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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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die Absicht hatten, ihre Kammern nur um Rath zu fragen und dann so zu
behandeln, als sie erst die Sache ihnen vorlegten. Im Gegentheil manche
Symptome zeigten, daß sie die Absicht hatten, ihre Kammern zu ihren
Bundesgenossen zu machen in demKampf gegen eine ihnen un¬
gebührlich erscheinende Ausdehnung der Prärogative der
Reich sregierung. Da die Einzellandtage durch das neue Gesetz den
besten Theil ihrer Rechte verlieren, so ist es begreiflich, daß die Regierungen
in dieser seitlichen Sache auf ihre Unterstützung rechneten. Bevor sie dieselbe
jedoch erlangen konnten, drehten sie sich um und lehnten es ab, dieselbe zu
empfangen, wenigstens in der bestimmten Form, in welcher sie erst um die
Wohlthat gebeten. Für diese plötzliche Umkehr ist nur ein erdenkliches
Motiv. Als der Bundesrath eingerichtet wurde, war es die Absicht ihn zum
Beschützer der Rechte der Fürsten zu machen. Wie das Volk im Reichstag
vertreten, so die Rechte der Könige, Herzöge und Fürsten im Bundesrath.
So lange daher die Mitglieder des Bundesraths von den betreffenden Fürsten
allein ihre Jnstructionen empfangen, so bleibt den deutschen Monarchen ein
entscheidender Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten, wenn aber die Ab¬
stimmung jener Mitglieder ganz oder zum Theil von den Beschlüssen der
Einzellandtage abhängen soll, so ist die Stimme des Volks, welche den Reichs¬
tag beherrscht auch im Bundesrath vertreten und die Stellung der beiden
Körper zu einander ist wesentlich verändert.

Erwägungen dieser Art werden die Könige von Sachsen und Bayern
bestimmt haben, ihre Politik in der beschriebenen Weise zu ändern. Zuerst
wandten sie sich an ihre Lokalparlamente als nützliche Bundesgenossen gegen
die Centralbehörden, aber sie sahen sofort das Zweifelhafte dieses Schachzugs ein,
und aus Furcht vor einem gefährlichen Präcedenzfall lehnten sie die Allianz
ab, welche sie eben gesucht. Erst erwarteten sie von den Lokalver¬
sammlungen ein Gegengewicht gegen die Centralbehörden, aber
bei näherer Prüfung erinnerten sie sich, daß sie selbst Mitglieder der Central-
behörde sind, und daß wenn sie ihre Entscheidungen dem Votum ihrer Kam¬
mern unterwerfen, sie im Allgemeinen mehr verlieren, als sie für den be¬
sonderen Fall gewinnen. Es ist diese relative Beurtheilung der Situation,
gegenüber den Centralbehörden auf der einen und dem Einfluß des Volks auf
der andern Seite, welche demjenigen, der deutsche Politik studirt, so lehrreich
ist. Wenn die kleineren Fürsten endlich zur Ueberzeugung gelangt sind, daß
sie am besten ihre Souveränetätsrechte schützen, wenn sie die Centralregierung
unterstützen, dann kann die Sache der Einheit als sicher betrachtet werden.
Dann arbeiten alle politischen Interessen auf dasselbe Ziel hin.

Was das Volk in seinem Interesse verlangt, befördern die Fürsten aus
conservativen Rücksichten -- was Sicherheit vor auswärtigen Angriffen ge-


die Absicht hatten, ihre Kammern nur um Rath zu fragen und dann so zu
behandeln, als sie erst die Sache ihnen vorlegten. Im Gegentheil manche
Symptome zeigten, daß sie die Absicht hatten, ihre Kammern zu ihren
Bundesgenossen zu machen in demKampf gegen eine ihnen un¬
gebührlich erscheinende Ausdehnung der Prärogative der
Reich sregierung. Da die Einzellandtage durch das neue Gesetz den
besten Theil ihrer Rechte verlieren, so ist es begreiflich, daß die Regierungen
in dieser seitlichen Sache auf ihre Unterstützung rechneten. Bevor sie dieselbe
jedoch erlangen konnten, drehten sie sich um und lehnten es ab, dieselbe zu
empfangen, wenigstens in der bestimmten Form, in welcher sie erst um die
Wohlthat gebeten. Für diese plötzliche Umkehr ist nur ein erdenkliches
Motiv. Als der Bundesrath eingerichtet wurde, war es die Absicht ihn zum
Beschützer der Rechte der Fürsten zu machen. Wie das Volk im Reichstag
vertreten, so die Rechte der Könige, Herzöge und Fürsten im Bundesrath.
So lange daher die Mitglieder des Bundesraths von den betreffenden Fürsten
allein ihre Jnstructionen empfangen, so bleibt den deutschen Monarchen ein
entscheidender Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten, wenn aber die Ab¬
stimmung jener Mitglieder ganz oder zum Theil von den Beschlüssen der
Einzellandtage abhängen soll, so ist die Stimme des Volks, welche den Reichs¬
tag beherrscht auch im Bundesrath vertreten und die Stellung der beiden
Körper zu einander ist wesentlich verändert.

Erwägungen dieser Art werden die Könige von Sachsen und Bayern
bestimmt haben, ihre Politik in der beschriebenen Weise zu ändern. Zuerst
wandten sie sich an ihre Lokalparlamente als nützliche Bundesgenossen gegen
die Centralbehörden, aber sie sahen sofort das Zweifelhafte dieses Schachzugs ein,
und aus Furcht vor einem gefährlichen Präcedenzfall lehnten sie die Allianz
ab, welche sie eben gesucht. Erst erwarteten sie von den Lokalver¬
sammlungen ein Gegengewicht gegen die Centralbehörden, aber
bei näherer Prüfung erinnerten sie sich, daß sie selbst Mitglieder der Central-
behörde sind, und daß wenn sie ihre Entscheidungen dem Votum ihrer Kam¬
mern unterwerfen, sie im Allgemeinen mehr verlieren, als sie für den be¬
sonderen Fall gewinnen. Es ist diese relative Beurtheilung der Situation,
gegenüber den Centralbehörden auf der einen und dem Einfluß des Volks auf
der andern Seite, welche demjenigen, der deutsche Politik studirt, so lehrreich
ist. Wenn die kleineren Fürsten endlich zur Ueberzeugung gelangt sind, daß
sie am besten ihre Souveränetätsrechte schützen, wenn sie die Centralregierung
unterstützen, dann kann die Sache der Einheit als sicher betrachtet werden.
Dann arbeiten alle politischen Interessen auf dasselbe Ziel hin.

Was das Volk in seinem Interesse verlangt, befördern die Fürsten aus
conservativen Rücksichten — was Sicherheit vor auswärtigen Angriffen ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/83>, abgerufen am 12.05.2024.