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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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die Wände der Glivarien erklettern und die bunte Pracht der gefiederten Ge¬
fangenen die Aviarien füllt. Wir begeben uns lieber mitten unter die Gäste
die heute im Apollosaal, morgen im goldenen, übermorgen im ägyptischen
Saale speisen sollen. Wir wissen zufällig, daß eine Mahlzeit im Apollosaale
unter 200,000 Sesterzen nicht herzustellen ist. Zudem ist die neunte Stunde
(2 Uhr 30 Min. Nachmittags) bereits ausgerufen und die Mahlzeit beginnt,
nachdem der Gastgeber wie ein Triumphaler an der Spitze eines Heeres von
Clienten, Hausdienern und Sclaven seinen frischgebadeten und -geschmückten
Gästen in das Atrium entgegengezogen ist und sie hier zärtlich umarmt hat.
Man lagert sich zu Tische und netzt die Finger in Crocuswasser. Der Speise¬
meister verkündet mit ernst-komischem Pathos den Speisezettel, dessen Inhalt
mit Kopfnicken und Beifallsgemurmel begutachtet wird. Dann beginnt das
Gustatorium, das Vorspiel der Hauptmahlzeit.

Zehn Diener keuchen unter der Last eines Repositoriums mit pyramidalen
Aufsätzen, mit bauchigen, flachen, runden oder ovalen Schüsseln ringsum be¬
stellt. Die Aufmerksamkeit der Gäste erregt ter goldgeschmückten Bahre Mittel¬
punkt. Silberpfaue und Goldfasane, man möchte sie für lebend halten, wie¬
gen auf der Pyramide Höhe ihres Federschmuckes Pracht. Kyzinische Muränen,
mit künstlicher Flosse aus Silberglas, lagern dampfend wie im Schilfe, hier
im weichen Bette cyprischen Kohls, mit Artischocken, Austern, Schnecken, reich
an Färbung und Geschmack! Krebse säumen der Schüssel reich getriebenen
Rand und Mollusken öffnen ihres Sarges Klappen, pulsirend noch und frisch,
als lägen sie in Lucrinvs salziger Fluth. Gier-, Kamm- und Fasermuschel,
des Meeres Dattel und die Venusklappe, Aesche, Springfisch, Frosch. Forelle,
und Alles, was im Wasser lebt, vom Stör bis zum Gründling, hier liegt es
vereint auf flachen Platten und reizt das Auge wie den Gaumen. Außerdem
in Silbertruhen Würstchen, Hahnenkämme, farcirte Euter von der Sau,
Gänselebern nebst Ravenneser Spargel, Cericianer Zwiebel, Lauch, Boresch,
Sicilianer Kürbiß und Radieschen mit Raute und Byzantinischer Salzlacke
(aus Thunfisch bereitet) gewürzt; dazu endlich Tausende von Austern. Flöten¬
spiel begleitet das Boressen; und das Mulsum, aus Most und hymetischem Honig
gebraut, kredenzt der Mundschenk, süßt es dem Einen, säuert es dem Andern,
je nach Verlangen, und frischt es in Schneegefäßen auf, um den Gästen
Kühlung zu verschaffen.

Aber das waren nur Vorpostengefechte. Mit ungeheurem Jubel wird
der Beginn des eigentlichen Mahles, den Hörnerklang verkündet, aufgenommen.
Erster Gang: "Fasanen aus Colchis, garnirt mit Wachteln, Ionische Hasel¬
hühner, Perlhühner aus Carthago, Rhodischer Kapaun, Cappadöeische Hennen,
Schnepfen und Gänsebrüste aus Gallien." Und Alles wahrhaft künstlerisch
geformt: Eine Fasanenhenne scheint mit ihren Küchlein vor einem umsieht-


die Wände der Glivarien erklettern und die bunte Pracht der gefiederten Ge¬
fangenen die Aviarien füllt. Wir begeben uns lieber mitten unter die Gäste
die heute im Apollosaal, morgen im goldenen, übermorgen im ägyptischen
Saale speisen sollen. Wir wissen zufällig, daß eine Mahlzeit im Apollosaale
unter 200,000 Sesterzen nicht herzustellen ist. Zudem ist die neunte Stunde
(2 Uhr 30 Min. Nachmittags) bereits ausgerufen und die Mahlzeit beginnt,
nachdem der Gastgeber wie ein Triumphaler an der Spitze eines Heeres von
Clienten, Hausdienern und Sclaven seinen frischgebadeten und -geschmückten
Gästen in das Atrium entgegengezogen ist und sie hier zärtlich umarmt hat.
Man lagert sich zu Tische und netzt die Finger in Crocuswasser. Der Speise¬
meister verkündet mit ernst-komischem Pathos den Speisezettel, dessen Inhalt
mit Kopfnicken und Beifallsgemurmel begutachtet wird. Dann beginnt das
Gustatorium, das Vorspiel der Hauptmahlzeit.

Zehn Diener keuchen unter der Last eines Repositoriums mit pyramidalen
Aufsätzen, mit bauchigen, flachen, runden oder ovalen Schüsseln ringsum be¬
stellt. Die Aufmerksamkeit der Gäste erregt ter goldgeschmückten Bahre Mittel¬
punkt. Silberpfaue und Goldfasane, man möchte sie für lebend halten, wie¬
gen auf der Pyramide Höhe ihres Federschmuckes Pracht. Kyzinische Muränen,
mit künstlicher Flosse aus Silberglas, lagern dampfend wie im Schilfe, hier
im weichen Bette cyprischen Kohls, mit Artischocken, Austern, Schnecken, reich
an Färbung und Geschmack! Krebse säumen der Schüssel reich getriebenen
Rand und Mollusken öffnen ihres Sarges Klappen, pulsirend noch und frisch,
als lägen sie in Lucrinvs salziger Fluth. Gier-, Kamm- und Fasermuschel,
des Meeres Dattel und die Venusklappe, Aesche, Springfisch, Frosch. Forelle,
und Alles, was im Wasser lebt, vom Stör bis zum Gründling, hier liegt es
vereint auf flachen Platten und reizt das Auge wie den Gaumen. Außerdem
in Silbertruhen Würstchen, Hahnenkämme, farcirte Euter von der Sau,
Gänselebern nebst Ravenneser Spargel, Cericianer Zwiebel, Lauch, Boresch,
Sicilianer Kürbiß und Radieschen mit Raute und Byzantinischer Salzlacke
(aus Thunfisch bereitet) gewürzt; dazu endlich Tausende von Austern. Flöten¬
spiel begleitet das Boressen; und das Mulsum, aus Most und hymetischem Honig
gebraut, kredenzt der Mundschenk, süßt es dem Einen, säuert es dem Andern,
je nach Verlangen, und frischt es in Schneegefäßen auf, um den Gästen
Kühlung zu verschaffen.

Aber das waren nur Vorpostengefechte. Mit ungeheurem Jubel wird
der Beginn des eigentlichen Mahles, den Hörnerklang verkündet, aufgenommen.
Erster Gang: „Fasanen aus Colchis, garnirt mit Wachteln, Ionische Hasel¬
hühner, Perlhühner aus Carthago, Rhodischer Kapaun, Cappadöeische Hennen,
Schnepfen und Gänsebrüste aus Gallien." Und Alles wahrhaft künstlerisch
geformt: Eine Fasanenhenne scheint mit ihren Küchlein vor einem umsieht-


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[0510] die Wände der Glivarien erklettern und die bunte Pracht der gefiederten Ge¬ fangenen die Aviarien füllt. Wir begeben uns lieber mitten unter die Gäste die heute im Apollosaal, morgen im goldenen, übermorgen im ägyptischen Saale speisen sollen. Wir wissen zufällig, daß eine Mahlzeit im Apollosaale unter 200,000 Sesterzen nicht herzustellen ist. Zudem ist die neunte Stunde (2 Uhr 30 Min. Nachmittags) bereits ausgerufen und die Mahlzeit beginnt, nachdem der Gastgeber wie ein Triumphaler an der Spitze eines Heeres von Clienten, Hausdienern und Sclaven seinen frischgebadeten und -geschmückten Gästen in das Atrium entgegengezogen ist und sie hier zärtlich umarmt hat. Man lagert sich zu Tische und netzt die Finger in Crocuswasser. Der Speise¬ meister verkündet mit ernst-komischem Pathos den Speisezettel, dessen Inhalt mit Kopfnicken und Beifallsgemurmel begutachtet wird. Dann beginnt das Gustatorium, das Vorspiel der Hauptmahlzeit. Zehn Diener keuchen unter der Last eines Repositoriums mit pyramidalen Aufsätzen, mit bauchigen, flachen, runden oder ovalen Schüsseln ringsum be¬ stellt. Die Aufmerksamkeit der Gäste erregt ter goldgeschmückten Bahre Mittel¬ punkt. Silberpfaue und Goldfasane, man möchte sie für lebend halten, wie¬ gen auf der Pyramide Höhe ihres Federschmuckes Pracht. Kyzinische Muränen, mit künstlicher Flosse aus Silberglas, lagern dampfend wie im Schilfe, hier im weichen Bette cyprischen Kohls, mit Artischocken, Austern, Schnecken, reich an Färbung und Geschmack! Krebse säumen der Schüssel reich getriebenen Rand und Mollusken öffnen ihres Sarges Klappen, pulsirend noch und frisch, als lägen sie in Lucrinvs salziger Fluth. Gier-, Kamm- und Fasermuschel, des Meeres Dattel und die Venusklappe, Aesche, Springfisch, Frosch. Forelle, und Alles, was im Wasser lebt, vom Stör bis zum Gründling, hier liegt es vereint auf flachen Platten und reizt das Auge wie den Gaumen. Außerdem in Silbertruhen Würstchen, Hahnenkämme, farcirte Euter von der Sau, Gänselebern nebst Ravenneser Spargel, Cericianer Zwiebel, Lauch, Boresch, Sicilianer Kürbiß und Radieschen mit Raute und Byzantinischer Salzlacke (aus Thunfisch bereitet) gewürzt; dazu endlich Tausende von Austern. Flöten¬ spiel begleitet das Boressen; und das Mulsum, aus Most und hymetischem Honig gebraut, kredenzt der Mundschenk, süßt es dem Einen, säuert es dem Andern, je nach Verlangen, und frischt es in Schneegefäßen auf, um den Gästen Kühlung zu verschaffen. Aber das waren nur Vorpostengefechte. Mit ungeheurem Jubel wird der Beginn des eigentlichen Mahles, den Hörnerklang verkündet, aufgenommen. Erster Gang: „Fasanen aus Colchis, garnirt mit Wachteln, Ionische Hasel¬ hühner, Perlhühner aus Carthago, Rhodischer Kapaun, Cappadöeische Hennen, Schnepfen und Gänsebrüste aus Gallien." Und Alles wahrhaft künstlerisch geformt: Eine Fasanenhenne scheint mit ihren Küchlein vor einem umsieht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/510>, abgerufen am 26.05.2024.