutsch, Lauts und Häffely aus dem Reichstage das Richtige gewesen. Von einigem Effect hätte ein solcher Schritt jedenfalls nur dann sein können, wenn sich alle 16 Abgeordnete des Reichslandes an dem¬ selben betheiligt hätten. Aber während das obengenannte republikanische Dreigestirn sofort nach der verunglückten Protestation den Sitzungssaal mit Eclat verließ, blieben die vier lothringischen Deputirten noch einen oder meh¬ rere Tage anwesend und die acht elsässischen Klerikalen, also die Majorität der ganzen reichsländischen Deputation, haben ihre Sitze noch heutigen Tags inne. Nicht allein ist also der Zweck der Austrittsdemonstration durchaus verfehlt, sondern die Vertretung Elsaß-Lothringens im Reichstage ist ganz und gar dem rücksichtslosesten Ultramontanismus überantwortet. Mit welchem Erfolge, hat die neuliche Debatte über den Antrag auf Bestätigung der dem Oberpräsidenten von Elsaß-Lothringen durch den Z 10 des Verwaltungs- organisationsgesetzes vom 30. December 1871 verliehenen außerordentlichen Vollmachten deutlich genug gezeigt. Wie laut auch der Pfarrer Winterer aus Mülhausen über Stimmendruck und andere weltliche Dinge geklagt haben mag, der Kern seiner an der deutschen Verwaltung geübten Kritik beruhte doch ganz wie diejenige des Ubbo Gerber in rein klerikalen Gesichtspunkten In erster Linie war die Einführung des obligatorischen Volksschulunterrichts Gegenstand ihrer Beschwerden. Nun erinnert sich aber hierzulande Jeder¬ mann, daß gerade dieser Maßregel der deutschen Verwaltung auch die glühend sten Gambettisten seiner Zeit ihre offene Anerkennung nicht versagt haben. Aus diesem Grunde mag es für die protestantischen und freisinnigen Herren Lauts, Häffely und Teutsch allerdings von doppeltem Interesse sein, den Neichstagsverhandlungen nicht anzuwohnen; denn wie sollten sie dem Dilemma entrinnen, entweder die Verdammung ihrer heiligsten Principien schweigend über sich ergehen zu lassen oder die deutsche Regierung gegen ihre eigenen Landsleute in Schutz zu nehmen? Aber die nichtklerikale Bevölkerung hier¬ zulande ist doch zu nüchternen und practischen Sinnes, als daß sie sich nicht nach und nach über die Folgen dieser Politik 1^ Vogel Strauß klar werden sollte. Auch der ärgste Chauvinist sagt sich heute, daß es mit der „Befreiung vom deutschen Joche" doch noch eine gute Weile dauern kann, und er wird, wenn er nicht selbst ein Werkzeug der Pfaffen ist, sich morgen sagen, daß es sür eine möglichst erträgliche Gestaltung der politischen Lage seiner Heimath während des Jnterimistikums bis zur „Befreiung" unmöglich von Nutzen sein kann, wenn den klerikalen Heißspornen allein das Wort gelassen wird. Und so wird der Makel, der den radikalen Deputirten in ihrer Eigenschaft al^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/475>, abgerufen am 12.05.2024.