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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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Lübeck, Barby und Hildburghausen: denn es darf die reformirte Gemeinde zu
Leipzig sagen, daß der Zusammenhang mit ihrer Gesammtkirche sich viel, viel
mehr bekundete in Gaben, die sie gemacht, als in Gaben, die sie empfangen hat.

Ihrer Geschenke an Lutherische und an lutherische Körperschaften ist schon
oben gedacht worden; aber diese im Verhältniß zur andersgläubigen Be¬
völkerung des Landes von ihr erstrebte Brüderlichkeit greift in sonstigen
Beziehungen, greift mit ihren Wirkungen erheblich weiter. In Acten, die
nicht für Augen von Lutheranern bestimmt waren, werden diese herkömmlich
"Rehs. nos trörss I^uti^rien"" bezeichnet; der Landeskirche folgte man unter
Abweichung von Bräuchen der französischen in der Anordnung der Fest- und
der Bußtage; ein lutherischer Bauer aus einem Vorstadtdorse war fast ein
Menschenalter hindurch als Kirchendiener angestellt. Der erfolgreichste Ver¬
treter dieser irenischen Richtung der Gemeinde ist Gabr. Dumont, in der
Zeitfolge ihrer Pastoren der zweite: ein bedeutender Mensch, hat er nicht nur
bei lutherischen Amtsgenossen Freundschaft und die Anerkennung als "ein
wahres Gliedstück der h. allgemeinen Kirche" rasch sich errungen, sondern
namentlich auf die Studirenden, die ursprünglich nur die Neigung zur
französischen Sprache seinen Predigten zugeführt haben mag. Einflüsse
der Umbildung und Versöhnung geübt: in anderer Stimmung gegen
die Reformirten bezogen sie die Universität, in anderer gingen sie ab.
Seit langem heben die Geschichtsschreiber Sachsens hervor. daß die Zeit
Friedrich August's I. es gewesen, die die starre Bekenntnißeinheit des
Kurstaates gelockert, daß dieser wichtige Wandel sowol durch den Bekennt-
nißwechsel der Dynastie wie durch die Zulassung der Reformirten sich voll¬
zogen habe. Aber Kirchhoff's Buch berechtigt zur Vermuthung, daß mehr
als die erstere die letztre Ursache Wirkungskraft gehabt und die auszugsweise
abgedruckten Briefe Dumont's zeichnen uns auch deutlich den Weg, auf dem
sie ihre Wirkung geleitet hat über das ganze Land hin, wo jene Geschlechter¬
folgen jüngerer Theologen und Juristen, am Sitze der besuchtesten Hochschule
irenisch angeregt, mit solchem Geist bald in amtliche Thätigkeit traten. Das
ist unzweifelhaft die kulturgeschichtlich bedeutendste Stellung, und eine wahr¬
haft bedeutende der reformirten Gemeinde zu Leipzig. Ihr selber hat sich
längst der Wunsch erfüllt, den ihr alter Siegelstempel von Bergkrystall in
Bild und Umschrift ausspricht -- ein im Stamme verstümmelter Baum, dessen
seitwärts gewendete Aeste neue Zweige treiben: "vous 6"t mersmeliwm" --:
kurz nach Verlauf ihres ersten Menschenalters sah sie die Zahl ihrer Genossen
verdoppelt; aber nicht nach Zahlen bemessen läßt sich der Segen der zur Be¬
freiung und Veredelung des Sinnes weiterer Kreise, der gesammten Bevöl¬
kerung des Landes von ihr ausgegangen. --

Hat der Berichterstatter über eine Druckschrift noch die Pflicht, dem


Lübeck, Barby und Hildburghausen: denn es darf die reformirte Gemeinde zu
Leipzig sagen, daß der Zusammenhang mit ihrer Gesammtkirche sich viel, viel
mehr bekundete in Gaben, die sie gemacht, als in Gaben, die sie empfangen hat.

Ihrer Geschenke an Lutherische und an lutherische Körperschaften ist schon
oben gedacht worden; aber diese im Verhältniß zur andersgläubigen Be¬
völkerung des Landes von ihr erstrebte Brüderlichkeit greift in sonstigen
Beziehungen, greift mit ihren Wirkungen erheblich weiter. In Acten, die
nicht für Augen von Lutheranern bestimmt waren, werden diese herkömmlich
„Rehs. nos trörss I^uti^rien»" bezeichnet; der Landeskirche folgte man unter
Abweichung von Bräuchen der französischen in der Anordnung der Fest- und
der Bußtage; ein lutherischer Bauer aus einem Vorstadtdorse war fast ein
Menschenalter hindurch als Kirchendiener angestellt. Der erfolgreichste Ver¬
treter dieser irenischen Richtung der Gemeinde ist Gabr. Dumont, in der
Zeitfolge ihrer Pastoren der zweite: ein bedeutender Mensch, hat er nicht nur
bei lutherischen Amtsgenossen Freundschaft und die Anerkennung als „ein
wahres Gliedstück der h. allgemeinen Kirche" rasch sich errungen, sondern
namentlich auf die Studirenden, die ursprünglich nur die Neigung zur
französischen Sprache seinen Predigten zugeführt haben mag. Einflüsse
der Umbildung und Versöhnung geübt: in anderer Stimmung gegen
die Reformirten bezogen sie die Universität, in anderer gingen sie ab.
Seit langem heben die Geschichtsschreiber Sachsens hervor. daß die Zeit
Friedrich August's I. es gewesen, die die starre Bekenntnißeinheit des
Kurstaates gelockert, daß dieser wichtige Wandel sowol durch den Bekennt-
nißwechsel der Dynastie wie durch die Zulassung der Reformirten sich voll¬
zogen habe. Aber Kirchhoff's Buch berechtigt zur Vermuthung, daß mehr
als die erstere die letztre Ursache Wirkungskraft gehabt und die auszugsweise
abgedruckten Briefe Dumont's zeichnen uns auch deutlich den Weg, auf dem
sie ihre Wirkung geleitet hat über das ganze Land hin, wo jene Geschlechter¬
folgen jüngerer Theologen und Juristen, am Sitze der besuchtesten Hochschule
irenisch angeregt, mit solchem Geist bald in amtliche Thätigkeit traten. Das
ist unzweifelhaft die kulturgeschichtlich bedeutendste Stellung, und eine wahr¬
haft bedeutende der reformirten Gemeinde zu Leipzig. Ihr selber hat sich
längst der Wunsch erfüllt, den ihr alter Siegelstempel von Bergkrystall in
Bild und Umschrift ausspricht — ein im Stamme verstümmelter Baum, dessen
seitwärts gewendete Aeste neue Zweige treiben: „vous 6«t mersmeliwm" —:
kurz nach Verlauf ihres ersten Menschenalters sah sie die Zahl ihrer Genossen
verdoppelt; aber nicht nach Zahlen bemessen läßt sich der Segen der zur Be¬
freiung und Veredelung des Sinnes weiterer Kreise, der gesammten Bevöl¬
kerung des Landes von ihr ausgegangen. —

Hat der Berichterstatter über eine Druckschrift noch die Pflicht, dem


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[0354] Lübeck, Barby und Hildburghausen: denn es darf die reformirte Gemeinde zu Leipzig sagen, daß der Zusammenhang mit ihrer Gesammtkirche sich viel, viel mehr bekundete in Gaben, die sie gemacht, als in Gaben, die sie empfangen hat. Ihrer Geschenke an Lutherische und an lutherische Körperschaften ist schon oben gedacht worden; aber diese im Verhältniß zur andersgläubigen Be¬ völkerung des Landes von ihr erstrebte Brüderlichkeit greift in sonstigen Beziehungen, greift mit ihren Wirkungen erheblich weiter. In Acten, die nicht für Augen von Lutheranern bestimmt waren, werden diese herkömmlich „Rehs. nos trörss I^uti^rien»" bezeichnet; der Landeskirche folgte man unter Abweichung von Bräuchen der französischen in der Anordnung der Fest- und der Bußtage; ein lutherischer Bauer aus einem Vorstadtdorse war fast ein Menschenalter hindurch als Kirchendiener angestellt. Der erfolgreichste Ver¬ treter dieser irenischen Richtung der Gemeinde ist Gabr. Dumont, in der Zeitfolge ihrer Pastoren der zweite: ein bedeutender Mensch, hat er nicht nur bei lutherischen Amtsgenossen Freundschaft und die Anerkennung als „ein wahres Gliedstück der h. allgemeinen Kirche" rasch sich errungen, sondern namentlich auf die Studirenden, die ursprünglich nur die Neigung zur französischen Sprache seinen Predigten zugeführt haben mag. Einflüsse der Umbildung und Versöhnung geübt: in anderer Stimmung gegen die Reformirten bezogen sie die Universität, in anderer gingen sie ab. Seit langem heben die Geschichtsschreiber Sachsens hervor. daß die Zeit Friedrich August's I. es gewesen, die die starre Bekenntnißeinheit des Kurstaates gelockert, daß dieser wichtige Wandel sowol durch den Bekennt- nißwechsel der Dynastie wie durch die Zulassung der Reformirten sich voll¬ zogen habe. Aber Kirchhoff's Buch berechtigt zur Vermuthung, daß mehr als die erstere die letztre Ursache Wirkungskraft gehabt und die auszugsweise abgedruckten Briefe Dumont's zeichnen uns auch deutlich den Weg, auf dem sie ihre Wirkung geleitet hat über das ganze Land hin, wo jene Geschlechter¬ folgen jüngerer Theologen und Juristen, am Sitze der besuchtesten Hochschule irenisch angeregt, mit solchem Geist bald in amtliche Thätigkeit traten. Das ist unzweifelhaft die kulturgeschichtlich bedeutendste Stellung, und eine wahr¬ haft bedeutende der reformirten Gemeinde zu Leipzig. Ihr selber hat sich längst der Wunsch erfüllt, den ihr alter Siegelstempel von Bergkrystall in Bild und Umschrift ausspricht — ein im Stamme verstümmelter Baum, dessen seitwärts gewendete Aeste neue Zweige treiben: „vous 6«t mersmeliwm" —: kurz nach Verlauf ihres ersten Menschenalters sah sie die Zahl ihrer Genossen verdoppelt; aber nicht nach Zahlen bemessen läßt sich der Segen der zur Be¬ freiung und Veredelung des Sinnes weiterer Kreise, der gesammten Bevöl¬ kerung des Landes von ihr ausgegangen. — Hat der Berichterstatter über eine Druckschrift noch die Pflicht, dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/354>, abgerufen am 19.05.2024.