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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ten Hause abgiebt? Der Bahnhofsportier erscheint unter solchen Umstän¬
den als die einzig fühlende Brust, der einzig verantwortliche neutrale Mann.
Vielleicht ist unser Wagen doch in der Nähe, nur vor dem schneidenden Nord¬
wind geborgen, und der "Hausmeister" kennt den Schlupfwinkel. Wen¬
den wir uns an ihn. -- Aber vox taueibus Kaesit! Eine zottige Pelzgestalt,
von sieben Fuß Höhe schlürft an uns vorüber in den weiten Pelzstiefeln
und betrachtet uns mit jener wilden Elegie, die dem aus seinem Winter¬
schlaf gestörten Bären eigen sein mag. Und ehe es noch zum Austausch
irgend einer Meinung gekommen ist. sind zwei der Gasflammen der Halle er¬
loschen und bei dem flackernden Scheine des letzten Lichtes schwebt der enorme
Schatten des Riesen mit unheilverkündenden Arm- und Beinbewegungen der
Wand entlang, eiligst der ersehnten Ruhestatt entgegen. So mag der Schat¬
ten des grimmigen Ajas verdrossen dahin fahren, wenn er von einem orts¬
unkundigen Besucher des Hades aus seinem tausendjährigen Schlummer
aufgescheucht wird. --

Draußen schütteln die unbestellten Rosse, ungeduldig der Abfahrt, die
Mähnen. Der Conducteur der "drei Fasanen" anwortet auf jede Frage nach
den andern von Bädecker besternten Hotels mit dem stereotypen: "Is zug'sperrt.
Im Winter hob'n Otu zu."

Das Mißtrauen gegen das Monopol ist aufs höchste gestiegen. Ich
nenne dem Führer des leeren Omnibus neben dem Monopolbesitzer den Na¬
men des Gasthofs, den Bädecker als erstes unter den Hotels "ersten Ranges"
empfiehlt, und nach einer halbstündigen Fahrt hält der Omnibus vor--einem
völlig dunkeln Hause. "Sie bekommen vierzig Kreuzer," sage ich dem jugend¬
lichen Kutscher, auf Bädecker's Autorität gestützt, mit imponirender Sicherheit.

"Holt'n zu Grod'n, ich bekomm' blos dreißig Kreuzer," erwidert das un¬
verdorbene Gemüth des Pferdelenkers. "Die Tax'n is herobg'setzt worden."
O mögest Du Dir diese winterliche Ehrlichkeit auch im Sommer bewahren,
edler Jüngling!

Die nur angelehnte, aber immerhin offene Hausthür des Hotels berech¬
tigt zu einigen Hoffnungen. Man tastet sich im Zwielicht zu der gewaltigen
Hausglocke, die im Sommer schwerlich eine Stunde zur Ruhe kommt, und
giebt eigenhändig das dröhnende Zeichen seiner Ankunft. schaurig, wie eine
Nothglocke, hallt es durch die weiten leeren Gänge, durch die vielen leeren
Gassen draußen. Aus unbekannter Ferne kommt endlich ein schlürfender Schritt
heran, als sei der verwunschene Bahnhofsportier zum zweiten Male in seinem
Urrecht auf einen ununterbrochenen Normalschlaf gestört worden. Das Ver¬
langen nach einem nächtlichen Unterkommen wird unter einem unheilverkün¬
denden Befremden vernommen. Nicht absolute Ungastlichkeit ist aus den
schmerzlich lächelnden Zügen des "hierortigen" Portiers zu lesen, wohl aber
die dringende Aufforderung: lasciatL ogni spörau^s, voi eK'outlAto! Seine


ten Hause abgiebt? Der Bahnhofsportier erscheint unter solchen Umstän¬
den als die einzig fühlende Brust, der einzig verantwortliche neutrale Mann.
Vielleicht ist unser Wagen doch in der Nähe, nur vor dem schneidenden Nord¬
wind geborgen, und der „Hausmeister" kennt den Schlupfwinkel. Wen¬
den wir uns an ihn. — Aber vox taueibus Kaesit! Eine zottige Pelzgestalt,
von sieben Fuß Höhe schlürft an uns vorüber in den weiten Pelzstiefeln
und betrachtet uns mit jener wilden Elegie, die dem aus seinem Winter¬
schlaf gestörten Bären eigen sein mag. Und ehe es noch zum Austausch
irgend einer Meinung gekommen ist. sind zwei der Gasflammen der Halle er¬
loschen und bei dem flackernden Scheine des letzten Lichtes schwebt der enorme
Schatten des Riesen mit unheilverkündenden Arm- und Beinbewegungen der
Wand entlang, eiligst der ersehnten Ruhestatt entgegen. So mag der Schat¬
ten des grimmigen Ajas verdrossen dahin fahren, wenn er von einem orts¬
unkundigen Besucher des Hades aus seinem tausendjährigen Schlummer
aufgescheucht wird. —

Draußen schütteln die unbestellten Rosse, ungeduldig der Abfahrt, die
Mähnen. Der Conducteur der „drei Fasanen" anwortet auf jede Frage nach
den andern von Bädecker besternten Hotels mit dem stereotypen: „Is zug'sperrt.
Im Winter hob'n Otu zu."

Das Mißtrauen gegen das Monopol ist aufs höchste gestiegen. Ich
nenne dem Führer des leeren Omnibus neben dem Monopolbesitzer den Na¬
men des Gasthofs, den Bädecker als erstes unter den Hotels „ersten Ranges"
empfiehlt, und nach einer halbstündigen Fahrt hält der Omnibus vor—einem
völlig dunkeln Hause. „Sie bekommen vierzig Kreuzer," sage ich dem jugend¬
lichen Kutscher, auf Bädecker's Autorität gestützt, mit imponirender Sicherheit.

„Holt'n zu Grod'n, ich bekomm' blos dreißig Kreuzer," erwidert das un¬
verdorbene Gemüth des Pferdelenkers. „Die Tax'n is herobg'setzt worden."
O mögest Du Dir diese winterliche Ehrlichkeit auch im Sommer bewahren,
edler Jüngling!

Die nur angelehnte, aber immerhin offene Hausthür des Hotels berech¬
tigt zu einigen Hoffnungen. Man tastet sich im Zwielicht zu der gewaltigen
Hausglocke, die im Sommer schwerlich eine Stunde zur Ruhe kommt, und
giebt eigenhändig das dröhnende Zeichen seiner Ankunft. schaurig, wie eine
Nothglocke, hallt es durch die weiten leeren Gänge, durch die vielen leeren
Gassen draußen. Aus unbekannter Ferne kommt endlich ein schlürfender Schritt
heran, als sei der verwunschene Bahnhofsportier zum zweiten Male in seinem
Urrecht auf einen ununterbrochenen Normalschlaf gestört worden. Das Ver¬
langen nach einem nächtlichen Unterkommen wird unter einem unheilverkün¬
denden Befremden vernommen. Nicht absolute Ungastlichkeit ist aus den
schmerzlich lächelnden Zügen des „hierortigen" Portiers zu lesen, wohl aber
die dringende Aufforderung: lasciatL ogni spörau^s, voi eK'outlAto! Seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/68>, abgerufen am 27.05.2024.