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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Wir kommen nun zu dem am 27. April, unmittelbar nach dem Schluß
des Reichstags seine Arbeiten wieder aufnehmenden Landtag. Das Expro¬
priationsgesetz, mit welchem das Abgeordnetenhaus sich ziemlich die ganze
erste Woche beschäftigte, können wir bei seinem technischen Charakter hier
übergehen. Nächst diesem Gesetz hat das Abgeordnetenhaus in den beiden
letzten Wochen die Berathung von drei Kirchengesetzen in zweiter und dritter
Lesung zu Ende geführt, nämlich die evangelische Kirchengemeinde- und
Synodalordnung für die altpreußischen Provinzen; ferner das Gesetz über die
Verwaltung erledigter katholischer Bisthümer; und drittens das Gesetz über
die Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom 11. Mai 1873. über die
Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. Anstatt jedoch, wie wir sonst
Pflegen, und wie es in der Regel auch lohnend ist, den Hauptzügen der
Berathung zu folgen, wollen wir jedes dieser Gesetze lediglich in seinem eignen
innern Zusammenhang, sobald es publicirt ist, besprechen. Denn der Kampf
des Centrums gegen die unaufhaltsam auf dem Wege der Wiederherstellung
der Staatshoheit fortschreitende Gesetzgebung bietet nachgerade nicht Neues
mehr. Was hier an dieser Stelle mit Genugthuung constcitirt werden darf,
ist Folgendes. Bei der Besprechung des deutsch-römischen Streites haben
diese Reichstagsbriefe von Anfang so nachdrücklich als möglich war, darauf
hingewiesen, daß bei diesem Streit nur mißbräuchlich die Rede sein kann von
einer Hemmung des Glaubens. Der Glaube bezieht sich auf unsinnliche,
geistige Dinge, oder er ist kein Glaube. Die Unverletzbarkeit des inneren
Gebens, welche das größte Gut der modernen Entwicklung ist. in Anspruch
nehmen für die Machtmittel einer disciplinirten Körperschaft von unerreichter
Stärke der Organisation durch den rücksichtslosesten Gebrauch aller die
Menschliche Natur unterwerfenden Einflüsse: ist das ärgste aller Sophismen.
Dieser Punkt tritt nun immermehr in den Ausführungen der Redner, welche
Regierungsvorlagen unterstützen, mit voller Klarheit hervor, wovon die
ätzten Berathungen glänzende Beispiele zeigen, besonders in den Vorträgen
Gneist's. Es ist dringend zu wünschen, daß die gebildeten Kreise des deutschen
Volkes sich mit der mannigfaltigen und geistreichen Begründung dieses Satzes,
^>e sie in den parlamentarischen Verhandlungen der letzten Zeit geboten
worden, lebhaft und tief durchdringen. Aber es kann an dieser Stelle nicht
unsere Aufgabe sein, den unendlichen Variationen dieses Themas zu folgen,
Nachdem wir über dasselbe selbst hier eine ganze Reihe von Variationen
L--r. ^schrieben.




Wir kommen nun zu dem am 27. April, unmittelbar nach dem Schluß
des Reichstags seine Arbeiten wieder aufnehmenden Landtag. Das Expro¬
priationsgesetz, mit welchem das Abgeordnetenhaus sich ziemlich die ganze
erste Woche beschäftigte, können wir bei seinem technischen Charakter hier
übergehen. Nächst diesem Gesetz hat das Abgeordnetenhaus in den beiden
letzten Wochen die Berathung von drei Kirchengesetzen in zweiter und dritter
Lesung zu Ende geführt, nämlich die evangelische Kirchengemeinde- und
Synodalordnung für die altpreußischen Provinzen; ferner das Gesetz über die
Verwaltung erledigter katholischer Bisthümer; und drittens das Gesetz über
die Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom 11. Mai 1873. über die
Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. Anstatt jedoch, wie wir sonst
Pflegen, und wie es in der Regel auch lohnend ist, den Hauptzügen der
Berathung zu folgen, wollen wir jedes dieser Gesetze lediglich in seinem eignen
innern Zusammenhang, sobald es publicirt ist, besprechen. Denn der Kampf
des Centrums gegen die unaufhaltsam auf dem Wege der Wiederherstellung
der Staatshoheit fortschreitende Gesetzgebung bietet nachgerade nicht Neues
mehr. Was hier an dieser Stelle mit Genugthuung constcitirt werden darf,
ist Folgendes. Bei der Besprechung des deutsch-römischen Streites haben
diese Reichstagsbriefe von Anfang so nachdrücklich als möglich war, darauf
hingewiesen, daß bei diesem Streit nur mißbräuchlich die Rede sein kann von
einer Hemmung des Glaubens. Der Glaube bezieht sich auf unsinnliche,
geistige Dinge, oder er ist kein Glaube. Die Unverletzbarkeit des inneren
Gebens, welche das größte Gut der modernen Entwicklung ist. in Anspruch
nehmen für die Machtmittel einer disciplinirten Körperschaft von unerreichter
Stärke der Organisation durch den rücksichtslosesten Gebrauch aller die
Menschliche Natur unterwerfenden Einflüsse: ist das ärgste aller Sophismen.
Dieser Punkt tritt nun immermehr in den Ausführungen der Redner, welche
Regierungsvorlagen unterstützen, mit voller Klarheit hervor, wovon die
ätzten Berathungen glänzende Beispiele zeigen, besonders in den Vorträgen
Gneist's. Es ist dringend zu wünschen, daß die gebildeten Kreise des deutschen
Volkes sich mit der mannigfaltigen und geistreichen Begründung dieses Satzes,
^>e sie in den parlamentarischen Verhandlungen der letzten Zeit geboten
worden, lebhaft und tief durchdringen. Aber es kann an dieser Stelle nicht
unsere Aufgabe sein, den unendlichen Variationen dieses Themas zu folgen,
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[0279] Wir kommen nun zu dem am 27. April, unmittelbar nach dem Schluß des Reichstags seine Arbeiten wieder aufnehmenden Landtag. Das Expro¬ priationsgesetz, mit welchem das Abgeordnetenhaus sich ziemlich die ganze erste Woche beschäftigte, können wir bei seinem technischen Charakter hier übergehen. Nächst diesem Gesetz hat das Abgeordnetenhaus in den beiden letzten Wochen die Berathung von drei Kirchengesetzen in zweiter und dritter Lesung zu Ende geführt, nämlich die evangelische Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die altpreußischen Provinzen; ferner das Gesetz über die Verwaltung erledigter katholischer Bisthümer; und drittens das Gesetz über die Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom 11. Mai 1873. über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. Anstatt jedoch, wie wir sonst Pflegen, und wie es in der Regel auch lohnend ist, den Hauptzügen der Berathung zu folgen, wollen wir jedes dieser Gesetze lediglich in seinem eignen innern Zusammenhang, sobald es publicirt ist, besprechen. Denn der Kampf des Centrums gegen die unaufhaltsam auf dem Wege der Wiederherstellung der Staatshoheit fortschreitende Gesetzgebung bietet nachgerade nicht Neues mehr. Was hier an dieser Stelle mit Genugthuung constcitirt werden darf, ist Folgendes. Bei der Besprechung des deutsch-römischen Streites haben diese Reichstagsbriefe von Anfang so nachdrücklich als möglich war, darauf hingewiesen, daß bei diesem Streit nur mißbräuchlich die Rede sein kann von einer Hemmung des Glaubens. Der Glaube bezieht sich auf unsinnliche, geistige Dinge, oder er ist kein Glaube. Die Unverletzbarkeit des inneren Gebens, welche das größte Gut der modernen Entwicklung ist. in Anspruch nehmen für die Machtmittel einer disciplinirten Körperschaft von unerreichter Stärke der Organisation durch den rücksichtslosesten Gebrauch aller die Menschliche Natur unterwerfenden Einflüsse: ist das ärgste aller Sophismen. Dieser Punkt tritt nun immermehr in den Ausführungen der Redner, welche Regierungsvorlagen unterstützen, mit voller Klarheit hervor, wovon die ätzten Berathungen glänzende Beispiele zeigen, besonders in den Vorträgen Gneist's. Es ist dringend zu wünschen, daß die gebildeten Kreise des deutschen Volkes sich mit der mannigfaltigen und geistreichen Begründung dieses Satzes, ^>e sie in den parlamentarischen Verhandlungen der letzten Zeit geboten worden, lebhaft und tief durchdringen. Aber es kann an dieser Stelle nicht unsere Aufgabe sein, den unendlichen Variationen dieses Themas zu folgen, Nachdem wir über dasselbe selbst hier eine ganze Reihe von Variationen L—r. ^schrieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/279>, abgerufen am 29.05.2024.