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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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"in, die jetzige Stärke dann gegen die Regierung zu behaupten, die Ihr zu
großem Theil durch die Regierung errungen? Nein, einen ganz andern An¬
blick würde der nächste Reichstag zeigen, als der gegenwärtige -- die Kleri¬
kalen würden sich wohl nicht wesentlich verändern, aber aus Euren Reihen
würden diejenigen schwinden, in deren Stellen die Conservativen einzurücken
hätten!

Innerhalb der Nationalliberälen kocht und gährt es heute. Die über¬
wiegende Mehrheit der Partei scheint entschlossen zu sein, die Prinzipien der
Vorlage anzunehmen. Aber es giebt einen Theil der Partei, der noch nicht
zu diesem Entschlüsse kommen kann; und es ist ein Verhängniß, daß grade
diese Gruppe der Schwankenden bei der Abstimmung den Ausschlag giebt.
Auf diesen Nationalliberalen ruht die Verantwortung: sind sie nicht im Stande,
den richtigen Entschluß in dieser Lage zu finden, sich gründlich einmal von
dem Zusammengehen mit der Fortschrittspartei loszureißen, dann mögen sie
es deutlich und unverblümt sich sagen lassen, daß sie es sind, welche die
Katastrophe auf .ihrem Gewissen haben. Wir wiederholen, nicht über das
Schicksal unseres Heeres haben sie zu entscheiden, -- unser Heereswesen wird
aufrecht bleiben auch ohne ihre parlamentarische Zustimmung; unser Vertrauen
auf Kaiser Wilhelm läßt uns dies nicht bezweifeln -- aber über die Zukunft einer
liberalen langsam aber consequnt vorgehenden Reformpolttik in Preußen und
Deutschland, darüber haben sie jetzt zu entscheiden.

Manche haben jetzt den besten Willen. Aber sie haben sich vor ihren
Wählern gebunden; sie möchten jetzt gerne der Regierung die Hand reichen,
aber ihre Wahlreden und Wahldeclamationen hemmen ihre Hand. Sie wer¬
den mit sich selbst, in ihrem Gewissen über den Entschluß zu Rath zu gehen
haben. Manche erwägen, wie viel sie der Regierung bewilligen sollen. In
dieser Erwägung steckt der eigentliche Sitz unserer politischen Kinderkrankheit.
"Der Regierung bewilligen!" Nein, Ihr Herren, der Regierung bewilligt
Ihr keinen Pfennig, Euch selbst, dem ganzen Staate bewilligt Ihr, was Ihr
bewilligt. Wenn Ihr Euch von Eurem Schneider einen warmen und beque¬
men Rock machen laßt, so bewilligt Ihr denselben nicht dem Schneider, der
ihn anfertigt, sondern Eurem eigenen Leibe! Aber die naive Träumerei der
Durchschnittspolitiker wagt es nicht gerne, reale Verhältnisse an realem Maaße
zu messen oder das reale Leben mit offenem Auge zu sehen.

Ja, wenn uns die Regierung nur etwas entgegenkommen wollte, wenn's
auch nur eine Kleinigkeit wäre! I'uro bewilligen und en bloc annehmen,
was nöthig ist und von dem hohen Hause gefordert wird, das wäre gegen den
Strich, das würde einem Liberalen nicht ziemen! Etwas muß er abhandeln
oder amendiren. Hätte die Regierung, welche aus sachlichen Motiven eine


«in, die jetzige Stärke dann gegen die Regierung zu behaupten, die Ihr zu
großem Theil durch die Regierung errungen? Nein, einen ganz andern An¬
blick würde der nächste Reichstag zeigen, als der gegenwärtige — die Kleri¬
kalen würden sich wohl nicht wesentlich verändern, aber aus Euren Reihen
würden diejenigen schwinden, in deren Stellen die Conservativen einzurücken
hätten!

Innerhalb der Nationalliberälen kocht und gährt es heute. Die über¬
wiegende Mehrheit der Partei scheint entschlossen zu sein, die Prinzipien der
Vorlage anzunehmen. Aber es giebt einen Theil der Partei, der noch nicht
zu diesem Entschlüsse kommen kann; und es ist ein Verhängniß, daß grade
diese Gruppe der Schwankenden bei der Abstimmung den Ausschlag giebt.
Auf diesen Nationalliberalen ruht die Verantwortung: sind sie nicht im Stande,
den richtigen Entschluß in dieser Lage zu finden, sich gründlich einmal von
dem Zusammengehen mit der Fortschrittspartei loszureißen, dann mögen sie
es deutlich und unverblümt sich sagen lassen, daß sie es sind, welche die
Katastrophe auf .ihrem Gewissen haben. Wir wiederholen, nicht über das
Schicksal unseres Heeres haben sie zu entscheiden, — unser Heereswesen wird
aufrecht bleiben auch ohne ihre parlamentarische Zustimmung; unser Vertrauen
auf Kaiser Wilhelm läßt uns dies nicht bezweifeln — aber über die Zukunft einer
liberalen langsam aber consequnt vorgehenden Reformpolttik in Preußen und
Deutschland, darüber haben sie jetzt zu entscheiden.

Manche haben jetzt den besten Willen. Aber sie haben sich vor ihren
Wählern gebunden; sie möchten jetzt gerne der Regierung die Hand reichen,
aber ihre Wahlreden und Wahldeclamationen hemmen ihre Hand. Sie wer¬
den mit sich selbst, in ihrem Gewissen über den Entschluß zu Rath zu gehen
haben. Manche erwägen, wie viel sie der Regierung bewilligen sollen. In
dieser Erwägung steckt der eigentliche Sitz unserer politischen Kinderkrankheit.
„Der Regierung bewilligen!" Nein, Ihr Herren, der Regierung bewilligt
Ihr keinen Pfennig, Euch selbst, dem ganzen Staate bewilligt Ihr, was Ihr
bewilligt. Wenn Ihr Euch von Eurem Schneider einen warmen und beque¬
men Rock machen laßt, so bewilligt Ihr denselben nicht dem Schneider, der
ihn anfertigt, sondern Eurem eigenen Leibe! Aber die naive Träumerei der
Durchschnittspolitiker wagt es nicht gerne, reale Verhältnisse an realem Maaße
zu messen oder das reale Leben mit offenem Auge zu sehen.

Ja, wenn uns die Regierung nur etwas entgegenkommen wollte, wenn's
auch nur eine Kleinigkeit wäre! I'uro bewilligen und en bloc annehmen,
was nöthig ist und von dem hohen Hause gefordert wird, das wäre gegen den
Strich, das würde einem Liberalen nicht ziemen! Etwas muß er abhandeln
oder amendiren. Hätte die Regierung, welche aus sachlichen Motiven eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/47>, abgerufen am 19.05.2024.