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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band.

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durch persönliche Besuche in den verschiedenen Theilen seines Landes sich mir
dem Volke und das Volk mit sich direkter bekannt zu machen. Kein Zweifel,
daß König Albert, bei dem ihm inne wohnenden klaren, nüchtern verständigen,
dabei so sehr Zutrauen erweckenden Wesen, diesen doppelten Zweck vollständig
erreicht und so auf die leichteste und sicherste Weise über die Stimmung des
Landes sich unterrichtet hätte. In dieser .Hinsicht begrüße ich daher die
offiziöse Andeutung, die ich so eben lese von einem bevorstehenden Ausfluge
des Königs ins Land mit Freuden.

Beiläufig gesagt, ist es eigenthümlich, daß diejenige Stadt, welche König
Albert fast unmittelbar nach seiner Thronbesteigung mit seinem Besuche be¬
ehrte, in der er lange und, so viel man annahm, mit sichtlichem Behagen
verweilte, deren verschiedenen Vertretern er die liebenswürdigsten Dinge über
die Tüchtigkeit ihrer Selbstverwaltung, den in ihr herrschenden Geist u. s. w.
sagte, daß Leipzig gerade die Stadt ist, gegen welche dermalen die Politik
der Regierung, das ist des Ministeriums, sich vorzugsweise und mit einer un¬
verkennbaren Gereiztheit richtet. Denn Leipzig ist. das weiß Jedermann im
Lande, die Hauptpflanze der Pflegstätte des nationalen Geistes, den in der
Gestalt der nationalliberalen Partei die Minister in ihrer Presse und ihren
Kammern so heftig angegriffen haben, Leipzig ist der Sitz des Reichsvereins,
den Herr von Friesen geradezu als der Negierung misfällig und bedenklich
bezeichnete; Leipzig ist mit seinem "Tageblatt" (trotz einzelner Ausschreitungen
des letzteren, die ein großer Theil des intelligenten Leipzig misbilligt) doch so
verwachsen, daß der gegen letzteres geführte Schlag -- wie die bereits erfolgte
und noch angekündigten Kundgebungen von dort bezeichnen -- beinahe von
ganz Leipzig als gegen sich selbst geführt betrachtet und empfunden wird.
Wie gesagt, es erscheint sonderbar, daß dieselbe Stadt vom Monarchen in so
ostensibler Weise bevorzugt und sympathisch behandelt, von seinen Ministern
auf jede Weise angefeindet und verletzt wird.

Doch das ist nur eines von den vielen Räthseln, welche den ganzen
dermaligen Verlauf der sächsischen Regierungspolitik allen denen aufgiebt,
welche sich nicht entschließen können, zu glauben, die Minister handelten ohne
Plan und ohne Berechnung der Consequenzen ihres Handelns, lebten gleichsam
nur so in den Tag hinein und von der Hand in den Mund. Woher und
wozu dies Alles? --

Diese Frage ist vielfach selbst in solchen Kreisen gehört, wo man sonst
Alles gut zu finden pflegt, was das Ministerium thut. Ein Gefühl der Be¬
sorgnis der Bangigkeit beschleicht wenigstens die etwas selbständiger Denken¬
den unter den Anhängern des Ministeriums, wenn sie sehen, wie dieses täglich
mehr nach einer schlimmsten Seite hin gedrängt wird und dadurch eine immer


durch persönliche Besuche in den verschiedenen Theilen seines Landes sich mir
dem Volke und das Volk mit sich direkter bekannt zu machen. Kein Zweifel,
daß König Albert, bei dem ihm inne wohnenden klaren, nüchtern verständigen,
dabei so sehr Zutrauen erweckenden Wesen, diesen doppelten Zweck vollständig
erreicht und so auf die leichteste und sicherste Weise über die Stimmung des
Landes sich unterrichtet hätte. In dieser .Hinsicht begrüße ich daher die
offiziöse Andeutung, die ich so eben lese von einem bevorstehenden Ausfluge
des Königs ins Land mit Freuden.

Beiläufig gesagt, ist es eigenthümlich, daß diejenige Stadt, welche König
Albert fast unmittelbar nach seiner Thronbesteigung mit seinem Besuche be¬
ehrte, in der er lange und, so viel man annahm, mit sichtlichem Behagen
verweilte, deren verschiedenen Vertretern er die liebenswürdigsten Dinge über
die Tüchtigkeit ihrer Selbstverwaltung, den in ihr herrschenden Geist u. s. w.
sagte, daß Leipzig gerade die Stadt ist, gegen welche dermalen die Politik
der Regierung, das ist des Ministeriums, sich vorzugsweise und mit einer un¬
verkennbaren Gereiztheit richtet. Denn Leipzig ist. das weiß Jedermann im
Lande, die Hauptpflanze der Pflegstätte des nationalen Geistes, den in der
Gestalt der nationalliberalen Partei die Minister in ihrer Presse und ihren
Kammern so heftig angegriffen haben, Leipzig ist der Sitz des Reichsvereins,
den Herr von Friesen geradezu als der Negierung misfällig und bedenklich
bezeichnete; Leipzig ist mit seinem „Tageblatt" (trotz einzelner Ausschreitungen
des letzteren, die ein großer Theil des intelligenten Leipzig misbilligt) doch so
verwachsen, daß der gegen letzteres geführte Schlag — wie die bereits erfolgte
und noch angekündigten Kundgebungen von dort bezeichnen — beinahe von
ganz Leipzig als gegen sich selbst geführt betrachtet und empfunden wird.
Wie gesagt, es erscheint sonderbar, daß dieselbe Stadt vom Monarchen in so
ostensibler Weise bevorzugt und sympathisch behandelt, von seinen Ministern
auf jede Weise angefeindet und verletzt wird.

Doch das ist nur eines von den vielen Räthseln, welche den ganzen
dermaligen Verlauf der sächsischen Regierungspolitik allen denen aufgiebt,
welche sich nicht entschließen können, zu glauben, die Minister handelten ohne
Plan und ohne Berechnung der Consequenzen ihres Handelns, lebten gleichsam
nur so in den Tag hinein und von der Hand in den Mund. Woher und
wozu dies Alles? —

Diese Frage ist vielfach selbst in solchen Kreisen gehört, wo man sonst
Alles gut zu finden pflegt, was das Ministerium thut. Ein Gefühl der Be¬
sorgnis der Bangigkeit beschleicht wenigstens die etwas selbständiger Denken¬
den unter den Anhängern des Ministeriums, wenn sie sehen, wie dieses täglich
mehr nach einer schlimmsten Seite hin gedrängt wird und dadurch eine immer


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[0487] durch persönliche Besuche in den verschiedenen Theilen seines Landes sich mir dem Volke und das Volk mit sich direkter bekannt zu machen. Kein Zweifel, daß König Albert, bei dem ihm inne wohnenden klaren, nüchtern verständigen, dabei so sehr Zutrauen erweckenden Wesen, diesen doppelten Zweck vollständig erreicht und so auf die leichteste und sicherste Weise über die Stimmung des Landes sich unterrichtet hätte. In dieser .Hinsicht begrüße ich daher die offiziöse Andeutung, die ich so eben lese von einem bevorstehenden Ausfluge des Königs ins Land mit Freuden. Beiläufig gesagt, ist es eigenthümlich, daß diejenige Stadt, welche König Albert fast unmittelbar nach seiner Thronbesteigung mit seinem Besuche be¬ ehrte, in der er lange und, so viel man annahm, mit sichtlichem Behagen verweilte, deren verschiedenen Vertretern er die liebenswürdigsten Dinge über die Tüchtigkeit ihrer Selbstverwaltung, den in ihr herrschenden Geist u. s. w. sagte, daß Leipzig gerade die Stadt ist, gegen welche dermalen die Politik der Regierung, das ist des Ministeriums, sich vorzugsweise und mit einer un¬ verkennbaren Gereiztheit richtet. Denn Leipzig ist. das weiß Jedermann im Lande, die Hauptpflanze der Pflegstätte des nationalen Geistes, den in der Gestalt der nationalliberalen Partei die Minister in ihrer Presse und ihren Kammern so heftig angegriffen haben, Leipzig ist der Sitz des Reichsvereins, den Herr von Friesen geradezu als der Negierung misfällig und bedenklich bezeichnete; Leipzig ist mit seinem „Tageblatt" (trotz einzelner Ausschreitungen des letzteren, die ein großer Theil des intelligenten Leipzig misbilligt) doch so verwachsen, daß der gegen letzteres geführte Schlag — wie die bereits erfolgte und noch angekündigten Kundgebungen von dort bezeichnen — beinahe von ganz Leipzig als gegen sich selbst geführt betrachtet und empfunden wird. Wie gesagt, es erscheint sonderbar, daß dieselbe Stadt vom Monarchen in so ostensibler Weise bevorzugt und sympathisch behandelt, von seinen Ministern auf jede Weise angefeindet und verletzt wird. Doch das ist nur eines von den vielen Räthseln, welche den ganzen dermaligen Verlauf der sächsischen Regierungspolitik allen denen aufgiebt, welche sich nicht entschließen können, zu glauben, die Minister handelten ohne Plan und ohne Berechnung der Consequenzen ihres Handelns, lebten gleichsam nur so in den Tag hinein und von der Hand in den Mund. Woher und wozu dies Alles? — Diese Frage ist vielfach selbst in solchen Kreisen gehört, wo man sonst Alles gut zu finden pflegt, was das Ministerium thut. Ein Gefühl der Be¬ sorgnis der Bangigkeit beschleicht wenigstens die etwas selbständiger Denken¬ den unter den Anhängern des Ministeriums, wenn sie sehen, wie dieses täglich mehr nach einer schlimmsten Seite hin gedrängt wird und dadurch eine immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_131175/487>, abgerufen am 29.05.2024.