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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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schöpferischer Erregung zurückblickt, im Vordergrund der Erwägung eine
Frage stehen, die jeden ernsteren, die Phasen des menschheitlicher Lebens¬
processes mit Aufmerksamkeit verfolgenden Kopf zum Nachdenken herausfor¬
dert: die Frage nämlich, wie es sich ereignen konnte, daß die seit dem 14.
Jahrhundert mit den Waffen des Geistes bestritten e, durch Schisma, Reform-
conzile, durch die Auflehnung der Staatsgewalten und endlich durch den reli¬
giösen Abfall der Nationen in ihren Grundfesten erschütterte Papstkirche gleich¬
wohl neben den Reformationskirchen des 16. Jahrhunderts ihren Bestand
behauptet hat, ja aus der allgemeinen Gährung befestigter hervorgegangen ist,
um bald darauf mit verjüngter Kraft zur Wiedereroberung aufzubrechen, um
im letzten Menschenalter des sechzehnten und im ersten Menschenalter des
siebzehnten Jahrhunderts beträchtliche Stücke des verlorenen Terrains zurück¬
zugewinnen, um die Machtstellung, welche sie damals erkämpfte, seitdem gegen
jeden Abbruch von außen her zu bewahren, um noch in unseren Tagen
die äußersten Consequenzen jenes Systems, mit welchem die neuen Ideen des
Reformationszeitalters im Kampfe gelegen, unter siegesgewisser Zuversicht in
die Welt zu schleudern. Die Frage, wie und warum dies so gekommen,
findet in Maurenbrechers Aufsätzen überzeugende Beantwortung. Dieselbe in
einem Schlagsatze zusammenfassen hieße dem Verfasser eine Einseitigkeit auf¬
bürden, die ihm fern liegt. Aus der Summe der Anschauungen jedoch, welche
die "Studien und Skizzen" vermitteln, reizt es, als eine von Maurenbrecher
zum erstenmale in solcher Schärfe dargelegte und zum erstenmale in ihrer welt¬
geschichtlichen Tragweite erläuterte Entwicklung, das Doppelgängerthum von
spanischer und deutscher Kirchenreformation herauszugreifen.

Um dieselbe Zeit, wo die in ihren Ansängen weltflüchtige und weltver¬
achtende Glaubensgemeinschaft der christlichen Kirche, das Reich von dieser
Welt, weltliche und geistliche Universalherrschaft im Abendlande, geworden,
wo die Bewältigung der kaiserlichen Theokratie durch die Theokratie der Bi¬
schöfe von Rom zum Abschlüsse gediehen, wo innerhalb der Kirche sich die
Erhöhung des römischen Primates zur päpstlichen Monarchie vollendet hatte,
wo die Hoftheologen Se. Peters des Papstes Vermögen als eine Gewalt
kennzeichneten, deren Umfang noch keines Papstes Gedanken ausgemessen, um
dieselbe Zeit hatte als neue, den mittelalterlichen Gegensatz zwischen der
Kirche als dem Reiche Gottes und der Welt als dem Reiche des Teufels
überwindende Denkweise, die theologische, staatsphilosophische und literarische
Opposition wider die Verweltlichung der weltbeherrschenden Kirche begonnen.
Es hatte in derselben Epoche abendländischer Culturentwicklung sich an dieser
und jener Stelle der Ausbau des Staates als einer selbständigen und zur Lö¬
sung sittlicher Aufgaben des menschlichen Genossenschaftslebens sowohl berech¬
tigten wie befähigten Gemeinschaft hervorgewagt. Von Seiten der Kirche


schöpferischer Erregung zurückblickt, im Vordergrund der Erwägung eine
Frage stehen, die jeden ernsteren, die Phasen des menschheitlicher Lebens¬
processes mit Aufmerksamkeit verfolgenden Kopf zum Nachdenken herausfor¬
dert: die Frage nämlich, wie es sich ereignen konnte, daß die seit dem 14.
Jahrhundert mit den Waffen des Geistes bestritten e, durch Schisma, Reform-
conzile, durch die Auflehnung der Staatsgewalten und endlich durch den reli¬
giösen Abfall der Nationen in ihren Grundfesten erschütterte Papstkirche gleich¬
wohl neben den Reformationskirchen des 16. Jahrhunderts ihren Bestand
behauptet hat, ja aus der allgemeinen Gährung befestigter hervorgegangen ist,
um bald darauf mit verjüngter Kraft zur Wiedereroberung aufzubrechen, um
im letzten Menschenalter des sechzehnten und im ersten Menschenalter des
siebzehnten Jahrhunderts beträchtliche Stücke des verlorenen Terrains zurück¬
zugewinnen, um die Machtstellung, welche sie damals erkämpfte, seitdem gegen
jeden Abbruch von außen her zu bewahren, um noch in unseren Tagen
die äußersten Consequenzen jenes Systems, mit welchem die neuen Ideen des
Reformationszeitalters im Kampfe gelegen, unter siegesgewisser Zuversicht in
die Welt zu schleudern. Die Frage, wie und warum dies so gekommen,
findet in Maurenbrechers Aufsätzen überzeugende Beantwortung. Dieselbe in
einem Schlagsatze zusammenfassen hieße dem Verfasser eine Einseitigkeit auf¬
bürden, die ihm fern liegt. Aus der Summe der Anschauungen jedoch, welche
die „Studien und Skizzen" vermitteln, reizt es, als eine von Maurenbrecher
zum erstenmale in solcher Schärfe dargelegte und zum erstenmale in ihrer welt¬
geschichtlichen Tragweite erläuterte Entwicklung, das Doppelgängerthum von
spanischer und deutscher Kirchenreformation herauszugreifen.

Um dieselbe Zeit, wo die in ihren Ansängen weltflüchtige und weltver¬
achtende Glaubensgemeinschaft der christlichen Kirche, das Reich von dieser
Welt, weltliche und geistliche Universalherrschaft im Abendlande, geworden,
wo die Bewältigung der kaiserlichen Theokratie durch die Theokratie der Bi¬
schöfe von Rom zum Abschlüsse gediehen, wo innerhalb der Kirche sich die
Erhöhung des römischen Primates zur päpstlichen Monarchie vollendet hatte,
wo die Hoftheologen Se. Peters des Papstes Vermögen als eine Gewalt
kennzeichneten, deren Umfang noch keines Papstes Gedanken ausgemessen, um
dieselbe Zeit hatte als neue, den mittelalterlichen Gegensatz zwischen der
Kirche als dem Reiche Gottes und der Welt als dem Reiche des Teufels
überwindende Denkweise, die theologische, staatsphilosophische und literarische
Opposition wider die Verweltlichung der weltbeherrschenden Kirche begonnen.
Es hatte in derselben Epoche abendländischer Culturentwicklung sich an dieser
und jener Stelle der Ausbau des Staates als einer selbständigen und zur Lö¬
sung sittlicher Aufgaben des menschlichen Genossenschaftslebens sowohl berech¬
tigten wie befähigten Gemeinschaft hervorgewagt. Von Seiten der Kirche


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[0010] schöpferischer Erregung zurückblickt, im Vordergrund der Erwägung eine Frage stehen, die jeden ernsteren, die Phasen des menschheitlicher Lebens¬ processes mit Aufmerksamkeit verfolgenden Kopf zum Nachdenken herausfor¬ dert: die Frage nämlich, wie es sich ereignen konnte, daß die seit dem 14. Jahrhundert mit den Waffen des Geistes bestritten e, durch Schisma, Reform- conzile, durch die Auflehnung der Staatsgewalten und endlich durch den reli¬ giösen Abfall der Nationen in ihren Grundfesten erschütterte Papstkirche gleich¬ wohl neben den Reformationskirchen des 16. Jahrhunderts ihren Bestand behauptet hat, ja aus der allgemeinen Gährung befestigter hervorgegangen ist, um bald darauf mit verjüngter Kraft zur Wiedereroberung aufzubrechen, um im letzten Menschenalter des sechzehnten und im ersten Menschenalter des siebzehnten Jahrhunderts beträchtliche Stücke des verlorenen Terrains zurück¬ zugewinnen, um die Machtstellung, welche sie damals erkämpfte, seitdem gegen jeden Abbruch von außen her zu bewahren, um noch in unseren Tagen die äußersten Consequenzen jenes Systems, mit welchem die neuen Ideen des Reformationszeitalters im Kampfe gelegen, unter siegesgewisser Zuversicht in die Welt zu schleudern. Die Frage, wie und warum dies so gekommen, findet in Maurenbrechers Aufsätzen überzeugende Beantwortung. Dieselbe in einem Schlagsatze zusammenfassen hieße dem Verfasser eine Einseitigkeit auf¬ bürden, die ihm fern liegt. Aus der Summe der Anschauungen jedoch, welche die „Studien und Skizzen" vermitteln, reizt es, als eine von Maurenbrecher zum erstenmale in solcher Schärfe dargelegte und zum erstenmale in ihrer welt¬ geschichtlichen Tragweite erläuterte Entwicklung, das Doppelgängerthum von spanischer und deutscher Kirchenreformation herauszugreifen. Um dieselbe Zeit, wo die in ihren Ansängen weltflüchtige und weltver¬ achtende Glaubensgemeinschaft der christlichen Kirche, das Reich von dieser Welt, weltliche und geistliche Universalherrschaft im Abendlande, geworden, wo die Bewältigung der kaiserlichen Theokratie durch die Theokratie der Bi¬ schöfe von Rom zum Abschlüsse gediehen, wo innerhalb der Kirche sich die Erhöhung des römischen Primates zur päpstlichen Monarchie vollendet hatte, wo die Hoftheologen Se. Peters des Papstes Vermögen als eine Gewalt kennzeichneten, deren Umfang noch keines Papstes Gedanken ausgemessen, um dieselbe Zeit hatte als neue, den mittelalterlichen Gegensatz zwischen der Kirche als dem Reiche Gottes und der Welt als dem Reiche des Teufels überwindende Denkweise, die theologische, staatsphilosophische und literarische Opposition wider die Verweltlichung der weltbeherrschenden Kirche begonnen. Es hatte in derselben Epoche abendländischer Culturentwicklung sich an dieser und jener Stelle der Ausbau des Staates als einer selbständigen und zur Lö¬ sung sittlicher Aufgaben des menschlichen Genossenschaftslebens sowohl berech¬ tigten wie befähigten Gemeinschaft hervorgewagt. Von Seiten der Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/10>, abgerufen am 19.05.2024.