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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Conflicte ganz dieselbe Rolle, wie Rüstungen sie in den Kriegen weltlicher
Mächte überhaupt zu spielen pflegen. Sie war nicht sowohl die Einleitung
zum Kriege, als vielmehr selbst für sich schon der erste kriegerische Act. Aber
hätten die Ultramontanen mit ihr auch gezögert, der Streit würde doch aus¬
gebrochen sein. Der nächsten Anmaßung von ihrer Seite war die ent¬
schiedenste Abwehr von Seiten der Regierung gewiß, und solcher Anmaßungen
sich zu enthalten, war für die römische Kirche in Preußen unmöglich, wenn
sie nicht ein weites Machtgebiet, das sie in den letzten Jahrzehnten still¬
schweigend erobert hatte, ohne Vertheidigung Preis geben wollte. Und das
ist bekanntlich nicht ihre Art. Vor einem Menschenalter hatte sie über den
preußischen Staat einen glänzenden Sieg davon getragen; und nicht zufrieden
mit den günstigen Bedingungen, die sie damals beim Friedensschluß er¬
zwungen, hatte sie dem gedemüthigten Gegner auch während der Friedenszeit
immer neue Rechte abgerungen und abgeschlichen. Wenn das erstarkte Preußen,
wenn das neu erstandene deutsche Reich sie in diesem Besitze gelassen hätte,
so wäre das eine schwere Versündigung gegen die bürgerliche Freiheit seiner
Angehörigen, es wäre ein freiwilliger Verzicht auf einen Theil seiner staat¬
lichen Vollgewalt gewesen. Diese Vollgewalt oder Omnipotenz, wie die
Centrumspartei zu sagen liebt, gilt es jetzt dem Staate wieder zu erringen,
und wir dürfen in diesen Kampf eintreten mit der festen Hoffnung auf den
Sieg, sofern wir uns immer, auch in der Hitze des Gefechtes klar darüber
bleiben, daß es sich nur um eine Vollgewalt auf staatlichem und nicht auf
religiösem Gebiete handelt.

Daß der Kampf trotzdem kein leichter sein werde, darüber gab man sich
auf unserer Seite ja von vornherein keineswegs schmeichlerischer Selbsttäuschung
hin; im Gegentheil wird der Ernst des Streites weit häufiger übermäßig
stark betont. Gewiß ist auch in diesem Falle zu große Vorsicht rathsamer
als übertriebene Zuversicht, und Niemand wird unseren Staatsmännern und
Volksvertretern anrathen wollen, nach französischem Vorbilde mit leichtem
Herzen in die Fehde einzutreten. Dennoch kann es Nichts schaden, wenn
man den Feind des Nimbus zu entkleiden sucht, in den er gehüllt ist, und
der keinen geringen Theil seiner Stärke bildet. Diesen Nimbus verdankt er
seinen früheren Siegen, unter denen der über den preußischen Staat beim
Regierungsantritt Friedrich Wilhelm's IV. uns, nicht blos der Zeit nach, be¬
sonders nahe liegt. Es wird sich nicht leugnen lassen, daß von den ver¬
schiedenen Stadien dieses "Kölner Kirchenstreites" sich im Allgemeinen nur
eine sehr schwache Kenntniß im Publicum fortgepflanzt hat, daß eigentlich
nur das für Preußen demüthigende Ende, der völlige Sieg der Curie, als
Gesammteindruck zurückgeblieben ist. Wäre dem nicht so, stünde uns die
lange Reihe Fehler, deren sich die preußische Regierung damals schuldig machte,


Conflicte ganz dieselbe Rolle, wie Rüstungen sie in den Kriegen weltlicher
Mächte überhaupt zu spielen pflegen. Sie war nicht sowohl die Einleitung
zum Kriege, als vielmehr selbst für sich schon der erste kriegerische Act. Aber
hätten die Ultramontanen mit ihr auch gezögert, der Streit würde doch aus¬
gebrochen sein. Der nächsten Anmaßung von ihrer Seite war die ent¬
schiedenste Abwehr von Seiten der Regierung gewiß, und solcher Anmaßungen
sich zu enthalten, war für die römische Kirche in Preußen unmöglich, wenn
sie nicht ein weites Machtgebiet, das sie in den letzten Jahrzehnten still¬
schweigend erobert hatte, ohne Vertheidigung Preis geben wollte. Und das
ist bekanntlich nicht ihre Art. Vor einem Menschenalter hatte sie über den
preußischen Staat einen glänzenden Sieg davon getragen; und nicht zufrieden
mit den günstigen Bedingungen, die sie damals beim Friedensschluß er¬
zwungen, hatte sie dem gedemüthigten Gegner auch während der Friedenszeit
immer neue Rechte abgerungen und abgeschlichen. Wenn das erstarkte Preußen,
wenn das neu erstandene deutsche Reich sie in diesem Besitze gelassen hätte,
so wäre das eine schwere Versündigung gegen die bürgerliche Freiheit seiner
Angehörigen, es wäre ein freiwilliger Verzicht auf einen Theil seiner staat¬
lichen Vollgewalt gewesen. Diese Vollgewalt oder Omnipotenz, wie die
Centrumspartei zu sagen liebt, gilt es jetzt dem Staate wieder zu erringen,
und wir dürfen in diesen Kampf eintreten mit der festen Hoffnung auf den
Sieg, sofern wir uns immer, auch in der Hitze des Gefechtes klar darüber
bleiben, daß es sich nur um eine Vollgewalt auf staatlichem und nicht auf
religiösem Gebiete handelt.

Daß der Kampf trotzdem kein leichter sein werde, darüber gab man sich
auf unserer Seite ja von vornherein keineswegs schmeichlerischer Selbsttäuschung
hin; im Gegentheil wird der Ernst des Streites weit häufiger übermäßig
stark betont. Gewiß ist auch in diesem Falle zu große Vorsicht rathsamer
als übertriebene Zuversicht, und Niemand wird unseren Staatsmännern und
Volksvertretern anrathen wollen, nach französischem Vorbilde mit leichtem
Herzen in die Fehde einzutreten. Dennoch kann es Nichts schaden, wenn
man den Feind des Nimbus zu entkleiden sucht, in den er gehüllt ist, und
der keinen geringen Theil seiner Stärke bildet. Diesen Nimbus verdankt er
seinen früheren Siegen, unter denen der über den preußischen Staat beim
Regierungsantritt Friedrich Wilhelm's IV. uns, nicht blos der Zeit nach, be¬
sonders nahe liegt. Es wird sich nicht leugnen lassen, daß von den ver¬
schiedenen Stadien dieses „Kölner Kirchenstreites" sich im Allgemeinen nur
eine sehr schwache Kenntniß im Publicum fortgepflanzt hat, daß eigentlich
nur das für Preußen demüthigende Ende, der völlige Sieg der Curie, als
Gesammteindruck zurückgeblieben ist. Wäre dem nicht so, stünde uns die
lange Reihe Fehler, deren sich die preußische Regierung damals schuldig machte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/250>, abgerufen am 19.05.2024.